Wie nachhaltig können Elektroautos sein? Ein Gespräch über Wertschöpfungsketten und Produktlebenszyklen
Das Elektroauto ist der Hoffnungsträger für den umweltfreundlichen Straßenverkehr. Doch wenn wir über Nachhaltigkeit sprechen, geht es um mehr als saubere Luft in Innenstädten. Die Forschung setzt sich deshalb mit der nachhaltigen Produktion und dem Recycling auseinander. Ziel ist dabei eine lebenszyklusorientierte Betrachtung des gesamten Automobilsektors. Ein Gespräch mit Professor Thomas Spengler, Leiter des Instituts für Automobilwirtschaft und Industrielle Produktion an der TU Braunschweig, und Forschungsgruppenleiter Dr. Christian Thies.
Elektrofahrzeuge gelten während ihrer Nutzung als emissionsfrei. Stimmt das?
Professor Spengler: In der Nutzungsphase werden E-Fahrzeuge als emissionsfrei angesehen. Dabei kommt es jedoch auf die Frage an, wo der Strom herkommt. Wenn der Strom vollständig oder im Strommix überwiegend aus regenerativen Quellen stammt, dann stimmt das.
Dr. Thies: Ab Werkstor trägt das E-Auto einen größeren ökologischen Rucksack mit sich. Zu 50 Prozent ist die Batterie dafür verantwortlich. Man muss aber auch hier betrachten, wie groß die Batterie dimensioniert ist – eine Batterie für einen Mittelklassewagen oder SUV macht den ökologischen Rucksack größer als eine Batterie für einen Kleinwagen.
Wie sieht die Ökobilanz im Vergleich zu einem Verbrenner aus? Kann das E-Mobil dann trotz der Aufwände für die Batterie mithalten?
Dr. Thies: Über den Lebenszyklus gesehen sticht das E-Auto den Verbrenner aus, wenn der Anteil der erneuerbaren Energien im Strommix während der Nutzung ausreichend groß ist.
Ansonsten käme es ja nur zu einer Verlagerung der Emissionen – also vom Straßenverkehr weg zum Kohlekraftwerk.
Professor Spengler: Genau, das kann aber nicht in unserem Sinne sein. Dennoch: Emissionen in der Stadt durch den Straßenverkehr stellen eine große Umweltbelastung und gesundheitliche Beeinträchtigung dar. Diese werden lokal durch E-Autos vermieden, unabhängig davon, wie sich der Strommix zusammensetzt.
Das heißt, damit sich ein E-Auto unter den heutigen Bedingungen ökologisch betrachtet rentiert, muss man die gesamte Lebensdauer des Autos im Blick haben.
Professor Spengler: Die technische Lebensdauer des E-Autos ist vergleichbar mit einem Auto mit Verbrennermotor. Fraglich ist noch die Lebensdauer der Batterie. Dazu liegen noch keine Langzeiterfahrungen vor.
Dr. Thies: Eine Batterie für ein E-Auto kann bis zu 1.000 Ladezyklen halten. Das entspricht etwa 300.000 bis 500.000 Kilometern Fahrleistung. Mit einem Break-Even, also dem Ausgleich der Ökobilanz, rechnet man ab einer Fahrleistung von rund 20.000 bis 50.000 Kilometern – bei einem Strommix, der überwiegend auf regenerativer Energieerzeugung beruht.
Noch einmal zum Lebenszyklus einer Batterie: Welche Auswirkungen in der Produktionsphase hat der gesteigerte Bedarf von Ausgangsrohstoffen wie Kobalt und Kupfer?
Professor Spengler: Einige der Rohstoffe werden unter sehr schwierigen Bedingungen gewonnen – durch Kinderarbeit, in Krisengebieten, mit hohem Korruptionsrisiko. Arbeitsbedingungen und Arbeitssicherheit sind jedoch wichtig in der Nachhaltigkeitsbewertung. Es geht dabei also nicht nur um ökologische, sondern auch um soziale Aspekte. Um das zu verbessern, muss man Transparenz in die Lieferketten bringen und auch klare Entscheidungen treffen, ob man sich Rohstoffe aus dem Kongo oder aus Australien liefern lassen möchte.
Dr. Thies: Wir haben es hier mit einem enormen Nachfragewachstum zu tun. Das führt sogar so weit, dass Automobilhersteller selbst aktiv werden und direkt mit Minenbetreibern langfristige Lieferverträge für Batterierohstoffe abschließen, um eine die Versorgung ihrer Fahrzeugwerke mit nachhaltigen Batterien sicherzustellen.
Batterien werden bereits bei einer Reduktion der Leistung auf 80 Prozent ausgetauscht. Wie nachhaltig ist das Nachrüsten?
Professor Spengler: Gewiss werden Batterien in ihren Eigenschaften immer weiter verbessert, ihr Gewicht reduziert oder die Kapazität erhöht. Allerdings werden auch völlig neue Batterietechnologien wie Festkörperbatterien erforscht, auch hier an der Battery LabFactory der TU Braunschweig. Eine Kompatibilität für Bestandsfahrzeuge zu gewährleisten, bringt gewisse Herausforderungen mit sich, die das Nachrüsten aufwendig machen. Deshalb ist es wichtig, modulare Baukästen zu konzipieren, damit Automobilhersteller den Schritt mitgehen können. Nachhaltig wäre also in dem Fall, eine Aufwärtskompatibilität einzurichten.
Was passiert mit den ausgetauschten Batterien? Alles Schrott?
Dr. Thies: Batterien können für die Weiterverwendung aufbereitet werden und neuen Nutzungen zugeführt werden. Ihnen wird ein zweites Leben gegeben, zum Beispiel als Zwischenspeicher von Solar- und Windkraftanlagen oder in privaten Haushalten.
Was macht das Ausrangieren von endgültig unbrauchbaren Batterien zum Problem?
Dr. Thies: Ich würde das gar nicht als Problem bezeichnen. Recycling bietet viele Chancen: Schließlich sind in der Batterie viele Rohstoffe enthalten, die nicht nur einen hohen Materialwert besitzen, sondern auch verwendet werden können, um Primärrohstoffe zu ersetzen. Es gilt also, so viel wie möglich an Rohstoffen wieder herauszuholen. Dazu forschen wir im neuen Kompetenzcluster „Recycling / Grüne Batterie“ (Sprecher: Professor Christoph Herrmann, TU Braunschweig) zusammen mit vielen weiteren Partnern aus Braunschweig und ganz Deutschland. Das Ziel ist, Wertschöpfungsketten zu schließen, recycelte statt neu gewonnene Rohstoffe zu verwenden. Technologisch ist es bereits möglich, über 90 Prozent der enthaltenen Stoffe wiederzugewinnen!
Professor Spengler: Natürlich geht es auch um betriebswirtschaftliche Fragen. Schließlich ist der Bau einer Recyclinganlage eine große Investition. Um das auf den Punkt zu bringen: Man sollte sich nicht auf eine Recyclingquote, sondern auf strategisch wichtige Stoffe konzentrieren.
Recycling selbst ist manchmal teurer und umweltbelastender als die Gewinnung des Rohstoffs aus der Natur. Wird es in absehbarer Zeit eine vollwertige Recyclinglösung geben, die wirtschaftlich sinnvoll und umweltneutral ist?
Dr. Thies: Wir beobachten derzeit zwei Entwicklungen. Der Fokus des Marktes liegt in der kostengünstigen Produktion von Batterien. Das heißt zum Beispiel: Teure Rohstoffe werden ersetzt (Kobalt durch Nickel), statt zu schrauben wird verklebt. Für das Recycling wird damit der Aufwand größer, der Wert wiedergewonnener Materialien geringer, die Erlöse sinken. Andererseits werden immer größere Mengen an Altbatterien anfallen, die Skalen- und Lerneffekte ermöglichen und damit Kosteneinsparungen nach sich ziehen, die das Geschäft wieder attraktiv machen.
Professor Spengler: Was hier deutlich wird, ist, dass wir verstehen müssen, wo die Ansatzpunkte zur Optimierung im Lebenszyklus einer Batterie liegen. Wir schauen in der Forschung erstens auf die Technologie (wie gestalte ich das Produkt), zweitens die gesamte Wertschöpfungskette von der Rohstoffgewinnung über Produktion und Nutzung bis zur Verwertung und drittens auf das System: Wie viele E-Fahrzeuge braucht man eigentlich? Welchen Anteil übernimmt der öffentliche Verkehr? Wie kann man Mobilitätsketten schaffen? Diese Systembetrachtung ist wichtig, auch dafür, wie das Recycling skaliert werden sollte.