1. Februar 2023 | Presseinformationen:

Fabriken für Daten Internationale Forschung zu "self awareness" von datenzentrischen IT-Plattformen

Das Forschungsprojekt „Information Processing Factory“, an dem das Institut für Datentechnik und Kommunikationsnetze der Technischen Universität Braunschweig beteiligt ist, startet in die zweite Projektphase. Ziel ist, die im Zeitalter der Digitalisierung wachsende Komplexität von Chips und vernetzten Systemen mit neuen Prinzipien zu beherrschen. Hierfür hat sich ein Konsortium aus Wissenschaftler*innen der TU München, der University of California in Irvine, der Kookmin University in Südkorea und der TU Braunschweig durch den Betrieb intelligenter Fabriken, in denen sich viele verwandte Fragestellungen finden, inspirieren lassen.

Das Konzept der „Information Processing Factory“ (IPF) wurde in der ersten Projektphase ausgearbeitet. Dieses wurde auf einzelne Chips für sicherheitskritische Anwendungen angewendet, wie sie unter anderem in autonomen Fahrzeugen oder moderner Medizinelektronik zum Einsatz kommen. Im Fokus stand der Betrieb dieser hochkompakten IT-Systeme, in denen Berechnung, Transport und Speicherung von Daten organisiert und dabei Energieverbrauch und Temperatur geregelt, sowie Systemzustand, Alterung und Zuverlässigkeit ständig überwacht werden müssen.

IPF 2.0 im LKW-Fahrzeugverbund

In der zweiten Projektphase wird dieses Steuerungskonzept nun auf sogenannte vernetzte Systeme aus vielen komplexen Chips ausgeweitet. Als Anwendungsbeispiel dient ein Fahrzeugverbund aus autonom fahrenden Lastwagen. Jedes Fahrzeug ist mit vielen vernetzten Chips ausgestattet. Gemeinsam bewerten sie über drahtlose Kommunikation ihr Umfeld, erkennen und vermeiden Gefahren, reagieren auf Hindernisse und koordinieren ihre Wege. Die Anwendung liefert ein neuer Projektpartner, die Kookmin Universität aus Südkorea, die auch einen praktischen Aufbau mit Modellfahrzeugen auf dem Dach eines Universitätsgebäudes in Seoul errichtet hat.

IPF 2.0 nutzt die Arbeiten aus der ersten Phase für einen Paradigmenwechsel im Entwurf von IT-Plattformen, bei dem der robuste und vernetzte Betrieb einer großen Zahl komplexer Chips in den Fokus rückt. Eine solche Refokussierung zielt nicht nur auf die wachsenden Hardwareprobleme am Ende von „Moore’s Law“, nach dem sich die Komplexität integrierter Schaltkreise regelmäßig verdoppelt. Sie wird notwendig, um immer größer werdende Systemkomplexität und Datenmengen zu beherrschen. Das Interesse gilt dabei nicht mehr vorwiegend den Berechnungen der Computer, sondern die Daten, ihre Generierung, Austausch, Nutzung und Speicherung treten in den Mittelpunkt eines datenzentrischen („data-centric“) Betriebs, ähnlich den Produkten, die stets den Kern einer industriellen Produktion bilden. „Computerchips und ihre Funktion sind mittlerweile so kompliziert wie eine Fabrik“, erklärt Professor Rolf Ernst vom Institut für Datentechnik und Kommunikationsnetze, kurz IDA, an der TU Braunschweig.

„Kernpunkt unserer Forschung ist die self awareness der Systeme, dass sie also bei einer Fülle von Daten zur Laufzeit selbst entscheiden können, welche Daten im jeweiligen Moment relevant sind und gebraucht werden, und welche nicht. Und dass sie sich und ihre Ressourcenverwaltung so der Situation selbstständig anpassen können, ohne dass jemand aktiv eingreifen muss“, sagt die wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin Nora Sperling, die neben den Doktoranden Alex Bendrick und Dominik Stöhrmann in Braunschweig an dem Projekt beteiligt ist.

Der Demonstrator am IDA mit seinen verschiedenen Rechnern sieht weniger spektakulär aus als die LKW auf dem Uni-Dach in Seoul, bildet aber für das Braunschweiger Team das Herzstück der Arbeit im Forschungsprojekt IPF 2.0. Er besteht aus vier Switches, also vier „Hauptverkehrsknoten“. Weitere Rechner speisen Daten von Sensoren und Kameras ein.

Zunächst geht es um lokal vernetzte Systeme, die noch über einen gemeinsamen Plan gesteuert werden, hin zu dynamisch kooperierenden Verbünden mit emergentem Verhalten, das mit der Interaktion von Fabriken in globalen Lieferketten vergleichbar ist. Emergentes Verhalten entsteht, wenn aus der Interaktion unabhängiger Systeme eine übergeordnete, neue Funktion entsteht, zum Beispiel ein flexibler Fahrzeugverbund aus interagierenden LKW. Wie eine Fabrik passt sich eine IPF an steigende Anforderungen, die Verfügbarkeit und den Zustand ihrer Ressourcen an und koordiniert die Logistik von IPF-Clustern.

Ziele bis 2025

Die Forschenden aus Deutschland konzentrieren sich auf die dynamische Steuerung von datenzentrischen Fahrzeugplattformen. Mit „Dynamic NUMA“ soll ein neuartiger datenzentrischer Mechanismus für Datenorganisation und Caching entwickelt werden. Damit werden Leistung und Energieeffizienz von verteilten Systemen mit hohem Datenaufkommen verbessert und gleichzeitig die Einhaltung von Sicherheits- und Reaktionszeitgarantien ermöglicht. Die Kolleg*innen aus den USA arbeiten unter anderem daran, an der Westküste der Vereinigten Staaten Fahrszenarien im realen Verkehr nachbilden zu können.

„Nach Ende der zweiten Projektphase im Jahr 2025 wollen wir demonstrieren können, dass self awareness ein wichtiger Bestandteil der nächsten Generation von künstlicher Intelligenz sein wird“, so Professor Rolf Ernst.

Projektinformationen

Bei dem Projekt „Information Processing Factory 2.0“ handelt es sich um eine transatlantische Kooperation der TU Braunschweig mit der TU München, der University of California in Irvine und der Kookmin University in Südkoreas Hauptstadt Seoul. Die gemeinsame Förderung von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der US National Science Foundation (NSF) läuft bis 2025.