Tief, tiefer, Niedrigszinsen? Interview mit ESMT-Präsident Professor Jörg Rocholl
Bereits zum sechsten Mal folgt mit Professor Jörg Rocholl ein führender Wissenschaftler der Einladung des Instituts für Volkswirtschaftslehre an die Carolo-Wilhelmina. Im Rahmen der Vortragsreihe Ökonomie, Politik & Praxis spricht der Präsident der European School of Management and Technology in Berlin über die Herausforderungen und die Auswirkungen von Niedrigzinsen. Grundlegende Fragen hat er uns vorab beantwortet.
Herr Professor Rocholl: Sie thematisieren in Ihrem Vortrag Herausforderungen und Auswirkungen der Niedrigzinsen. Was sind eigentlich normale Zinsen, was sind Niedrigzinsen, und können Zinsen auch negativ werden?
Einen längeren Zeitraum mit negativen Zinsen in mehreren großen Volkswirtschaften konnte man sich lange Zeit nicht vorstellen. Nun sind negative Zinsen seit einiger Zeit Realität, nicht nur in Deutschland. Diese Situation bringt fundamentale Fragen für Staaten, Unternehmen und Privatpersonen mit sich. Gleichzeitig werden Forderungen nach einer massiven schuldenfinanzierten Ausweitung staatlicher Investitionen erhoben, und Mahner weisen auf die Risiken für die Finanzstabilität hin.
Sind niedrige Zinsen nicht grundsätzlich wünschenswert, da Sie Investitionen vergünstigen und damit das Wachstum fördern?
Das ist grundsätzlich richtig. Allerdings können niedrige Zinsen auch Ausdruck einer ausgeprägten Wachstumsschwäche sein, die durch weitere Zinssenkungen nicht überwunden werden kann. Niedrigere Zinsen – und gerade negative Zinsen – könnten im Gegenteil sogar dazu führen, dass Banken ihre Kreditvergabe einschränken, da sich ihre Ertragssituation durch ausbleibende Zinseinnahmen weiter verschlechtert.
Welche Probleme können aus niedrigen Zinsen entstehen?
Man denke besonders an die Entwicklung in den USA in den Jahren vor der Finanzkrise des Jahres 2008. Niedrige Zinsen erleichterten Kreditnehmer ihre Mittelaufnahme, die wiederum zu einer Blase auf Anlagemärkten und gerade bei Immobilien führte. Das anschließende Platzen der Blase wirkt teilweise bis heute fort, eine ähnliche Entwicklung gilt es jetzt zu vermeiden.