14. April 2020 | Magazin:

Von Hamsterkäufen und sozialer Distanzierung Fünf Fragen an die Psychologie-Professorin Beate Muschalla

Ob in den sozialen Medien, im Supermarkt oder im Freundes- und Kollegenkreis: Die Corona-Krise ist allgegenwärtig. Sie hat nicht nur die Arbeitswelt, sondern auch das Privatleben vieler Menschen tiefgreifend verändert. Wie wirkt sich das auf die Psyche aus? Im Interview erklärt Professorin Beate Muschalla vom Institut für Psychologie, warum es uns schwer fällt, für längere Zeit allein zu sein, was Hamsterkäufe aus psychologischer Sicht bedeuten und ob wir in Ausnahmesituationen wie dieser eher zusammenrücken oder auseinanderdriften.

Frau Muschalla, wieso fällt es uns schwer, für mehrere Wochen allein zu sein?

Menschen sind – wie viele Säugetiere – vom Grundsatz her „Rudeltiere“. Soziales Miteinander ist evolutionär bedingt sinnvoll, hat früher zum Überleben der Spezies beigetragen. Einzelkämpfer sind eher Gefahr gelaufen gefressen zu werden. Auch heute funktioniert menschliches Beisammensein, soziale Entwicklung und Erfolg in unterschiedlichsten Gruppenkonstellationen. Wenn da plötzlich ein Großteil der Gruppen weggenommen wird, ist das gegen die menschliche Natur und für viele Menschen eine Herausforderung.

Isolation, soziale Distanzierung, Ausgangssperre – das sind Begriffe, die in der aktuellen Situation oft fallen. Was passiert aus psychologischer Sicht, wenn Menschen für längere Zeit isoliert sein müssen?

Studien bei Tieren und Menschen haben gezeigt, dass Isolation die Sensibilität gegenüber sozialen Bedrohungen (Raubtierausweichen) erhöht und die Erneuerung sozialer Verbindungen motiviert. Weitere Forschungen legen nahe, dass der soziale Schmerz der Einsamkeit sich als Signal dafür entwickelt hat, wenn die Verbindungen zu anderen schwächer werden, und dass er die Reparatur und Aufrechterhaltung der Verbindungen zu anderen motiviert, die für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden und für das Überleben unserer Gene notwendig sind. Diese Empfindung ist bei Menschen unterschiedlich ausgeprägt. Sie ist zum Teil auch erblich bedingt, deshalb kann es bei Menschen ein unterschiedlich ausgeprägtes Bedürfnis geben, soziale Kontakte beizubehalten oder wiederzuerlangen, oder kreativ Wege zu finden, Sozialkontakte, auch mit technischen Hilfsmitteln, neu zu gestalten.

Was kann man tun, um die soziale Isolation erträglicher zu machen? Was sollte man zum Beispiel beim Home-Office beachten?

Empfehlenswert ist, das Home-Office grundsätzlich wie den realen Arbeitsplatz zu verstehen und ihm möglichst ähnlich zu gestalten. Das heißt, die Tätigkeit im Home-Office so anzugehen, wie man sie auch bei der Arbeit angehen würde. Man zieht sich zum Beispiel so an, als würde man zur Arbeit gehen. Außerdem sollte man sich den Arbeitsplatz so gut es geht ohne allzu viele ablenkende Reize oder Störquellen einrichten. Arbeitsstruktur und Pausen sollten eingehalten werden und auch fixe Termine, wie die wöchentliche Teambesprechung, sollten nach Möglichkeit aufrechterhalten werden. Dabei ist es hilfreich, verfügbare Kommunikationstools wie zum Beispiel Video-Konferenzplattformen wie BigBlueButton, DFNconf, WebEx oder Telefonkonferenzen zu nutzen.

Man sollte sich darauf einstellen, dass es am Anfang hakt und die Dinge nicht gleich gut funktionieren. Fehlertoleranz, das Abwarten der Lernkurve und Geduld sich selbst und dem Team gegenüber sind hier hilfreich. Durch den fehlenden persönlichen Kontakt fallen wichtige Infoquellen von Gesprächspartnern weg, wie Stimme, Mimik oder Körperhaltung. Deshalb ist es wichtig, sich noch präziser auszudrücken, um Missverständnisse zu reduzieren. Arbeitspausen können auch aktiv gestaltet werden, mit privaten Telefonaten oder Videochats, oder auch aktiv mit einem Spaziergang in der Natur. Licht, Luft und Natur tun erwiesenermaßen der Stimmung gut und ein Ortswechsel unterstützt das Aufladen der Batterien.

Generell sollte man seinem üblichen Arbeits- und Tagesrhythmus folgen, also nichts grundlegend ändern. Wem es in der Pause guttut, sich zu bewegen und von Kommunikationstools wegzukommen, der sollte das tun. Wem der virtuelle Kaffee-Chat mit einer Freundin guttut, weil man im Arbeitstag eher Einzelaufgaben hat, der sollte solche Austauschformate pflegen.

Ob Toilettenpapier, Nudeln oder Mehl – ein Phänomen, das uns im Moment häufig beim Einkaufen im Supermarkt begegnet, sind Hamsterkäufe. Woher kommt ein solches Verhalten?

Zum einen ist das ein aktives Verhalten, das Ungewissheit reduzieren kann. Man tut etwas, kauft Dinge, um sich abzusichern. Das hält sich besser aus, als abzuwarten und zuzusehen, wie andere etwas tun. Man kauft dann auch Dinge, die man sonst nicht in dem Ausmaß kauft, und von denen man auch nicht recht weiß, ob es überhaupt sinnvoll ist, sie jetzt vermehrt zu besitzen. Man hat dann aber schon mal vorgesorgt, was die Unsicherheit kurzfristig reduziert.

Ein zweiter wichtiger Mechanismus ist die Nachahmung von Modellverhalten. Wenn da jemand ist, der vermehrt diese Produkte kauft, kann das interpretiert werden, als ob das jetzt wichtig ist. Es entsteht ein Nachahmungseffekt, und wenn viele Menschen vermehrt kaufen, entsteht tatsächlich eine Knappheit bei diesen Produkten. Das wiederum „bestätigt“ den Hamsterkäufern die Richtigkeit ihres Verhaltens, etwa im Sinne „Gut, dass ich schnell war und vorgesorgt habe“.

Während die einen Lebensmittel und andere Dinge hamstern, gibt es auf der anderen Seite auch viele Beispiele für Solidarität und Unterstützung. Neigen Menschen in Ausnahmesituationen wie dieser eher zu Egoismus oder rücken wir als Gesellschaft enger zusammen?

Es sind beide Trends zu beobachten, und beides ist nachvollziehbar. Zum einen ist verständlich, dass die Menschen für sich und in erster Linie ihre nächsten Angehörigen (oft tatsächlich bevorzugt die Blutsverwandten) sorgen wollen. Auch das ist ein stückweit evolutionär für das Überleben der eigenen Gruppe sinnvoll. Zum anderen gibt es auch genügend Menschen, die sich wenig Sorgen um ihre Existenz machen müssen, die ihren Arbeitsplatz behalten und gesund sind, und die somit Ressourcen haben, Mitmenschen zu unterstützen, und die dies dann auch tun.

Teilweise wird Unterstützungsverhalten auch von außen belohnt, zum Beispiel wenn Studierende Punkte für ihr Studium erhalten für psychosoziale Hilfe-Aktivitäten. Auch hier gibt es Modell- und Gruppeneffekte: Wenn Helfen „angesagt“ ist und sozial honoriert wird, werden mehr Menschen geneigt sein, das auch zu tun.

Vielen Dank für das Interview.