2. April 2020 | Magazin:

An der Schnittstelle von Biologie und Informatik Nachgefragt bei Dr. Andre Wegner

Andre Wegner leitet die Arbeitsgruppe „Pathometabolismus“ am Institut für Biochemie, Biotechnologie und Bioinformatik der Technischen Universität Braunschweig. Der studierte Informatiker schrieb seine Doktorarbeit in der Systembiologie und arbeitet seitdem an der Schnittstelle zwischen Informatik und Biologie. Mit seiner Forschung am BRICS trägt er zum Forschungsschwerpunkt Infektionen und Wirkstoffe bei. Wir haben mit ihm über seine Arbeit gesprochen und darüber, wie sich die Corona-Pandemie auf seine Forschungsaktivitäten auswirkt.

Arbeitet zurzeit im Home Office: Arbeitsgruppenleiter Dr. Andre Wegner vom Institut für Biochemie, Biotechnologie und Bioinformatik. Bildnachweis: Andre Wegner/TU Braunschweig

Mit Ihrer Arbeitsgruppe erforschen Sie den Stoffwechsel von Zellen. Was interessiert Sie dabei besonders?

Wenn wir krank sind, zeigt sich das auch in einem veränderten Stoffwechsel in unseren Zellen. Wir sind daran interessiert, diese krankheitsbedingten Veränderungen zu finden, um die zugrunde liegenden zellulären Krankheitsmechanismen zu verstehen. Der Stoffwechsel als Untersuchungsobjekt eignet sich dafür besonders gut, da er alle Prozesse in den Zellen beeinflusst oder selbst von ihnen beeinflusst wird. Veränderungen beispielsweise beim Erbgut, also auf Genomebene, spiegeln sich daher mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit im Stoffwechsel wider. Das kann dann zum Beispiel bei der Entwicklung von neuen Therapieansätzen oder in der Medikamentenforschung helfen. Dafür muss man aber erst einmal verstehen, wie eine Krankheit intrazellulär, also in unseren Zellen, verläuft. Das machen wir, indem wir den Stoffwechsel von kranken und nicht-kranken Zellen vergleichen. Dafür untersuchen wir unter anderem Zellkulturen, also Zellen, die auf einem Nährmedium wachsen. Um den intrazellulären Stoffwechsel zu analysieren, verwenden wir hochauflösende Massenspektrometrie. Ein Massenspektrometer ist im Prinzip nichts anderes als eine große Waage, das die Masse von Molekülen misst. So können wir Stoffwechselprodukte identifizieren und bestimmen, wie viel von welchem Produkt in einer Zelle ist.

Das ist der Teil Ihrer Arbeit, der im Labor stattfindet. Wann kommt die Informatik ins Spiel?

Wenn wir den Stoffwechsel einer Zelle analysieren und zum Beispiel wissen möchten, wie hoch die Level der Stoffwechselprodukte sind, dann müssen wir dafür den Stoffwechsel stoppen. Wir zerstören die Zelle, nehmen die Produkte heraus und messen ihre Level. Der Stoffwechsel ist aber eigentlich ein dynamischer Prozess. Und wir sind daran interessiert, diese Dynamiken zu finden und zu untersuchen. Die Herausforderung dabei ist aber, dass wir immer nur zu einem Zeitpunkt messen können. Hier kommt die Bioinformatik ins Spiel. Um die Dynamiken im Stoffwechselprozess abzubilden, nutzen wir Computermodelle, in die wir unsere experimentellen Daten vom Massenspektrometer einbinden. Neben der klassischen Anwendung dieser Modelle, entwickeln wir auch Methoden, um virtuelle Stoffwechselmodelle zu entwickeln und die Ergebnisse besser interpretieren zu können. Unsere Forschung am Stoffwechsel ist ein gutes Beispiel für systembiologische oder systemmedizinische Ansätze, weil sie die klassischen experimentellen Daten aus dem Labor mit der Modellierung am Computer verbindet. Ganz interdisziplinär.

Ihre Arbeitsgruppe arbeitet also im Labor und am Computer. Wie wirken sich die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden neuen Auflagen auf Ihre Forschungsaktivität aus?

Wir haben aktuell eine Notfallbesetzung im Labor, weil unsere Massenspektrometer nicht einfach so ausgeschaltet werden können. Damit die Geräte keinen Schaden nehmen, müssen sie kontinuierlich mit zum Beispiel Strom und Gasen versorgt und entsprechend gewartet werden. Maximal fünf Leute dürfen sich aktuell dort mit dem erforderlichen Mindestabstand und unter Einhaltung der hygienischen Vorgaben aufhalten. Im Normalbetrieb arbeiten hier bis zu 16 Mitarbeitende und Studierende. Deshalb sind die experimentellen Arbeiten im Moment eingeschränkt. Die meisten der Kolleginnen und Kollegen befindet sich jetzt im Home Office. Diejenigen, die hauptsächlich Algorithmen entwickeln und programmieren, können dies natürlich auch gut von zuhause aus machen. Wir haben außerdem eine große Mengen an Daten, die wir nun im Detail auswerten und zu denen wir wissenschaftliche Veröffentlichungen schreiben können. Wir arbeiten also im Moment Dinge vor, die wir später sowieso machen müssten. Mir ist es aber wichtig, dass die Kommunikation von unserem Team trotz Home Office gut funktioniert.

Sie haben gerade die Kommunikation mit Ihrem Team angesprochen. Wie bleiben Sie im Kontakt?

Wir sind auf die Arbeit im Home Office tatsächlich gut vorbereitet gewesen, weil wir die Tools dafür auch in unserem regulären Arbeitsalltag öfter einsetzen, zum Beispiel bei der Kommunikation in nationalen und internationalen Forschungsverbünden, bei Dienstreisen oder wenn jemand von zuhause aus arbeitet. Einmal wöchentlich haben wir normalerweise ein Face-to-Face Meeting mit allen Mitarbeitenden der Arbeitsgruppe. Das machen wir jetzt alle zwei Tage per Videokonferenz. Für den schnellen Austausch kommunizieren wir über einen Chat. Und wir benutzen eine Projektmanagementsoftware, bei der jeder Mitarbeitende einen eigenen Bereich  für sein Projekt hat, wo er Aufgaben und Termine individuell pflegen und mit anderen teilen kann. Das ist sinnvoll, um Aufgaben zu koordinieren.

Wie sieht es gerade bei aktuellen Forschungsprojekten aus? Geht es da weiter oder herrscht Stillstand?

Die Projekte laufen erst einmal weiter. Wir müssen schauen, wie sich die Situation weiter entwickelt. Im Moment ist unser Labor ja noch offen. Falls es geschlossen wird, könnten wir keine neuen Daten produzieren.

Wir alle befinden uns gerade in einer Ausnahmesituation, privat und beruflich. Gibt es etwas, das Ihnen Mut macht?

Wenn man in andere Länder schaut, geht es uns im Moment noch vergleichsweise gut, auch wenn die Situation nicht optimal ist und wir natürlich nicht wissen, was noch auf uns zukommt. Ich denke, hier in Deutschland hat die richtige Reaktion zur richtigen Zeit stattgefunden.  Ich habe die große Hoffnung, dass die Wissenschaft jetzt an einem Strang zieht und schnell neue Therapiemöglichkeiten oder einen Impfstoff findet.

Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für das Interview genommen haben.