5. November 2019 | Magazin:

Schweißen ohne Brückensperrung möglich? Neue Methode für Reparaturarbeiten an Stahlbauwerken gesucht

Viele Brücken in Deutschland sind in die Jahre gekommen und müssen dringend saniert werden. In der Regel müssen die Bauwerke während der Reparaturen gesperrt, der Verkehr umgeleitet werden. Jetzt entwickeln das Institut für Füge- und Schweißtechnik und das Institut für Stahlbau der Technischen Universität Braunschweig gemeinsam mit weiteren Partnern eine Methode, mit der Schweißarbeiten an Stahlkonstruktionen auch bei laufendem Verkehr ausgeführt werden können.

An der A40-Rheinbrücke in Duisburg-Neuenkamp untersuchte das Forscherteam Schweißdetails mit Schwingrissen. Bildnachweis: Johanna Müller/TU Braunschweig

Stahlbauwerke, wie beispielsweise Brücken, sind zunehmenden Beanspruchungen ausgesetzt. Gebaut in den 1960er-Jahren waren sie für weitaus geringere Verkehrslasten ausgelegt als sie heute – vor allem durch den zunehmenden Waren- und Güterverkehr – tragen müssen. Durch diese steigenden Lasten treten an vielen Brücken verschiedene Schadensbilder auf, unter anderem Risse an Schweißnähten.

Durch Ausfugen und erneutes Verschweißen der Risse können diese Bauwerke instand gehalten werden. Das Problem dabei: Während der Arbeiten muss die Brücke für den Verkehr gesperrt werden. Nur so kann bislang ein ständiges Öffnen und Schließen des Risses während des Schweißens unterdrückt werden und eine fehlerfreie Schweißnaht entstehen. Der Verkehr muss dafür auf andere Routen umgeleitet werden, auf denen es dann wiederum zu erhöhter Verkehrsbelastung und dadurch zu weiteren Schäden an anderer Stelle kommt.

Vollsperrung der Rheinbrücke A1 Leverkusen. Bildnachweis: Schachtbau Nordhausen Stahlbau GmbH

Untersuchungen an der Rheinbrücke Neuenkamp

Hier setzt das mit 428.640 Euro geförderte IGF-Projekt „Schweißen unter Betriebsbeanspruchung unter Einhaltung normgerechter Anforderungen an Nahtgüte und Schwingfestigkeit“ des Instituts für Füge- und Schweißtechnik und des Instituts für Stahlbau der TU Braunschweig an. Gemeinsam mit dem Landesbetrieb Straßenbau Nordrhein-Westfalen (Straßen NRW), Schachtbau Nordhausen, der Bundesanstalt für Straßenwesen, der voestalpine AG und weiteren Projektpartnern wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bis zum Projektende im Herbst 2021 eine Methode entwickeln, die es erlaubt, Schweißarbeiten an Stahlkonstruktionen, wie Brücken, unter laufendem Betrieb auszuführen und dabei regelwerkskonforme Schweißnahtgüten zu erzielen.

„Straßen.NRW versucht, Verkehrsbeeinträchtigungen möglichst zu minimieren. Besonders Vollsperrungen sollen die Ausnahme bleiben. Also müssen viele Schweißarbeiten unter laufendem Verkehr stattfinden“, sagt Dr.-Ing. Markus Hamme von der Abteilung Konstruktiver Ingenieurbau beim Landesbetrieb Straßenbau NRW. „In den vergangenen Jahren wurden zwar bereits gute Erfahrungen damit gesammelt, aber eine wissenschaftlich vollständig abgesicherte Grundlage fehlt leider immer noch. Das Forschungsvorhaben bringt uns hoffentlich einen großen Schritt weiter.“

Das Projektteam wählte eine Brücke in Nordrhein-Westfalen als Fallbeispiel aus, bei der diese Problematik akut ist. An der A40-Rheinbrücke in Duisburg-Neuenkamp untersuchten die Forscherinnen und Forscher Schweißdetails mit Schwingrissen und entwickelten dafür ein Messsystem zur Erfassung der relativen Nahtflankenbewegung, also der Rissöffnung. Mit diesem Messsystem wird die Rissflankenbewegung während verschiedener Verkehrssituationen vor, während und nach der Risssanierung aufgezeichnet.

Tests im neuen Versuchsstand

Diese Daten bilden die Grundlage für experimentelle Untersuchungen im Labor. In einem neu entwickelten Versuchsstand am Institut für Stahlbau führen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mehrlagige Schweißungen bei verschieden-simulierten Beanspruchungssituationen durch: Frequenz und Amplitude, also Schwingungsweite, der Nahtöffnung werden variiert. „Neu an diesem Versuchstand ist, dass wir die Kraftumlagerung während des Schweißens aus den Messdaten im Experiment berücksichtigen können“, so Dr. Julian Unglaub vom Institut für Stahlbau.  Anschließend charakterisieren die Forscherinnen und Forscher die Schweißnaht hinsichtlich Nahtgüte und der erzielbaren Schwingfestigkeit und arbeiten quantitative Zusammenhänge zwischen Nahtflankenbewegungen und erzielbarer Schweißnahtqualität und Schwingfestigkeit heraus. Außerdem wollen die Forscherinnen und Forscher untersuchen, ob die Nahtflankenbewegung reduziert werden kann, wenn Schraub- bzw. Klemmkonstruktionen oder Heftschweißungen zu Hilfe genommen werden.

Blick unter die Brücke: Der Riss ist gekennzeichnet. Bildnachweis: Jonas Hensel/TU Braunschweig

Aus den Ergebnissen sollen am Projektende Handlungsempfehlungen zur Ermittlung lokaler Nahtflankenbewegungen unter Betriebsbeanspruchung sowie zum Reparaturschweißen von ermüdungsgeschädigten Stahlbauteilen abgeleitet werden. Die ermittelten Schwingfestigkeitskennwerte werden in bestehende Regelwerke (z.B. Eurocode 3, IIW Recommendations) eingeordnet und stehen damit künftig einem breiten Anwenderkreis zur Verfügung.