Zwischen Biologie, Medizin und Informatik Tim Kacprowski ist neuer Professor für Data Science in Biomedicine
Welche Mechanismen stecken hinter bestimmten Krankheiten und wie helfen Daten dabei, sie besser zu verstehen? Damit beschäftigt sich Tim Kacprowski. Er ist neuer Professor am Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik der Technischen Universität Braunschweig und der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Seit dem 1. Oktober forscht er im Braunschweiger Zentrum für Systembiologie (BRICS) und verstärkt damit den Forschungsschwerpunkt „Infektionen und Wirkstoffe“ der Carolo-Wilhelmina. Im Interview hat er unserer Redakteurin Anna Krings erzählt, warum er in der medizinischen Informatik forscht, welche Rolle dabei biomedizinische Daten spielen und was sein schönstes Erlebnis als Wissenschaftler war.
Professor Kacprowski, sind Sie gut bei uns angekommen?
Bestens, sowohl beruflich als auch privat. COVID-19 legt einem zwar einige Steine in den Weg und das Sozialleben startet langsamer als sonst. Aber wir haben schnell eine tolle Wohnung gefunden und in dem freundlichen, offenen Kollegium fühle ich mich sehr willkommen.
Warum haben Sie sich für die TU Braunschweig entschieden?
Die TU Braunschweig hat von Anfang an für eine sehr angenehme Atmosphäre gesorgt. Mir wurde freundliches Interesse entgegengebracht und ein Umfeld präsentiert, in das meine Forschung gut hineinpasst und das spannende Entfaltungsmöglichkeiten bietet. Auch als Stadt hat uns Braunschweig überzeugt. Durch die passende Stadtgröße, die vielen Parks und die Nähe zum Harz sowie zu Göttingen, wo meine Partnerin derzeit arbeitet, fühlen wir uns hier sehr wohl.
Sie haben zuletzt in Dänemark und München gearbeitet. Welche Schwerpunkte hatten Sie bisher in Ihrer Forschung?
Ich habe erforscht, wie man Informationen und Schlüsse aus hochkomplexen, meist molekularen, biomedizinischen Daten ziehen kann. Solche Daten sind beispielsweise Gensequenzen, Proteine oder Stoffwechselprodukte. Ein Beispiel, das vielleicht viele kennen, sind die TSH- und fT4-Werte der Schilddrüse. Das sind so genannte Biomarker, also bestimmte Moleküle, die gemessen werden, um Diagnosen oder Prognosen zu stellen. Seit kurzem interessiert mich vor allem die Systemmedizin. Also ob wir Krankheiten mit molekularen und klinischen Daten nicht nur besser verstehen, sondern vielleicht sogar neu definieren können. Wenn man wüsste, welcher Mechanismus hinter einer Krankheit steckt – das weiß man tatsächlich nur für erstaunlich wenige Krankheiten – würde dies auch bei der Behandlung enorm weiterhelfen.
Womit werden Sie sich an der TU Braunschweig beschäftigen?
Zum einen werde ich natürlich weiter in diesem Bereich arbeiten. Zum anderen will ich aber auch die verschiedenen involvierten Disziplinen Mathematik, Informatik, Biologie und Medizin stärker lokal vernetzen. Ich bin gespannt, welche Möglichkeiten sich durch die Zusammenarbeit mit den neuen Kolleginnen und Kollegen im PLRI und im BRICS ergeben, beispielsweise um neue netzwerkbasierte Methoden zum Verständnis biomedizinischer Daten zu entwickeln.
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag in drei Schlagworten aus?
Knobeln, Kaffee, Management.
Und wie können wir uns Ihre Arbeit genau vorstellen?
Ich arbeite viel am Computer und beschäftige mich mit Daten. Zum Beispiel erstelle ich Hypothesen und Modelle für Krankheitsmechanismen, die dann später von Kolleginnen und Kollegen im Labor untersucht werden. Oder andersherum: Ich erhalte Daten aus dem Labor und werte diese dann am Computer aus. Da mein Arbeitsplatz im BRICS ist, bin ich sehr nah dran an den Kolleginnen und Kollegen im Labor. Ich bin sicher, dass sich dadurch viele spannende Möglichkeiten für Kooperationen ergeben werden.
Was hat Sie dazu bewogen, in Bereich der medizinischen Informatik zu arbeiten?
Hier möchte ich die Medizininformatik und die Bioinformatik zusammenwerfen. Medizinische und biologische Problemstellungen haben mich schon immer fasziniert. Wie funktioniert eigentlich unser Körper? Wie interagieren verschiedene Organismen, um bestimmte Funktionen zu erfüllen? Wie kommt es zu Krankheiten und wie lassen sich diese heilen oder gar verhindern? Zusätzlich hat mir die Arbeit an und mit Computern schon immer viel Spaß gemacht, genauso wie das Abstrahieren von einzelnen Situationen hin zu vielseitig anwendbaren Analysestrategien. Da bietet sich die Medizin- bzw. Bioinformatik als ideales Arbeitsfeld an.
Was war Ihr schönstes Erlebnis als Wissenschaftler?
Das war wohl der Beginn meines ersten nahezu vollständig selbst entworfenen Projektes. Zusammen mit einem Kollegen habe ich ein interdisziplinäres Projekt geplant, in dem wir die Rolle von alternativem Spleißen bei der Entstehung von Krankheiten untersuchen. Vereinfacht gesagt ist das ein Mechanismus, der es unserem Körper erlaubt, mit dem gleichen Gen unterschiedliche Funktionen zu erfüllen – in etwa so, als würden Sie aus einem Multifunktionswerkzeug die verschiedenen Werkzeuge ausklappen. Es begeistert mich einfach, ganz reale biomedizinische Probleme mit den doch eher abstrakten Lösungsstrategien der Mathematik und Informatik zu lösen.
Welche Schwerpunkte sehen Sie in der medizinischen Informatik?
In der medizinischen Informatik dreht sich natürlich alles um Daten. Das können Molekulardaten, Sensordaten, klinische Daten oder dergleichen sein. Momentan wird sehr intensiv darüber diskutiert, wie man diese Daten zum Beispiel über einzelne Krankenhäuser hinaus nutzbar machen kann, ohne die Datensicherheit dabei zu gefährden. Hier tut sich gerade einiges und ich denke, dieser Schwerpunkt wird uns noch einige Innovationen bescheren.
Was sind Ihre Pläne für die Arbeit am Institut, welche Ideen haben Sie?
Am PLRI verbinde ich die Bereiche der Medizininformatik und der Bioinformatik. Konkret bedeutet das, dass ich zum Beispiel die sensor-basierte Datenerfassung und Auswertung, wie sie im PLRI in Smarthomes oder Autos als diagnostic space entwickelt wird, um Molekulardaten erweitern will. Darüber hinaus ist es mir wichtig, auch öffentlichkeitswirksam über die Möglichkeiten und Grenzen der künstlichen Intelligenz aufzuklären und die damit verbundenen ethischen und gesellschaftlichen Fragestellungen zu diskutieren. Mit der zusätzlichen Anbindung an die Medizinische Hochschule Hannover ist das PLRI in einer hervorragenden Position, diese Aspekte standortübergreifend und interdisziplinär anzugehen. Aktuell plane ich beispielsweise zusammen mit Kolleginnen und Kollegen der MHH und der TU München eine internationale Summerschool für Systemmedizin, um dieses Forschungsgebiet auch in Braunschweig zu stärken. Es gibt auch einige Ideen in den Bereichen Datensicherheit oder robusterer mechanistischer Biomarker, die von der engen Kooperation verschiedener Einrichtungen wie dem PLRI, dem BRICS, dem Institut für Systemsicherheit und anderen leben, die nun ausgestaltet werden müssen.
Was sind für Sie die besonderen Herausforderungen des Wintersemesters 20/21?
Es ergeben sich natürlich kleinere Herausforderungen, die aus dem Neuanfang hier an der TU Braunschweig resultieren. Man muss sich in die lokalen Abläufe und Regularien einfinden, die an manchen Stellen eben doch anders sind, als an der vorherigen Uni. Dabei bekomme ich jedoch erstklassige Unterstützung von allen Beteiligten. Die größere Herausforderung, vor der wir ja alle noch immer stehen, ist sicherlich der Umgang mit der Corona-Situation. Bestehende Lehrkonzepte müssen überarbeitet und teils neu erprobt werden, um eine effektive Onlinelehre zu gewährleisten. Bisher habe ich mit den gängigen Videokonferenzsystemen überwiegend positive Erfahrungen gemacht.
Was möchten Sie den Studierenden dabei mit auf den Weg geben?
Versuchen Sie auch in Online-Veranstaltungen so präsent zu sein wie in Präsenzveranstaltungen. Eine gute Lehre lebt zu einem großen Teil vom Miteinander, was wir auch zu Corona-Zeiten nicht vergessen sollten. Und generell: Studieren Sie aus Interesse und schauen Sie über den fachlichen Tellerrand hinaus. Lernen Sie frühzeitig eigenverantwortlich zu lernen und zu arbeiten, gerade jetzt ist das extrem wichtig.