18. Mai 2022 | Magazin:

Wie Bewegung die Sprache fördert Sportwissenschaftler*innen erproben Konzept für spielerisches Deutschlernen

Turnhalle statt Klassenzimmer, Turnschuhe statt Stift und Papier, spielerisches Lernen statt Frontalunterricht – darauf setzt das Projekt „Bewegung und Sprachförderung (BuS)“ des Instituts für Sportwissenschaft und Bewegungspädagogik der Technischen Universität Braunschweig. Ziel ist es, Grundschüler*innen so beim Erlernen der deutschen Sprache zu unterstützen. Wie das Konzept genau funktioniert, durfte sich unsere Volontärin Lisa Ryll eine Stunde lang persönlich ansehen.

„Alles steht heute unter dem Thema ‚Präpositionen‘“, erklärt mir zu Beginn Lena Hiete, Master-Lehramtsstudentin im zweiten Semester an der TU Braunschweig. Sie betreut zusammen mit Nils Schwencke, Master Lehramt im vierten Semester, die heutige BuS-Stunde in der Grundschule Diesterwegstraße in Braunschweig. Dann geht es auch schon los. Ein lauter Pfiff! Alle Kinder sammeln sich zusammen mit Lena und Nils in einem Kreis. Heute sind es acht Schülerinnen und Schüler. Alle haben einen Migrationshintergrund und sprechen Deutsch als Fremdsprache. Gemeinsam mit Alicia Ahrens und Jasmina Steege, zwei weiteren studentischen Hilfskräften des Projekts, stelle ich mich dazu.

Feuer, Wasser, Präpositionen

Lena Hiete erklärt die erste Übung. Diarta (l.) und Klea (r.) hören gespannt zu. Bildnachweis: Markus Hörster/TU Braunschweig

Zunächst erklärt Lena in einfachen Worten und mit vielen Gesten, was heute bevorsteht. Den Anfang macht eine Art „Feuer, Wasser, Blitz“ in der Deutschunterrichtsversion. „Lauft alle durch die Halle. Dann rufe ich euch Aufgaben zu“, sagt sie. Manche Kinder nicken, für andere greift sie zu einem Zettel, der die Übung verbildlicht. „Ich sage zum Beispiel ‚Springt auf etwas‘. Dann springt ihr auf eine Matte oder Bank drauf.“ Gesagt, getan. Anfangs noch etwas durcheinander, aber nach einigen Runden und ein paar kurzen Blicken auf den bebilderten Spickzettel klappt es richtig gut. Nur bei „Springt über etwas drüber“ haben manche Kinder Probleme – es sind aber auch schwierige Wörter.

Nils Schwencke leitet zusammen mit Lena Hiete die heutige Stunde. Bildnachweis: Markus Hörster/TU Braunschweig

Anschließend wieder ein Pfiff und alle kommen zurück in den Kreis. „Jetzt möchten wir noch einmal die Übung Revue passieren lassen, um alles etwas besser zu festigen“, klärt Nils mich leise auf. Die Schülerinnen und Schüler sollen nicht nur zuhören, sondern selbst sprechen und in eigenen Worten erzählen, was sie eben gemacht haben. „Ich bin auf die Matte gesprungen!“, berichtet die siebenjährige Klea, die gebürtig aus Albanien stammt. „Und ich über die Bank!“, ergänzt Diarta. Sie ist ebenfalls sieben Jahre alt und kommt aus dem Kosovo. Die beiden gehören zu den Kindern, denen es am leichtesten fällt, Deutsch zu sprechen. Andere Kinder sind stiller und haben noch Schwierigkeiten, Sätze auf Deutsch zu formulieren.

Darüber, hinauf, herunter

Jetzt geht es mit der Stationsarbeit weiter. An vier Stellen in der Turnhalle werden weitere Übungen aufgebaut, alle fassen mit an. Bauklötze werden zu einer Hindernisbahn gestapelt, Sprungbretter aufgestellt und die Sprossenwand wird ausgefahren. Zuerst erklären wieder Lena und Nils, was die Kinder an den unterschiedlichen Geräten machen sollen. Wenn eines etwas nicht versteht, hilft entweder ein weiterer visueller Spickzettel oder ein*e Mitschüler*in springt ein. Dabei merke ich deutlich, dass das Prinzip des Projektes „Bewegung und Sprachförderung“ simpel ist, aber äußerst effektiv: Die Erwachsenen geben nicht einfach alles vor, sondern ermuntern und regen an. Den Rest sollen die Jungen und Mädchen selbst erledigen. Ganz automatisch und fast schon nebenbei üben sie währenddessen das Sprechen.

Die Grundschülerinnen Klea und Diarta haben Spaß beim Bauen eines Hindernisparcours. Bildnachweis: Markus Hörster/TU Braunschweig

Nils Schwencke erklärt Michael und Avasyu (v.r.) die Bewegungs-Station „Fußstapfen“. Bildnachweis: Markus Hörster/TU Braunschweig

Avasyu (l.) zeigt Lehramtsstudentin im sechsten Bachelorsemester, Jasmina Steege, was er kann und wie er auf die Matte springt. Bildnachweis: Markus Hörster/TU Braunschweig

Alicia Ahrens, Lehramtsstudentin im zweiten Mastersemester und studentische Hilfskraft beim BuS-Projekt. Bildnachweis: Markus Hörster/TU Braunschweig

Alicia Ahrens unterstützt Michael und Avasyu an der Sprossenwand. Die beiden springen von etwas herunter. Bildnachweis: Markus Hörster/TU Braunschweig

An der Bausteine-Station treffe ich wieder auf Klea und Diarta. Sie sind gerade damit beschäftigt, einen Hindernisparcours aufzubauen und eifrig über die Aufgabe zu diskutieren. Auf meine Nachfrage hin verrät mir Diarta: „Etwas zu bauen, macht mir immer am meisten Spaß! Man kann viel ausprobieren. Und alles, was mit Springen zu tun hat, ist toll!“ Während die Mädchen weitermachen, erzählt Lena: „Die Fortschritte der Zwei sind bemerkenswert. Klea und Diarta reden total flüssig und verstehen fast alles.“

Nicht nur die Kinder lernen

Nach Abschluss der Stunde nehmen sich die vier Lehramtsstudierenden noch einmal etwas Zeit und erzählen mir von ihren Erfahrungen und Eindrücken. Alle eint die Begeisterung über die Wissbegierde der Kinder. „Es ist schön, ihre Kreativität beim Lösen der Aufgaben zu beobachten. Zu sehen, wie sie sich auf Deutsch damit auseinandersetzen und wie stolz sie ihre Ergebnisse präsentieren“, sagt Alicia. „Man gewinnt sie alle sehr schnell lieb. Für mich gibt es keine bessere, praxisnahe Hiwi-Tätigkeit, um neben den Praktika erste Lehrerfahrungen zu sammeln. Im Hörsaal kann man so etwas nicht nachempfinden. Dadurch, dass wir die Übungen selbst erarbeiten, können wir die in der Uni erlernte Theorie praktisch anwenden.“ Ich sehe die Begeisterung in ihren Augen.

Den Erfolg des Projekts, erfahre ich, erkennt man nicht nur an den regelmäßigen Gesprächen zwischen den Studierenden und den Lehrer*innen der Kinder, mit denen sich Lena, Nils, Alicia und Jasmina regelmäßig austauschen. Seit April dieses Jahres findet „Bewegung und Sprachförderung“ an einem weiteren Standort statt. Mit der Realschule Hoffman von Fallersleben sind es nun vier Schulen, die BuS-Stunden anbieten.

Vielen Dank für die vergangenen sechzig Minuten und die faszinierenden Einblicke in eine ganz andere Art des Lernens.


Über das Projekt

Die Idee zum Projekt stammt von Dr. Andrea Probst, Lehrkraft für besondere Aufgaben am Institut für Sportwissenschaft und Bewegungspädagogik. Bereits seit 2016 wird Kindern aus unterschiedlichen Herkunftsländern bewegungsorientierte Sprachförderung geboten. Durch eine Zusammenarbeit mit der Grundschule Diesterwegstraße sowie durch finanzielle Unterstützung unter anderem des Rotary Club Braunschweig und des Beirats Kinderarmut der Stadt Braunschweig konnte das Team expandieren und bietet „BuS“ nun an insgesamt vier Standorten an: an der Grundschule Diesterwegstraße, der Grundschule Bebelhof, der Grundschule Altmühlstraße und seit Neuestem auch in der Realschule Hoffman von Fallersleben. Wer das Projektteam selbst gern unterstützen möchte, kann sich an Dr. Andrea Probst wenden.