26. November 2023 | Magazin:

Von Deutschland nach Neuseeland und zurück Lehrtherapeutin Carolin Ritter über ihre Arbeit in zwei Ländern

2007 wanderte die TU-Absolventin Carolin Ritter nach Neuseeland aus. An der University of Canterbury ist die Psychologische Psychotherapeutin als Lehrtherapeutin in der klinischen Psychologie tätig. Seit dem Sommer ist Carolin Ritter für eine Elternzeitvertretung zurück in der Heimat und bildet am Institut für Psychologie der TU Braunschweig zukünftige Psychotherapeut*innen aus.

Wie groß sind die Unterschiede zwischen dem Psychologiestudium und Ihrer Tätigkeit in Neuseeland und Deutschland?

Carolin Ritter: Ich arbeite in beiden Ländern hauptsächlich mit Studierenden, die approbierte psychologische Psychotherapeut*innen werden möchten, also Studierende, die mindestens schon einen Bachelorabschluss in Psychologie haben. In beiden Ländern wird mit kleinen Gruppen von Studierenden gearbeitet. Zusätzlich zu therapiebezogener Lehre, beginnen Studierende dann auch ihre ersten praktischen Erfahrungen mit Patient*innen zu sammeln, angeleitet von erfahrenen psychologischen Psychotherapeut*innen.

In dieser Tätigkeit gibt es zwar kleine Unterschiede im Arbeitsleben, aber was mich bei meinem jetzigen Aufenthalt an der TU Braunschweig eher überrascht hat, war, wie ähnlich das Arbeitsleben in den beiden Ländern ist und wie sehr sich in der therapiebezogenen Lehre sowie in der Betreuung der praktischen therapeutischen Tätigkeiten der Studierenden ähnliche Fragen und Themen auftun.

Ein großer Unterschied zwischen dem neuseeländischen und dem deutschen Psychologiestudium ist das Bachelorstudium. Während es in Deutschland an den staatlichen Universitäten zugangsbeschränkt ist, gibt es in Neuseeland beim Bachelorstudium der Psychologie keinerlei Beschränkungen und so können gerade im ersten und zweiten Bachelorsemester schon mal mehr als 1.000 Studierende in den Kursen sein. Damit gehen einige Herausforderungen einher: Gewisse Leistungen, wie zum Beispiel Praktika, sind bei dieser Zahl von Studierenden nicht mehr möglich. Man muss dann kreativ überlegen, wie Studierende relevante Kompetenzen in anderer Weise erwerben können – zum Beispiel durch Projekte, die Fragen oder Probleme aus der echten Arbeitswelt enthalten.

Porträtfoto von Carolin Ritter

Lehrtherapeutin Carolin Ritter sammelt wertvolle Erfahrungen durch ihre Arbeit in Deutschland und Neuseeland. Foto: Henrike Hoy/TU Braunschweig

Können Sie ein Beispiel nennen?

Carolin Ritter: An der University of Canterbury haben wir gerade ein Konzept für eine neue Lehrveranstaltung entwickelt, bei dem Partner*innen aus der Arbeitswelt zu Beginn der Veranstaltung aktuelle Herausforderungen vorstellen, die dann von den Studierenden mithilfe ihrer psychologischen Kompetenzen bearbeitet werden. Am Ende der Lehrveranstaltung präsentieren die Studierenden den Partner*innen ihre Lösungsvorschläge auf einer Mini-Konferenz, es gibt also eine authentische Interaktion mit der Arbeitswelt. Zusätzlich erwerben die Studierenden dabei auch allgemeine arbeitsbezogene Kompetenzen wie Teamarbeit, Leadership, Kommunikation und Präsentationstechniken. So ein Kurs kann dann auch mit mehreren Hunderten Studierenden durchgeführt werden.

Welche Rolle spielt das Thema Internationalisierung an der University of Canterbury?

Carolin Ritter: Internationalisierung ist in meinem Arbeitsalltag in Neuseeland sehr greifbar, da viele Angestellte an der University of Canterbury aus dem Ausland kommen. Die verschiedenen Perspektiven bereichern das Miteinander im Arbeitsalltag. Neuseeland ist sich seiner etwas abgelegenen geographischen Lage bewusst und vielleicht auch deswegen besonders an Internationalisierung interessiert. Das strategische Ziel der University of Canterbury in diesem Bereich lautet „Internationalisation – Locally Engaged, Globally Connected“. Bei der Internationalisierung in Neuseeland wird zudem auch immer die besondere Rolle der Māori als indigenes Volk in Neuseeland mitgedacht, sowie auch die besonderen Verantwortlichkeiten gegenüber den pazifischen Staaten.

Internationalisierung bedeutet in Neuseeland auch, genau wie auch hier an der TU Braunschweig, Diversität in der Studierendenschaft zu fördern, internationale Inhalte im Studium zu integrieren, und internationale Kooperation und Austausch in Lehre und Forschung zu stärken. Zum Beispiel gibt es an der University of Canterbury den Erskine Grant, ein lehrbezogenes Stipendium, das den internationalen Austausch fördert, indem einerseits internationale Lehrende an die University of Canterbury eingeladen werden können und andererseits Lehrende der University of Canterbury gefördert werden, im Ausland Erfahrungen zu sammeln. In unserer School of Psychology, Speech and Hearing wird dieser Austausch rege und jährlich genutzt und von allen Beteiligten sehr geschätzt.

Welche Erkenntnisse ziehen Sie aus Ihren Tätigkeiten in beiden Ländern?

Carolin Ritter: Persönlich habe ich dieses Jahr wieder besonders die Erfahrung gemacht, dass sich ein internationaler Austausch immer lohnt! Anfang des Jahres habe ich an der University of Canterbury die Entwicklung eines neuen Bachelorstudiengangs in Psychologie geleitet. Dabei habe ich auch mit meinen Kolleg*innen von der TU Braunschweig gesprochen, die von ihren Erfahrungen mit dem kürzlich veränderten deutschen Psychologiestudium berichten konnten. Obwohl das Bachelorstudium in beiden Ländern sehr verschieden ist, fand ich diesen Austausch sehr bereichernd, auch weil ich damit die Perspektive eines nicht-englischsprachigen Landes mit einbringen konnte. In der zweiten Hälfte dieses Jahres konnte ich im Rahmen meiner Anstellung an der TU Braunschweig meine Erfahrungen von der Lehrtherapie in Neuseeland weitergeben, da hier in Braunschweig zurzeit erstmalig Lehrtherapien im Rahmen des neuen Psychotherapie-Masterstudiengangs aufgebaut werden.

In Hinsicht darauf, was die Länder voneinander lernen könnten, würde ich mir für Neuseeland wünschen, dass psychologische Psychotherapie, so wie in Deutschland, wenn sie von der Krankenkasse übernommen wird, für Patient*innen kostenfrei wäre. In Neuseeland müssen Patient*innen Psychotherapie häufig selbst bezahlen, was natürlich für viele Menschen eine große Hürde bei der Inanspruchnahme psychotherapeutischer Unterstützung bedeutet. Was Deutschland sich vielleicht von Neuseeland abschauen könnte, wäre die größere Rolle des gemeinsamen Miteinanders und der Verbundenheit zur Natur, zusammen mit einer etwas weniger starken Fokussierung auf Leistung und Arbeit, was sich sicher zusammen positiv auf die gesamtgesellschaftliche psychische Gesundheit auswirkt.