2. Juni 2020 | Magazin:

Sprachenlernen per Videokonferenz Nachgefragt bei dem Leiter des Sprachenzentrums Dr. Andreas Hettiger

Von Arabisch bis Japanisch, von Sprachtandem bis interkulturelles Training – das Sprachenzentrum der Technischen Universität Braunschweig bietet als Teil des International House unterschiedliche Kurse und Angebote rund um das Thema Sprachen und Interkulturelles Lernen an. Studierende und Mitarbeitende mit einem Interesse an Fremdsprachen können aus 12 verschiedenen Sprachen wählen. Internationale Studierende finden im Bereich Deutsch als Fremdsprache ein breites Angebot auf allen Niveaustufen. Für den interkulturellen Austausch gibt es Sprach-Tandems, Workshops und verschiedene Projekte. Unsere Volontärin Viktoria Heyer hat mit Dr. Andreas Hettiger, dem Leiter des Sprachenzentrums, über die Umstellung auf digitale Lehrveranstaltungen, die ersten Rückmeldungen aus den Kursen und die Chancen der digitalen Lehre für das Sprachenlernen gesprochen.

Dr. Andres Hettiger, Leiter des Sprachenzentrums an der TU Braunschweig. Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig

Herr Hettiger, das aktuelle Sommersemester ist ein digitales Semester, die Präsenzveranstaltungen finden virtuell statt. Wie wirkt sich das auf die Kurse und Angebote des Sprachenzentrums aus?

Eine ganze Reihe von Lehrveranstaltungen am Sprachenzentrum ist nicht semestergebunden, sondern findet ganzjährig statt. Internationale Studierende bereiten sich bereits in der vorlesungsfreien Zeit sprachlich auf ihr Studium in Braunschweig vor und besuchen Deutschkurse. Ihre Immatrikulation hängt vom Bestehen der DSH (Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang) ab. Das Team für die studienvorbereitenden Deutschkurse musste bereits Ende März, als erste Einrichtung unserer Universität, Veranstaltungen im laufenden Betrieb auf Distanzlehre umstellen. Das war nur möglich, weil alle Lehrkräfte Tag und Nacht daran gearbeitet haben.

Wie haben Sie und das Team des Sprachenzentrums diese Phase erlebt?

Wir waren am Sprachenzentrum nicht völlig unvorbereitet. Seit 2008 arbeiten wir bereits mit einer elektronischen Lernplattform und entwickeln neue Lehrangebote und Konzepte in Form des Blended Learning. Das ist eine Lernform, bei der Präsenzveranstaltungen und E-Learning-Einheiten sinnvoll miteinander verknüpft werden. Mit dem Videokonferenzsystem BigBlueButton, das im Moment hochschulübergreifend die Distanzlehre prägt, arbeiten wir am Sprachenzentrum bereits seit 2014. Der Schritt zur reinen digitalen Lehre war für uns deshalb nicht mehr so groß. Außerdem haben wir das Glück, einen Mediendidaktiker in unserem Team zu haben, der in diesem Semester fast ausschließlich für das Coaching unserer Sprachlehrkräfte freigestellt wurde.

Es hilft außerdem, dass das Sprachenzentrum jetzt Teil des International House ist. So können wir uns noch besser mit Kolleginnen und Kollegen vernetzen, die ebenfalls im Bereich der Internationalisierung arbeiten. Dadurch sind wir noch näher an den Themen, die unsere Universität und unsere Studierenden beschäftigen.

Gibt es erste Erfahrungen und Feedback von Lehrenden? Wie funktioniert das digitale Sprachenlernen?

Viel besser, als wir erwartet haben. Es gibt natürlich aber auch einige Herausforderungen. Eine häufige Rückmeldung der Lehrenden ist, dass sie ihren Unterricht jetzt länger vorbereiten müssen als in der Präsenzlehre. Einerseits setzen sie sich mit neuen technischen Möglichkeiten auseinander, andererseits müssen sie im digitalen Raum akribisch vorausplanen. In einem virtuellen Setting, wo man in der Regel nur eine einzige Person sieht, ist ein prozessorientiertes, gruppendynamisches Lernen sehr viel schwieriger zu realisieren als in der Präsenzform. Auch die Verbindlichkeit sinkt. Ob wirklich alle 20 Teilnehmenden physisch und mental anwesend sind, ist über eine Videokonferenzschaltung nur bedingt nachzuvollziehen.

Online-Sprachkurse für Studierende und Mitarbeitende im Home-Studium klingen in der Theorie gut umsetzbar. Wie herausfordernd zeigte sich die Praxis in den letzten Wochen?

Am herausfordernsten sind die studienvorbereitenden Deutschkurse, die normalerweise an fünf Stunden pro Werktag stattfinden. Über so lange Zeiträume ist es schwierig, online ein produktives Lernklima aufrecht zu erhalten. Da hilft ein Mix aus synchronen und asynchronen Lernangeboten, also ein Lernen sowohl live über Videokonfernzen als auch zeitversetzt über online verfügbare Übungen zum Selbststudium. Aber dies funktioniert nur, wenn alle Teilnehmenden über ein passendes Endgerät und eine gute Internetverbindung verfügen. Das ist gerade bei unseren internationalen zukünftigen Studierenden keine Selbstverständlichkeit.

Schwierig ist das reine Online-Lehrformat auch bei Sprachen mit anderen Schriftzeichen wie Chinesisch oder Russisch. Normalerweise korrigiert die Lehrkraft auch die Handhaltung beim Zeichnen der Schriftzeichen. Generell sind Anfängerkurse herausfordernder als Fortgeschrittenenkurse. Sprachlernende benötigen besonders zu Beginn viel Bestätigung durch ein reales Gegenüber. Außerdem wird gerade am Anfang besonders viel Wert auf die Lautbildung und die korrekte Aussprache gelegt.

Welche Erkenntnisse nehmen Sie aus der digitalen Lehre am Sprachenzentrum mit?

Wir werden für dieses Semester genau analysieren, wo die Chancen und Grenzen onlinebasierter Formate für das sprachliche und interkulturelle Lernen sind. Wichtig sind in diesem Zusammenhang für uns die studentischen Evaluationen. Wir wollen aus dieser Situation so viel wie möglich lernen und mitnehmen. Die interaktiven Übungen und Präsentationen, die wir jetzt für die Distanzlehre entwerfen, können auch in einer Nach-Corona-Zeit verwendet werden.

Das persönliche Gespräch und die Auseinandersetzung mit dem Gegenüber sind für das (fremd)sprachliche und interkulturelle Lernen natürlich weiterhin wichtig. Rein softwarebasierte Lösungen sind auf Dauer kein vollwertiger Ersatz für den persönlichen Austausch. Aber es ist auch klar, dass sprachliches und interkulturelles Lernen nach Corona teilweise ein anderes sein wird als vorher. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass Open Educational Resources (OER), also freie Lehr- und Lernmaterialien, die hochschulübergreifend miteinander geteilt werden, zukünftig eine noch wichtigere Rolle spielen müssen.

Wie kann sich das Sprachenlernen durch die Erkenntnisse der digitalen Lehre dann möglicherweise ganz konkret verändern?

Ich glaube, dass wir durch den Online-Unterricht automatisch zu einem „Flipped Classroom“-Ansatz kommen, da wir die Studierenden vieles selbst erarbeiten lassen und dann die Zeit im virtuellen Klassenzimmer nutzen können, um unsere Arbeitsergebnisse zu vergleichen, zu brainstormen und zu diskutieren. Schon früh haben wir am Sprachenzentrum Online-Phasen mit präsenzbasiertem Lernen verbunden. Diesen Weg wollen wir noch konsequenter gehen. Mit dem International House und der engen hochschulinternen Vernetzung, zum Beispiel mit der Projektgruppe Lehre und Medienbildung im Projekthaus, ergeben sich vielversprechende Perspektiven.

Mit den Kolleginnen und Kollegen im International House diskutieren wir momentan auch darüber, ob wir zukünftig Studierenden aus internationalen Partneruniversitäten studienvorbereitende Deutschkurse vielleicht schon in ihrem Heimatland anbieten wollen, in Form der reinen Distanzlehre. Das hätte den Vorteil, dass sie bereits im Vorfeld enge Bindungen an unsere Universität knüpfen und mit einem Qualifizierungsvorsprung ihr Studium an unserer Uni aufnehmen können.

Vielen Dank für das Interview.