Was haben Forschende davon, wenn sie öffentlich kommunizieren? Studie mit Wissenschaftler*innen interdisziplinärer Forschungsverbünde
Pressemitteilung der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster
Eine Studie der Psycholog*innen Dr. Friederike Hendriks von der Technischen Universität Braunschweig und Professor Rainer Bromme von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zeigt, dass die Kommunikation mit Gruppen außerhalb der Fachwelt positive Rückwirkungen auf die wissenschaftliche Zusammenarbeit von Forschenden verschiedener Fachgebiete haben kann. Das Team befragte Wissenschaftler*innen aus Forschungsverbünden zu Aktivitäten wie Wissenschaftsausstellungen, Schülerworkshops, Audio- und Videobeiträgen sowie öffentlichen Vorträgen. Die Studie ist in „Science Communication“ erschienen.
Wissenschaftler*innen, die ihre Forschung in die Gesellschaft vermitteln, sehen nach einer jetzt veröffentlichten Studie positive Rückwirkungen auf ihre wissenschaftliche Arbeit. „Als Folge ihres Engagements in der öffentlichen Kommunikation nahmen die von uns befragten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einerseits einen Anstieg ihrer persönlichen Motivation und Kompetenz für öffentliche Kommunikation und andererseits Mehrwerte für die Vernetzung und den Wissensaustausch mit Kollegen anderer Fachgebiete innerhalb interdisziplinärer Forschungsverbünde wahr“, erläutert die Psychologin Dr. Friederike Hendriks von der TU Braunschweig. Gemeinsam mit dem Psychologen Prof. Dr. Rainer Bromme von der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster erhob sie Einschätzungen von Wissenschaftler*innen der WWU zu ihren Aktivitäten in der öffentlichen Kommunikation zweier interdisziplinärer Forschungsverbünde im Gebiet Zelldynamik und Bildgebung. Hintergrund sei, dass Wissenschaftler*innen, die sich in der Kommunikation mit gesellschaftlichen Gruppen engagieren, ihren spezialisierten Blick auf das eigene Forschungsgebiet erweitern müssten, um komplexe Themen verständlich zu machen. Da dies auch für Interaktionen mit Kolleg*innen anderer Fachdisziplinen gelte, könne Kommunikation mit Gruppen außerhalb der Wissenschaft gleichzeitig die Kommunikation zwischen verschiedenen Disziplinen innerhalb der Wissenschaft fördern.
Die Befragten sahen kaum negative Effekte ihrer Kommunikation mit gesellschaftlichen Gruppen. Sie waren sich allerdings einig, dass ihre zeitlichen Ressourcen dafür begrenzt sind. Promovierende waren in den Einschätzungen zu ihrer Rolle in der öffentlichen Kommunikation und den Mehrwerten ihres Engagements insgesamt zögerlicher als in ihrer Karriere weiter fortgeschrittene Nachwuchswissenschaftler*innen und Professor*innen. „Als Wissenschaftler muss man Prioritäten angesichts vielfältiger Aufgaben abwägen“, sagt Rainer Bromme. „Unserer Studie kann dazu beitragen, dass deutlich wird: Wissenschaftskommunikation ist nicht nur ein Aufwand für Andere, den man noch auf viele weitere Aufgaben draufpackt – sie kann auch Gewinn für die eigene Arbeit erbringen“, betont er. Öffentliche Kommunikation fordere und fördere zugleich das Reflektieren über die eigene Forschung und die Beziehung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft.
Grenzen zu überwinden ermöglicht Lernen auf vielfältigen Ebenen
Als positive Nebeneffekte ihrer Kommunikationsaktivitäten für die wissenschaftliche Zusammenarbeit benannten die befragten Wissenschaftler*innen beispielsweise das Finden einer „gemeinsamen Sprache“ zwischen verschiedenen Disziplinen sowie den Überblick über Forschungsprojekte und ein besseres Verständnis der Forschung von Kolleg*innen anderer Fächer. In einem Fall führte der über Aktivitäten zur Wissenschaftskommunikation entstandene Kontakt zwischen Forschungsgruppen zu einem gemeinsamen wissenschaftlichen Projekt. Der Großteil der Befragten berichtete zudem, dass ihnen die Aktivitäten Freude bereiteten, dass sie eine Verbesserung ihrer Fähigkeiten in der öffentlichen Kommunikation wahrnahmen und dass die positiven Erfahrungen zu weiterem Engagement motivierten. Einzelne erzählten zudem, dass die Interaktion mit nicht fachkundigem Publikum sie dazu angeregt habe, ihre eigene Arbeit auf abstrakterer Ebene zu reflektieren. Diesem vielfältigen Potenzial waren die Forschenden auf Grundlage der Theorie des „boundary crossing“ nachgegangen. „Wenn man sich in der Kommunikation mit anderen Personen Grenzen vergegenwärtigt und diese überwindet, ermöglicht das auch immer, etwas über sich selbst und über sein Gegenüber zu lernen“, erläutert Friederike Hendriks.
Wissenschaftskommunikation als gewinnbringende Gemeinschaftsaufgabe
Im Vergleich mit Postdocs und Professor*innen schätzten Promovierende die eigene Forschung als weniger interessant für die Öffentlichkeit ein und waren eher der Meinung, dass sie von Wissenschaftskommunikation in ihrer Karriere nicht profitieren würden oder dass diese von erfahrenen Personen gemacht werden sollte. „Als Doktorand arbeitet man meist an kleineren Forschungsfragen, die man erst im Laufe der eigenen Expertise-Entwicklung immer mehr in größere Zusammenhänge einordnen kann, die dann auch für gesellschaftliche Gruppen interessant werden“, erklärt Friederike Hendriks. Daher sei es wichtig, über Formate der Wissenschaftskommunikation nachzudenken, die für Promovierende inhaltlich und zeitlich angemessen seien. Dies sei in den an der Befragung beteiligten Forschungsverbünden beispielsweise in Laborworkshops für Schüler und mit Beiträgen zu Bilderausstellungen gelungen.
Die hohe Beteiligung der Befragten an Kommunikationsaktivitäten zeige zudem, dass Forschungsverbünde dazu beitragen können, eine Kultur zu etablieren, in der Kommunikation als Gemeinschaftsaufgabe, die wertgeschätzt wird, und nicht als belastende Zusatzaufgabe gesehen werde. Friederike Hendriks selbst arbeitet mit ihrer Nachwuchsforschungsgruppe fourC derzeit an der Entwicklung von Kommunikationstrainings für Nachwuchsforscherinnen und Nachwuchsforscher. Darin will sie forschungsbasierte Strategien und Kompetenzen vermitteln, die dabei helfen, verständliche und das Gegenüber involvierende Gespräche über Wissenschaft zu führen.
Stichprobe und Kommunikationsaktivitäten im Fokus der Studie
Befragt wurden 75 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Karrierestufen und Fächer – Promovierende, Postdocs sowie Professor*innen aus der Medizin, Biologie, Chemie, Physik, Mathematik und Informatik – die in Forschungsverbünden über Fächergrenzen hinweg zusammenarbeiten. Zu den beteiligten Verbünden gehörten der Sonderforschungsbereich 656 „Molekulare kardiovaskuläre Bildgebung“ sowie der Exzellenzcluster „Cells in Motion“ der WWU. Im Fokus der Untersuchung standen von diesen Verbünden initiierte Aktivitäten. Diese reichten von Laborführungen, Workshops und Vorträgen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene über Ausstellungen mit interaktiven Exponaten sowie Bildern aus der Wissenschaft bis zu Informationsmedien wie Webseiten, Broschüren, Audio- und Videoformaten sowie Pressearbeit.
Die Untersuchung wurde in den Jahren 2016 und 2017 durchgeführt und ist jetzt in der sozialwissenschaftlichen Fachzeitschrift „Science Communication“ erschienen. Friederike Hendriks war zum Zeitpunkt der Befragung an der WWU tätig.