Nachhaltig, virtuell, wirtschaftlich – neue Ansätze in der Luft- und Raumfahrtforschung Niedersächsisches Forschungszentrum für Luftfahrt verleiht Wissenschaftspreise
Neue Ansätze in den Bereichen morphender Tragflächenstrukturen, dem Flottenmanagement nachhaltiger Luftfahrzeuge sowie virtuellen Cockpits – zu diesen Themen leisten drei Forschungsarbeiten auf verschiedenen Gebieten der Luft- und Raumfahrtforschung einen Beitrag. Allesamt wurden sie im Rahmen des Forschungstags des Niedersächsischen Forschungszentrums für Luftfahrt (NFL) am 28. November 2024 mit dem Hermann-Blenk-Forscherpreis ausgezeichnet. Darüber hinaus wurden noch der Karl-Doetsch-Nachwuchspreis und der VDI Luft- und Raumfahrtpreis für die besten studentischen Arbeiten in der Luft- und Raumfahrttechnik verliehen.
Hermann-Blenk-Forscherpreis
Dr. Anilkumar Parapparambil Muraleedharan Nair, Dr. Alexander Barke und Dr.-Ing. Johannes Maria Ernst
Dr. Anilkumar Parapparambil Muraleedharan Nair untersuchte am Institut für Statik und Dynamik der LU Hannover einen neuen Ansatz zur Steuerung morphender Tragflächenstrukturen mittels piezoelektrischer Aktuatoren in Verbundlaminaten. Bisher wurde in den meisten Arbeiten die Möglichkeit betrachtet, das Durchschnappen mit Hilfe von großformatigen piezoelektrischen Makrofaserverbundwerkstoff-Aktuatoren (MFC) auszulösen, die in der Mitte des bistabilen Laminats angebracht sind. Die Verklebung großer MFCs in der Mitte der Platte führt jedoch zu einer Abflachung des Mittelteils des Laminats, was zu einem Verlust der Bistabilität führen kann. In der Studie von Dr. Nair wird ein alternativer Ansatz vorgestellt, bei dem kleinere MFCs über die gesamte Oberfläche des Laminats verteilt angebracht werden, und die daraus resultierenden stabilen Formen und die Änderung der Durchschlagsspannungen analysiert werden. Die Ergebnisse des vorgeschlagenen halb-analytischen Modells wurden dabei erfolgreich mit einem entsprechenden Finite-Elemente-Modell verifiziert. Daher wurde das Journal-Paper von Dr. Nair in diesem Jahr mit dem Hermann-Blenk-Forscherpreis für die beste Journal-Veröffentlichung ausgezeichnet, der mit 5.000 Euro dotiert ist.
Hermann-Blenk-Preis für die beste Dissertation
Dr. Alexander Barke und Dr.-Ing. Johannes Maria Ernst
Dr. Alexander Barke untersuchte im Rahmen seiner Dissertation am Institut für Automobilwirtschaft und industrielle Produktion der TU Braunschweig die ökologischen und sozioökonomischen Auswirkungen innovativer Flugzeugantriebskonzepte sowie benötigter Energieträger entlang des gesamten Lebenszyklus. Der Fokus liegt hierbei auf der Identifikation geeigneter Kombinationen von Antriebskonzepten und Energieträgervarianten, die die Umweltverträglichkeit des Luftfahrtsektors im Hinblick auf die Reduktion von Emissionen verbessern und gleichzeitig wirtschaftlich vorteilhaft eingesetzt werden können. Zu diesem Zweck verbindet Dr. Barke in seiner Forschung Methoden des Life Cycle Sustainability Assessments und der Operations Research, die es ermöglichen, frühzeitig potentiell geeignete Antriebskonzepte zu identifizieren und somit Handlungsempfehlungen für die weitere Forschung und Entwicklung zu geben. Durch diese Erkenntnisse unterstützt Dr. Barke Fachprojekte im Exzellenzcluster SE²A, die sich mit der Entwicklung und Auslegung von Antriebskonzepten beschäftigen, und kann darüber hinaus Transformationspfade hinsichtlich der Flottenentwicklung von Fluggesellschaften mit innovativen Flugzeugantriebskonzepten aufzeigen.
Dr.-Ing. Johannes Maria Ernst wiederum befasste sich in seiner Dissertation am DLR-Institut für Flugführung mit der Fragestellung, wie moderne Anzeigegeräte – zum Beispiel Head-Mounted Displays – die Einschränkungen bestehender Anzeigelösungen überwinden und dadurch das Situationsbewusstsein der Piloten verbessern und die Flugsicherheit erhöhen können. Was diese Arbeit von der bisherigen Forschung unterscheidet, ist die explizite Berücksichtigung von undurchsichtigen Displays. Basierend auf einer ausführlichen Untersuchung aktueller Technologien und moderner Flugzeugsichtsysteme wird in der Dissertation ein konzeptioneller Rahmen für zukünftige Cockpitgenerationen entwickelt: das Virtual Cockpit Continuum. Es beschreibt verschiedene Stufen der Cockpit-Virtualisierung –vom konventionellen Cockpit über mehrere virtuelle Varianten bis hin zu einem vollständig virtuellen Cockpit.
Karl-Doetsch-Nachwuchspreise
Ole Scholz und Benedikt Schulten
Einen wesentlichen Beitrag zur Leistungsfähigkeit von Raketentriebwerken bei Kleinträgersystemen leistete Ole Scholz in seiner Studienarbeit bei GAIA Aerospace und dem Institut für Raumfahrtsysteme der TU Braunschweig. Im Rahmen dieser Arbeit beschäftigte er sich mit der Untersuchung des Leistungspotentials von Electric Expander Cycle Triebwerken. Dieser Antriebszyklus bedient sich neben batterieelektrisch betriebener Elektromotoren zusätzlicher Kaltgasturbinen zum Betrieb der Treibstoffpumpen. Dies senkt die erforderliche Batteriemasse des Trägersystems und erhöht damit die maximale Nutzlastkapazität.
Ole Scholz hat im Rahmen seiner Arbeit jedoch nicht nur das Potential von bereits öffentlich vorgeschlagenen Bauweisen untersucht, sondern ebenfalls eigene Ideen und Konzepte eingebracht. Eine dieser Ideen sieht dabei die Verwendung eines zusätzlichen Kreisprozesses zum Betrieb der Treibstoffpumpen vor, was eine bisher nicht dagewesene Kombination aus hohem spezifischen Impuls ohne Treibstoffverlust bei gleichzeitiger Einsparung von Batteriemasse darstellt. Hierfür erhielt Ole Scholz den mit 1.000 Euro dotierten Karl-Doetsch-Nachwuchspreis. Aktuell absolviert er seine Masterarbeit in Luft- und Raumfahrttechnik an der TU Braunschweig.
Benedikt Schulten lieferte mit seiner Masterarbeit einen wichtigen Beitrag zur besseren Analyse der Schaufelgeometrie von Flugzeugtriebwerken. In der Arbeit wird ein Prozess zur Analyse von Geometrievarianzen von Triebwerksschaufeln weiterentwickelt und evaluiert. Ziel dieser Evaluierung war es, die Abweichungen zu quantifizieren, die durch die automatische Verarbeitung gescannter Schaufeln und deren Parametrisierung entstehen sowie ihre Relevanz für die Interpretation der Analyseergebnisse zu bewerten. Zu diesem Zweck hat Benedikt Schulten Testmethoden entwickelt, mit denen die durch den Prozess verursachte Unsicherheit bestimmt werden kann. Besonderes Augenmerk legte er dabei auf den Einfluss der Qualität der Eingangsdaten auf die Prozessergebnisse und deren Aussagekraft. Die Eignung des Prozesses wurde durch den Vergleich der Testergebnisse mit den in früheren Untersuchungen ermittelten Varianzen realer Schaufeln bewertet. Dabei zeigte Benedikt Schulten, dass das Verfahren durchaus geeignet ist, die auftretenden Geometrievarianzen adäquat zu erfassen, die Prozessunsicherheiten jedoch auch weiterhin berücksichtigt werden müssen. Für diese Leistung wurde auch er nun mit dem Karl-Doetsch-Nachwuchspreis ausgezeichnet. Benedikt Schulten hat im August 2023 sein Studium an der TU Braunschweig mit einem Masterabschluss in Luft- und Raumfahrttechnik beendet und ist jetzt wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Flugantriebe und Strömungsmaschinen.
VDI Luft- und Raumfahrtpreis für Jonas Withelm
In seiner Masterarbeit beschäftigte sich Jonas Withelm mit der Modellierung, Simulation und Regelung von Multikoptern mit angehängter Last. Hierbei untersuchte er verschiedene Betriebskonzepte für Multikopter und entwickelte einen Regler für eine angehängte Last. Der Multikopter wird dabei mit einem kaskadierten Incremental Nonlinear Dynamic Inversion (INDI) Regler betrieben, der äußerst robust gegenüber Störungen durch die Last ist. Für den modellbasierten Entwurf entwickelte er ein Simulationsmodell in Simulink, das verschiedenste Effekte eines realen Systems berücksichtigt. Das Modell basiert auf einer Feder-Dämpfer-Kopplung zwischen Multikopter und Nutzlast und lässt sich in Echtzeit berechnen. Für die Positionsregelung der Last wurde ein Konzept für ein vereinfachtes Punktmassenmodell entwickelt. Dieses Konzept wurde anschließend auf den Starrkörper übertragen. Für einen realen Flugversuch baute er ein Versuchssystem auf und parametrisierte einen digitalen Zwilling in Simulink.
Unter Verwendung des digitalen Zwillings konnten schließlich Simulationsrechnungen und ein erster Testflug erfolgreich durchgeführt werden. Somit ist Jonas Withelm ein würdiger Preisträger für den diesjährigen VDI Luft- und Raumfahrtpreis, der ebenfalls mit 1.000 Euro dotiert ist. Jonas Withelm schloss sein Masterstudium in Luft- und Raumfahrttechnik an der TU Braunschweig ebenfalls im Jahr 2023 ab.