14. Juli 2022 | Magazin:

Statt Wattenmeer: Austernriffe im Wellenkanal Welchen Einfluss die Pazifische Auster auf Wellen und Strömungen hat

Sie ist gekommen, um zu bleiben. Die Pazifische Auster breitet sich immer mehr im Wattenmeer aus. Welche Auswirkungen das auf die Natur und den Küstenschutz hat, untersucht das Leichtweiß-Institut für Wasserbau (LWI). Mit Austernriffmodellen aus dem 3D-Drucker hat das Team kürzlich im Wellenkanal die Effekte der extrem rauen Muscheloberflächen analysiert.

Jan Hitzegrad (l.) und Dr. Oliver Lojek zeigen die verschiedenen Muschelmodelle, die mit dem 3D-Drucker hergestellt wurden. Bildnachweis: Max Fuhrmann/TU Braunschweig

Dicht an dicht stehen die Austern im Wattenmeer zusammen und bilden inzwischen ganze Riffe, wie beispielsweise im Priel Kaiserbalje auf dem Hohe Weg Watt zwischen Wilhelmshaven und Bremerhaven. Die Magallana gigas hat sich hier in den vergangenen 20 Jahren ausgebreitet und verdrängt die vorher typischen Miesmuschelbänke. Im nährstoffreichen Watt finden sie gute Lebensbedingungen: Sie können sich in der Fläche ausbilden und haben kaum Fressfeinde. Begünstigt wird die Expansion der als robust geltenden Austern vermutlich durch den Klimawandel, der auch zu höheren Wassertemperaturen führt.

Fest hängen die Austern-Strukturen aneinander: Selbst mit Hammer und Meißel sind sie schwer zu bearbeiten. Im Vergleich mit Miesmuschelbänken weisen sie eine höhere Widerstandsfähigkeit gegen hydromechanische Belastungen, also Wellen oder Strömungen, auf. Damit verändern sie ihr Umfeld und fungieren als „Ecosystem Engineering Species“.

Realität im Labor nachgebildet

Für ihre Versuche haben die Wissenschaftler*innen die Austernriffe nachgebaut. Basierend auf Felddaten haben sie gemeinsam mit dem Institut für Tragwerksentwurf (ITE) Modelle entwickelt, die das Team des Instituts für Baustoffe, Massivbau und Brandschutz (iBMB) mithilfe des Partikelbett-3D-Druckers hergestellt hat. Dabei mussten die Forschenden die Modelle natürlich stark vereinfachen, um sie gut drucken zu können. „Dass einzelne Austern größer sind, kann hier nicht berücksichtigt werden, es geht uns um die Wirkung des gesamten Riffs“, erklärt Jan Hitzegrad, wissenschaftlicher Mitarbeiter am LWI. „Mit den 3D-Modellen bilden wir die Realität im Labor unter kontrollierten Bedingungen ab.“

So liegen nun ein Austernriff und eine Miesmuschelbank im Wellenkanal. Jeweils acht Quadratmeter wurden gedruckt. Die Unterschiede zeigen sich nicht nur in der Muschelgröße, sondern auch im Rauheitsgrad der Oberflächen. Diese extrem rauen Oberflächen der Austernriffe hat es vorher so noch nicht im Wattenmeer gegeben. Die Forschenden gehen davon aus, dass sie damit die Oberflächeneigenschaften des Seebodens deutlich verändern sowie Wellen und Strömungen beeinflussen.

Ein Austernriff vor der Insel Juist. Bildnachweis: Jan Hitzegrad/TU Braunschweig

Spitz und rau: die Pazifische Auster. Bildnachweis: Max Fuhrmann/TU Braunschweig

Verschiedene Muschel-Modelle, hergestellt mithilfe des Partikelbett-3D-Druckers. Bildnachweis: Max Fuhrmann/TU Braunschweig

Die Modellkacheln, die die Wissenschaftler*innen verwenden, um Austernriffe (l.) und Miesmuschelbänke im Wellenkanal zu repräsentieren. Bildnachweis: Max Fuhrmann/TU Braunschweig

Für die Versuche wurde der 90 Meter lange Wellenkanal in zwei Abschnitte unterteilt. Bildnachweis: Max Fuhrmann/TU Braunschweig

Auf der einen Seite haben die Forschenden die Muschelkacheln verlegt. Die andere Seite haben sie als Referenzfläche blank gelassen. Bildnachweis: Max Fuhrmann/TU Braunschweig

Wellenhöhen, Wellenlängen und Geschwindigkeiten haben die Forschenden bei ihren Versuchen ermittelt. Bildnachweis: Max Fuhrmann/TU Braunschweig

Muschelkacheln im Wellenkanal

Um die Auswirkungen zu überprüfen, hat das Forschungsteam den 90 Meter langen Wellenkanal in zwei Abschnitte unterteilt. Auf der einen Seite haben die Wissenschaftler*innen die Muschelkacheln, also die gedruckten Austernmodelle, verlegt. Die andere Seite haben sie als Referenzfläche blank gelassen. 50 verschiedene Kombinationen haben sie in den vergangenen Monaten analysiert. Insgesamt kamen so rund 300 Versuche zusammen. Wie im Wattenmeer haben die Forschenden die Muscheln immer wieder neu angeordnet. So gibt es Bereiche, in denen die Austern dicht an dicht stehen, aber auch solche, die durch Sedimentflächen unterbrochen sind. „Man würde annehmen, dass der Einfluss größer ist, wenn die Muscheln dicht gedrängt stehen“, erzählt Dr. Oliver Lojek. „Ganz im Gegenteil: Durch die Kanten und die erhöhte Rauheitswirkung wirkt dieses Setting wie eine Schlaglochpiste.“

Wellenhöhen, Wellenlängen und Geschwindigkeiten, die durch diese neuen Strukturen auftreten, haben die Forschenden bei ihren Versuchen ermittelt. Damit können sie wellendämpfende und strömungsreduzierende Wirkungen beurteilen. Jetzt geht es darum, die Ergebnisse in mathematischen Modellen zu verarbeiten, um letzten Endes die großflächigen Auswirkungen nachzuvollziehen.

Über die Projekte

BIVA-WATT: Ziel des Projektes ist es, die Auswirkungen der eingewanderten Pazifischen Austern und natürlich vorkommenden Miesmuscheln aus biologischer sowie küsteningenieurlicher Sicht zu beleuchten, besser zu verstehen und zu quantifizieren. Es wird mit rund 807.900 Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Neben der Abteilung Hydromechanik, Küsteningenieurwesen und Seebau des LWI sind das Institut für Tragwerksentwurf (ITE) der TU Braunschweig, das Ludwig-Franzius-Institut für Wasserbau und Ästuar- und Küsteningenieurwesen der Leibniz Universität Hannover, das Forschungsinstitut Senckenberg am Meer und die smile consult GmbH beteiligt.

Coastal Futures: Das Projekt ist ein Beitrag zur Forschungsmission „Schutz und nachhaltige Nutzung mariner Räume“ der Deutschen Allianz Meeresforschung (DAM). „Coastal Futures“ entwickelt und simuliert zukünftige Nutzungsszenarien in Nord- und Ostsee, einschließlich der Küstengebiete und Flussmündungen. Es untersucht die Effizienz heutiger Schutzmaßnahmen und entwickelt neue Managementoptionen zusammen mit Interessenvertreter*innen aus Verwaltung, Industrie und der Öffentlichkeit. Das Projekt konzentriert sich auf Klimaauswirkungen und den Nutzungsdruck durch Offshore-Erzeugung von erneuerbarer Energie, Fischerei, naturnahen Küstenschutz und Eutrophierung von Land. Es wird vom Helmholtz-Zentrum Hereon koordiniert und vom BMBF mit 5,5 Millionen Euro gefördert.