Vollautomatisiert und fahrerlos UNICARagil zeigt, wie fahrerloses Fahren im gemischten Verkehr sicher funktionieren kann
- Abschlussevent eines der größten Forschungsprojekte zum autonomen Fahren präsentiert 4 vollständig fahrerlose Fahrzeugprototypen,
- Universitätsübergreifendes Konsortium entwickelt in fünf Jahren vollständig neue Architektur, Konzepte und Software für fahrerlose Fahrzeuge.
Nach fünf Jahren intensiver Arbeit präsentierten am 11. Mai 2023 acht Universitäten und neun Unternehmen der Öffentlichkeit den großen Wurf. Vier vollständig autonome Fahrzeugprototypen zeigen nun, wie zukünftige Mobilität gelingen kann und gleichzeitig komplexe Aufgaben aus dem individuellen und öffentlichen Verkehr sowie des Gütertransports erfüllen kann.
Bei der Bewältigung der Herausforderungen, die sich aus einem steigenden Mobilitätsbedarf und der fortschreitenden Urbanisierung ergeben, werden automatisierte und vernetzte Fahrzeuge eine Schlüsselrolle einnehmen. Sie schaffen die Grundlage für einen nachhaltigen und intelligenten Straßenverkehr, neuartige Mobilitäts- und Transportkonzepte sowie Verbesserungen der Verkehrssicherheit und Lebensqualität im urbanen und ländlichen Raum.
Dafür geeignete Fahrzeugkonzepte erfordern jedoch eine wesentlich leistungsfähigere und updatefähige Informationsverarbeitung im Kraftfahrzeug und damit eine Revolution etablierter Architekturen und Entwicklungsprozesse. Die in der Automobilindustrie vorherrschende Vorgehensweise der evolutionären Weiterentwicklung bestehender Systeme und Konzepte wird aufgrund zahlreicher Abhängigkeiten zwischen Hardware und Software nur begrenzt Erfolg haben können.
Daher wurde im Rahmen des vom BMBF mit rund 32 Millionen Euro geförderten Projekts UNICARagil das Fahrzeug, seine Entwicklung und die darunterliegenden Architekturen revolutionär neu gedacht.
„Wissenschaft muss Bekanntes in Frage stellen und neues Wissen schaffen– das sind im Grunde unsere Kernaufgaben und einer der Eckpfeiler unseres Wissenschaftsstandorts Deutschland“, sagt Prof. Lutz Eckstein, Leiter des ika und Gesamtkoordinator des Projektes. „Daher haben wir uns universitätsübergreifend der Aufgabe gestellt, eine agil updatefähige und erweiterbare Architektur für fahrerlose Fahrzeuge zu schaffen. Dies wollen wir mit dem Projekt UNICARagil auf erlebbare und überzeugende Weise erreichen.“
Ziel des Projekts war deshalb, durch die Kooperation führender deutscher Universitäten im Bereich automatisiertes Fahren mit spezialisierten Unternehmen die Grundlagen für ein nutzerzentriertes und an den menschlichen Fähigkeiten orientiertes Konzept des fahrerlosen Fahrens zu schaffen. Deshalb wurde bewusst darauf verzichtet, aktuelle Fahrzeuge umzubauen oder zu erweitern. „Aktuelle Fahrzeuge stellen Antworten auf ganz andere Anforderungen dar, sie sind auf den Menschen als Fahrzeugführer ausgerichtet. Jetzt einfach nur das Lenkrad auszubauen und in den so freigewordenen Platz eine Lenk- und Steuerautomatik einzubauen, schafft nur bedingt einen Mehrwert. Mit der Möglichkeit der Automatisierung können wir auch das Auto an sich neu denken“, sagt Timo Woopen, Projektleiter von UNICARagil.
Daher hat das Projektkonsortium zunächst einmal eine komplett neue Fahrzeugstruktur ohne die Altlasten aktueller Fahrzeuge entwickelt. Herkömmliche Fahrzeuge bestehen grundsätzlich aus einem Fahrwerk, einem Antrieb und einer Karosserie. In UNICARagil wurden nun das Fahrwerk mit dem Antrieb „verheiratet“ und in vier Dynamikmodulen zusammengefasst, die jeweils ein einzelnes Rad antreiben, führen, lenken und bremsen. Verbunden werden diese Module miteinander über eine Fahrplattform, die dank der neuartigen Radführung auch alle Räder um 90° einlenken kann und so auch einfach seitlich in kleinste Parklücken passt. Entsprechend der intendierten Nutzung von Fahrzeugen können individuelle Kabinen auf die Fahrplattform gesetzt werden. Dieses Baukastenprinzip erlaubt eine maximale Flexibilität bei der Innenraumgestaltung bei minimalem Entwicklungsaufwand für eine zukünftige Serienproduktion.
Um Fahrzeuge sinnvoll zu automatisieren, bedarf es nicht nur vielfältiger Sensor-Technologien, sondern auch einer modularen Steuerungs-Intelligenz. Neben der Entwicklung generischer Sensormodule lagen weitere Forschungsschwerpunkte auf der Umfeld-Erkennung, einer flexibel erweiterbaren und update-fähigen Software- und Hardware-Struktur und natürlich der Vernetzung und Absicherung all dieser Elemente. So wie das menschlichen Gehirn bei z.B. kleineren Verletzungen Aufgaben auf andere Hirnareale überträgt, basieren die UNICARagil-Prototypen auch nicht auf einem zentralen Rechner. Deshalb wurde eine Rechnerarchitektur gewählt, die auf mehreren Ebenen arbeitet, dazu das sogenannte Großhirn mit dem Stammhirn und den Dynamikmodulen vernetzt und alle anfallenden Aufgaben mehrfach absichert.
Die Dienste-orientierte Software-Architektur erlaubt agile Updates, die zur Laufzeit integriert werden. Die funktionale Architektur umfasst zusätzlich eine Cloud, in der das eigentliche Lernen aus „Erfahrung“ stattfindet, die Straßeninfrastruktur wie z.B. Sensoren an Ampeln und sogenannte „Info-Bienen“, worunter kleine automatisierte Luftfahrzeuge verstanden werden. Die Vernetzung zwischen diesen Bausteinen ermöglicht es den Fahrzeugen, auch in unübersichtlichen Verkehrsituationen vorausschauend und sicher mit herkömmlichen Pkw und Nkw zu interagieren.
Die Flexibilität der vier fahrerlosen Fahrzeugprototypen demonstrierte das Konsortium beim öffentlichen Abschlussevent anhand unterschiedlicher Anwendungen: Das autoCARGO zeigt die vollautomatische Paketauslieferung, das autoTAXI, wie individuelle Motto-Taxis in Zukunft private oder geschäftliche Meetings während der Fahrt zum Bahnhof ermöglichen können. Das autoSHUTTLE stellt eine flexible Ergänzung des ÖPNV dar, indem es gerade auf nicht so stark nachgefragten Strecken im ländlichen Raum fährt, und das Fahrzeugmodell autoELF thematisiert ein privates und individuell gestaltbares Familienfahrzeug.
Seit dem Projektstart im Februar 2018 forschten über 100 Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeiter von 15 Lehrstühlen und neun Unternehmen an diesen innovativen Konzepten für fahrerlose Fahrzeuge und deren Umsetzung. Die Orchestrierung der verschiedenen Kompetenzen der kooperierenden Projektpartner hat maßgeblich dazu beigetragen, die komplexen Fragestellungen des fahrerlosen
Fahrens aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und so neue interdisziplinäre Lösungsansätze zu identifizieren und umzusetzen.
Die Abschlusspräsentation der vier Fahrzeugprototypen sowie des automatisierten Luftfahrzeugs auf dem Aldenhoven Test Center stellte für alle Beteiligten einen wichtigen Meilenstein dar, denn so richtig vorbei ist das Projekt damit nicht. Einerseits wurden und werden die Forschungsergebnisse auf zahlreichen Tagungen präsentiert und veröffentlicht, andererseits bilden die Erkenntnisse dieses Projekts eine wertvolle Basis, auf der Fahrzeughersteller und andere Unternehmen aufbauen können. Ebenso startete bereits das Folgeprojekt AUTOtech.agil, das nicht nur noch offene Fragen der Soft- und Hardware-Architektur adressiert, sondern die Grundlage für ein innovatives und intelligentes Mobilitätssystem schafft. Die Zukunft hat damit bereits begonnen.