15. Dezember 2014 | Presseinformationen:

Nah dran ist nicht nah genug Forscher klären wichtigen Mechanismus für schnelle Kommunikation zwischen Nervenzellen auf

Gemeinsame Pressemitteilung mit dem Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie

Blitzschnell auf einen Warnruf reagieren, mit dem Auto einem auf die Straße laufenden Kind ausweichen – solch rasche Reaktionen sind nur möglich, weil unsere Nervenzellen in Sekundenbruchteilen miteinander kommunizieren. Einen entscheidenden Mechanismus, der eine derart schnelle Signalübertragung erst möglich macht, haben jetzt Wissenschaftler aus Braunschweig und Göttingen aufgeklärt.

Kommunikation ist nicht nur für unser Sozialleben unverzichtbar. Auch Zellen stehen pausenlos miteinander im Austausch, damit wir atmen, uns bewegen oder denken können. Einen Ball zu fangen wäre auch für Manuel Neuer undenkbar, könnten unsere Nervenzellen nicht innerhalb von Sekundenbruchteilen Informationen weiterleiten. Gewöhnlich werden diese Signale durch spezielle Botenstoffe übermittelt. Portionsweise verpackt liegen diese in kleinen Membranbläschen – den synaptischen Vesikeln – in einem Nervenende der Zelle bereit. Zeigen Signale an, dass eine Botschaft übermittelt werden soll, verschmelzen einige synaptische Vesikel mit der Zellmembran der sendenden Zelle und setzen ihre Botenstoffe frei. Diese lösen in der empfangenden Zelle ein Signal aus. Was diesen Prozess in Gang setzt, ist seit Langem bekannt: ein Anstieg der Kalziumionen-Konzentration im Nervenende der sendenden Zelle. Wie die Vesikel dieses Signal aber im entscheidenden Schritt erkennen und verarbeiten, um daraufhin sofort die Membranen zu verschmelzen, war bislang unklar.

Verschmelzen können die Vesikel mit der Membran der sendenden Zelle nur dann, wenn sich beide nahe genug kommen. Ein Team von Wissenschaftlern um Peter J. Walla von der Technischen Universität Braunschweig und dem Göttinger Max-Planck-Institut (MPI) für biophysikalische Chemie hat nun das Protein „bei der Arbeit“ beobachtet, das für diese enge Nachbarschaft sorgt. „Dieses Protein, Synaptotagmin genannt, bringt Vesikel und Membran genau auf die richtigen Abstände zusammen. Man kann sich Synaptotagmin als eine Art molekularen Anker vorstellen“, erklärt Peter J. Walla, Professor an der TU Braunschweig und Leiter der Forschungsgruppe Biomolekulare Spektroskopie und Einzelmoleküldetektion am MPI für biophysikalische Chemie.

Mithilfe von Fluoreszenzsignalen und einem Nanolineal aus DNA konnten Peter J. Walla und seine Mitarbeiter genau beobachten, wie Synaptotagmin (grün) Vesikel an die Membran bindet. Mit einem Abstand von etwa acht Nanometern von der Membran befinden sich Vesikel in einer „Startposition“ für die Signalübertragung zwischen Nervenzellen. Steigt der Kalziumspiegel an, lagern sich Kalziumionen (hellblau) an das Synaptotagmin an, woraufhin dieses das Vesikel auf fünf Nanometer an die Membran heranzieht. Bei diesem Abstand können beide verschmelzen und die Botenstoffe freisetzen.

Mithilfe von Fluoreszenzsignalen und einem Nanolineal aus DNA konnten Peter J. Walla und seine Mitarbeiter genau beobachten, wie Synaptotagmin (grün) Vesikel an die Membran bindet. Mit einem Abstand von etwa acht Nanometern von der Membran befinden sich Vesikel in einer „Startposition“ für die Signalübertragung zwischen Nervenzellen. Steigt der Kalziumspiegel an, lagern sich Kalziumionen (hellblau) an das Synaptotagmin an, woraufhin dieses das Vesikel auf fünf Nanometer an die Membran heranzieht. Bei diesem Abstand können beide verschmelzen und die Botenstoffe freisetzen.

Mit einem Ende ist Synaptotagmin im Vesikel fest verankert. Die Forscher konnten direkt verfolgen, wie es mit seinem anderen Ende an die Membran bindet und beide auf einem Abstand von etwa acht Nanometer (acht Millionstel Millimeter) hält. Bei diesem Abstand sind die Vesikel in „Startposition“ und sind jederzeit startklar. „Die Entfernung ist noch groß genug, um zu verhindern, dass Vesikel und Membran verschmelzen und die Botenstoffe freisetzen“, so Walla. Denn die sogenannten SNARE-Proteine auf dem Vesikel und der Membran, die für das Verschmelzen sorgen, müssen sich wie ein Reißverschluss ineinander verhaken. Und bei einer Entfernung von acht Nanometern kann sich dieser Reißverschluss nicht komplett verschließen.

Steigt nun die Kalziumkonzentration, ist das der Startschuss. „Das Kalzium lagert sich an Synaptotagmin an. Daraufhin ändert das Protein seine Form und zieht Vesikel und Membran auf fünf Nanometer zusammen. Das ist nah genug, damit die SNAREs sehr schnell für ein Verschmelzen sorgen können“, so der Chemiker. „Unsere Arbeit ist der erste Beweis überhaupt, dass Synaptotagmin aufgrund des Kalziums seine Form so ändert, dass sich der Abstand zwischen Vesikel und Membran genau im richtigen Maß verringert.“

Bisher waren alle Versuche, den genauen Abstand zwischen Vesikel und Zellmembran zu vermessen, schlicht am passenden Werkzeug gescheitert. Die Wissenschaftler um Walla waren nun erfolgreich, indem sie eine raffinierte neue Technik entwickelten: Sie nutzten DNA-Stränge genau bekannter Länge als eine Art Lineal im Nano-Maßstab. Indem sie Änderungen in der Leucht-Intensität und Dauer von Fluoreszenz-Signalen beobachteten, konnten die Forscher den Abstand von Vesikel und Membran auf den Nanometer genau bestimmen. „Der Ansatz, kurze Distanzen zwischen zwei einzelnen Punkten mithilfe von Fluoreszenzfarbstoffen zu messen, ist an sich nicht neu. Aber erst mithilfe der DNA-Stränge als Nanolineale konnten wir auch Abstände zwischen kompletten Membranflächen ausreichend genau ermitteln“, erläutert Chao-Chen Lin vom MPI für biophysikalische Chemie.

Das Nanolineal für Membranabstände ist nicht nur für die Neurobiologie ein vielversprechendes Werkzeug. Peter J. Walla ist überzeugt: „Bald könnte es auch in weiteren Forschungsvorhaben zum Einsatz kommen, denn Abstände zwischen Zellmembranen spielen auch bei ganz anderen biologischen Vorgängen eine Rolle, etwa, wenn Viren an eine Wirtszelle andocken oder bei der Befruchtung einer Eizelle.“

 

Zur Publikation
Chao-Chen Lin, Jan Seikowski, Angel Pérez-Lara, Reinhard Jahn, Claudia Höbartner, Peter Jomo Walla: Control of membrane gaps by synaptotagmin-Ca2+ measured with a novel membrane distance ruler. Nat Commun 5, 5859, doi: 10.1038/ncomms6859 (2014).

 

Weitere Informationen

  • Weitere Informationen auf der Webseite der Arbeitsgruppe Biophysikalische Chemie an der Technischen Universität Braunschweig finden Sie hier.
  • Weitere Informationen auf der Webseite der Forschungsgruppe Biomolekulare Spektroskopie und Einzelmoleküldetektion, Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, Göttingen finden Sie hier.

 

Kontakt
Prof. Dr. Peter Jomo Walla
Institut für Physikalische und Theoretische Chemie
Arbeitsgruppe Biophysikalische Chemie
Technische Universität Braunschweig
Hans-Sommer-Straße 10
38106 Braunschweig
Tel.: 0531/391-5328 oder 5339
E-Mail: pwalla@gwdg.de
www.pci.tu-bs.de/agwalla

 


Close is not close enough
Scientists unravel important mechanism for fast communication between neurons

Avoiding hitting a running child on the street or reacting rapidly to an alarm call – timely reactions are only possible because our neurons communicate extremely fast with each other. Scientists from Braunschweig and Göttingen have now discovered a decisive mechanism that allows for such fast signal transmissions.
(Nature Communications, December 15, 2014)

Communication is not only of vital importance for social life – cells are also continuously interacting with each other, thus allowing us to breathe, move, and think. Without rapid signal transmission between neurons, even the world class keeper Manuel Neuer would not be able to make a single save. Usually, the signals are carried by neurotransmitter molecules. In small membrane packages – so-called synaptic vesicles – they await at the ends of a neuron a calcium signal to take action. As soon as the signal arrives, the message is delivered by fusion of many synaptic vesicles with the cell membrane of the sending neuron, thereby releasing the neurotransmitters. Sequentially, these neurotransmitters activate a corresponding signal in the receiving neuron. It was well known that this process is started by an increase of calcium concentration in the sending neuron. However, the triggering process of how the vesicles actually recognize and process this signal just at the right time was very poorly understood.

Fusion of vesicles and membranes of the sending cells is only possible when they are in close proximity. Peter J. Walla and a team of researchers at the Technical University (TU) of Braunschweig and the Max Planck Institute (MPI) for Biophysical Chemistry in Göttingen were now able to observe a protein decisive for this process directly “at work“. “This protein – called synaptotagmin – is able to tether the vesicles with the membrane at exactly the proper distances. Synaptotagmin can be regarded as a kind of molecular anchor”, explains Walla, Professor at the TU Braunschweig and head of the Research Group Biomolecular Spectroscopy and Single Molecule Detection at the MPI for Biophysical Chemistry.

Synaptotagmin is anchored to the vesicles at one end. The scientists now observed that it tethers with the other end to the membrane at a distance of about eight nanometers (one millionth of a millimeter). In this stage the vesicles are ready to take action very quickly when required.
“But the distance is still large enough to prevent fusion of vesicles with the membrane and the resulting release of the neurotransmitters“, Walla states. This is because the so-called SNARE proteins on both vesicle and membrane, which govern the fusion process itself, need to catch each other like in a zipper. However, at a distance of eight nanometers this zipper is simply unable to close completely.

Once the calcium concentration increases, this gives the starting signal. “First, the calcium binds to synaptotagmin. Immediately after that, the protein pulls the vesicle and membrane to a distance of only five nanometers. This is a distance at which the SNAREs can quickly fuse the membranes“, the scientist explains. “Our work is the first evidence ever showing that synaptotagmin can change its conformation upon a calcium trigger in a way that decreases the distance between vesicles and membranes just on the proper scales.“

To date, there simply had been no appropriate tools to measure the exact distance between vesicles and membranes. The research team around Walla has now succeeded by developing a new, elaborate technique: They used DNA-strands of very well defined lengths as a ruler on the nanometer scale. By observing changing light intensities and durations from fluorescence markers, the scientists could determine the distance between vesicles and the membrane with an accuracy of around one nanometer. “Measuring short distances between two single points using fluorescence markers is a common approach. However, measuring distances also between surfaces of entire membranes with the required precision was only possible since we introduced the concept of DNA-based nanorulers”, says Chao-Chen Lin at the MPI for Biophysical Chemistry.

The new nanoruler for membrane distances might proof a very useful tool also in important fields other than neurobiology. Peter J. Walla is convinced: “For example, this tool can also be used in biological processes like the infection of cells by viruses or in the fertilization of eggs. In these cases distances between membranes also play a vital role”.