Spotlight: Aufbruch wagen, Zukunft gestalten – wir gemeinsam Themen der Präsidentin
Als die Neuigkeit der nicht erfolgten Wiederwahl des Präsidenten der TU Berlin, Professor Dr. Christian Thomsen, als „Paukenschlag“ (Tagesspiegel, 22.01.22) am vergangenen Mittwoch (19.01.22) durch die nasskalte Januarnacht schallte, zitterten auch kurz die Scheiben der TU Braunschweig. Die Deutlichkeit des Wahlergebnisses an einer jüngst zur Exzellenz gekürten Universität, ein erfolgreiches Mitglied der TU9-Allianz, und national und international sehr sichtbaren Universität, war zunächst überraschend. 31 von 61 Wähler*innen aus dem Erweiterten Akademischen Senat sehnten sich anscheinend nach einem Umbruch, sie sehnten sich danach, die Zukunft gemeinsam zu gestalten, vielleicht mehr als viele das vermutet hatten. Aber was hat die überraschende Wahl der neu gewählten Präsidentin Professorin Dr. Geraldine Rauch (der „Paukenschlag“) und der demonstrierte Wunsch nach einem Umbruch mit der TU Braunschweig zu tun? Ich nehme dieses unerwartete Ergebnis zum Anlass, um meine Gedanken zu genau diesem Thema, gemeinsam den Aufbruch wagen und Zukunft gestalten, zu skizzieren. Die Hauptstadt scheint manchmal weit weg, aber die Themen, die das Wissenschaftssystem und die Hochschullandschaft dort derzeit umtreiben, sind bei uns, wie an allen anderen Hochschulen, die gleichen. Wir sollten die Diskussion dazu nicht verpassen und die Konsequenzen, die sich daraus ergeben nicht scheuen und die Zukunft jetzt gemeinsam gestalten. Darin liegt unsere Chance und – so sehe ich es – unser alternativloser Weg.
„New Normal“ statt „Back to Normal“
Warum herrscht derzeit ein solch ausgeprägtes Bedürfnis nach Aufbruch? Wollen wir einfach alle zurück in das Leben, was wir bis zum Frühjahr 2020 geführt haben? In ihrer scheinbaren Unendlichkeit zwingt die Pandemie oder verleitet sie uns inzwischen dazu, unser gesamtes Leben, unsere Gewohnheiten, unsere Werte im Privaten wie im Beruflichen in Frage zu stellen. Auch wenn wir auf der einen Seite warnen, im „New Normal“ durch ein Überangebot von digitalen Lehr- und Lernformaten nicht zur Fernuniversität zu werden, ist auf der anderen Seite sehr deutlich, dass wir digitale Formate der Lehre und des (internationalen) Austauschs in unserem beruflichen Alltag schätzen gelernt haben. Den Zeitgewinn und eine empfundene Effizienz, den Klimaschutz durch CO2-Einsparung, Modelle des mobilen Arbeitens sowie die Möglichkeit Privates mit Beruflichem wirksamer zu verzahnen, möchten wir nicht mehr missen. Manchmal wagen wir es noch nicht, die Möglichkeiten der digitalen Interaktion offen zu bevorzugen und als neues Ordnungsprinzip von Kommunikation und Interaktion gelten zu lassen. Es ist offensichtlich, dass es ein „Back to Normal“ nicht mehr geben wird. Und es ist entscheidend, dass wir uns jetzt damit auseinandersetzen müssen, wie wir universitäres Leben in Zukunft gestalten wollen. Das „Normale“ muss neu definiert werden. Damit es nicht andere für uns tun, ist es das Gebot der Stunde, dass wir es selbst und gemeinsam in die Hand nehmen und unsere Universität für die kommenden Jahre nachhaltig aufstellen.
Es ist sicher kein Zufall, dass gleichzeitig die Diskussion um Befristungen von Beschäftigungsverhältnissen im Wissenschaftssystem entbrannt ist: Der wissenschaftliche Nachwuchs fordert deutlich mehr Sicherheit und Planbarkeit und ringt um Anerkennung in Form von dauerhaften Anstellungsverhältnissen. Auch dieses Thema müssen wir auf die aktuelle Tagesordnung setzen, Möglichkeiten ausloten und die mannigfaltigen Konsequenzen für das derzeitige System und unsere Universität abwägen. Die Forderungen werden nicht einfach wieder verschwinden, sie werden in den Medien und in den hochschulpolitischen Debatten immer präsenter und unser Wissenschaftssystem, die Modelle und Prinzipien unserer Nachwuchsförderung nachhaltig verändern. Mit diesen Fragen müssen wir uns beschäftigen und einen aktiven Part in der Gestaltung für die TU Braunschweig übernehmen.
Forderungen nach neuen Governancemodellen universitären Lebens werden uns eher früher als später veranlassen, gewohnte und eingeübte Entscheidungs- und Abstimmungsprozesse zu überdenken, neue Wege der Partizipation abzuwägen und zu erproben. Um mögliche staatliche Finanzlücken auszugleichen, werden wir nach alternativen und bislang im deutschen Universitätssystem kaum bekannten, geschweige denn praktizierten, Finanzierungsmöglichkeiten sowie neue Modelle und Partnerschaften suchen müssen. Wir benötigen eine offene und konstruktive Diskussion, wie notwendig werdende Kompetenzen die Inhalte unserer Lehre, wie die Inhalte unserer Forschung, die Ausbildung und Struktur des Wissenschaftsmanagements und die Formen der Wissenschaftskommunikation sich durch gesellschaftliche Anforderungen verändern werden. Mit all diesen Themen und noch weiteren werden wir uns heute und in den nächsten Jahren intensiv beschäftigen müssen.
Orientierung durch Modell der ganzheitlichen Exzellenz
Bislang haben wir uns als eine der wichtigen Aufgabe auf die Fahnen geschrieben, uns erfolgreich für die nächste Exzellenzrunde aufzustellen. Wie können wir diesen Ambitionen folgen und gleichzeitig integrativ nach innen wirken? Als Leitmotiv habe ich dafür das Modell der ganzheitlichen Exzellenz aufgestellt . Es macht deutlich, wie die Mitglieder aller Statusgruppen der Universität Verantwortung übernehmen können und müssen, um unser alltägliches Handeln nach den Standards der ganzheitlichen Exzellenz auszurichten. Das Modell definiert sehr plastisch, was es – neben der exzellenten Forschung, die es auf international kompatiblem Niveau weiter zu entwickeln gilt – für alle unsere Mitglieder bedeutet, an der ständigen Optimierung unserer Universität gemeinsam zu arbeiten. Jede*r kann einen Beitrag leisten. Diese gemeinsame Zielsetzung motiviert und schafft Identität. Wir werden viel erreichen, wenn wir im Sinne des Modells der ganzheitlichen Exzellenz die konsequente Integration der Querschnittsthemen Internationalität, Diversität & Gleichstellung, Digitalisierung und erweiterte Formen des Transfers in unserem Alltag leben.
Es bedeutet aber auch, dass wir uns gesellschaftlichen Veränderungen und veränderten Anforderungen an unsere Governancestrukturen, unserer Forschung und unseren Transferaktivitäten, unserem Studium und Lehre und der wissenschaftsunterstützenden Verwaltung stellen und immer wieder reflektieren, inwiefern wir uns dadurch als Organisation, als integrative Bildungsinstitution und als Arbeitgeberin an den höchsten Standards und unserer Vision der ganzheitlichen Exzellenz orientieren. Eine Orientierung, die notwendig ist, damit wir unabhängig von formalen Wettbewerben uns als TU Braunschweig zeitgemäß entwickeln, den Aufbruch wagen und die Zukunft gemeinsam gestalten. Der Weg dorthin gelingt nicht mit einer kleinen ausgewählten Gruppe von profilierten Forschenden und Kolleg*innen, sondern nur gemeinsam und in einem wertschätzenden Austausch. Dazu ist es wichtig, alle auf den Weg der notwendigen Veränderung mitzunehmen.
Wir haben bereits wichtige Prozesse angestoßen, um diesen Weg gemeinsam zu gehen. Die Initiative Hochschulentwicklung 2030 ist dabei eine der prominentesten. Ich lade Sie ein, daran teilzunehmen, soweit es Ihre Zeit und Ihre Möglichkeiten es zulassen. Ich freue mich jederzeit auf Ihre Anregungen, Anmerkungen und Kommentare zum Prozess und zu den Ergebnissen sowie auf die Diskussion und die Gespräche, die sich daraus ergeben. Lassen Sie uns den Aufbruch wagen und die Zukunft gemeinsam gestalten.