Schoduvel ohne Schoduvel Institut für Architekturbezogene Kunst zeigt Körperverwandlungen in der Braunschweiger Innenstadt
Kein „Brunswiek Helau!“, keine Karnevalistinnen und Karnevalisten, kein Karnevalsumzug durch Braunschweig. Und damit leider in diesem Jahr auch kein Motivwagen vom Institut für Architekturbezogene Kunst (IAK). Dennoch setzte das Institut seine Schoduvel-Seminar-Reihe fort: Architektur-Studierende beschäftigten sich in den vergangenen Monaten mit Körperverwandlungen und schufen faszinierende Kostüme für eine Schoduvel-Fußgruppe. Mit diesen Körperhüllen zeigten sie sich am Rosenmontag in der Innenstadt.
Auf dem Altstadtmarkt verwandeln sich die Studierenden, schlüpfen in ihre neuen Hüllen. Neugierig beobachtet, fotografiert und gefilmt aus der Ferne und mit Abstand. Abstand – das ist auch das Thema der Verwandlungen. Dornen, Spitzen, Stacheln stehen um die Körper der Studierenden ab. Lassen niemanden zu nah kommen. Und auch sie selbst müssen immer wieder aufpassen, dass sie Distanz halten zu entgegenkommenden Menschen.
Visualisierung der räumlichen Distanz
„Abstandhalten in Corona-Zeiten“ hat die Jury in einer Online-Sitzung ausgewählt aus verschiedenen Vorschlägen der Studierenden, wie Klimawandel, Städtebau, Müllaufkommen und historische Bezüge zum Brauchtum. Trotz des abgesagten Schoduvels will das Seminar-Team die Aspekte des Karnevals in die Braunschweiger Innenstadt „zurück“-bringen. Winter-Austreibung, Erschrecken, Verwandlung des eigenen Körpers, der Gesellschaft den Spiegel vorhalten, diese Gedanken sollten im Seminar „Brauchtum ohne Brauchtum“ mit den Themen unserer Zeit auf die eigenen Körper übertragen werden.
„Das Format ‚Schoduvel‘ passt wunderbar zu unseren Lehrthemen“, erklärt Institutsleiterin Professorin Folke Köbberling. „Ein Teil der Lehre und der Forschung am Institut für Architekturbezogene Kunst widmet sich der Visualisierung und Thematisierung von urbanen, ökologischen und gesellschaftlichen Missständen. Studierende werden emanzipiert, Themen und Probleme, die sie selber betreffen, mit künstlerischen Mitteln auszudrücken. Ob es die Wohnungsnot war oder wie jetzt die räumliche Distanz in der Pandemie, die in die Kunst übersetzt wird.“
Stachelabstandhalter wachsen aus dem Körper
Ausgehend von Formen aus der Natur – Stacheln, Kakteen und Dornen – haben die angehenden Architekt*innen unterschiedliche Kostüme entwickelt. Die Stachelabstandhalter sollten sie dabei wie natürliche Elemente des menschlichen Körpers auffassen. „Es entstand somit eine Wirkung, als seien sie aus dem Körper heraus und durch die Kleidung hindurch gewachsen. Das Abstandhalten führt zu einer Art Corona-Evolution“, sagt Sina Heffner, die gemeinsam mit Bernd Schulz das Seminar betreut.
Als Ausgangsmaterial dienten Altkleider, die die zwölf Bachelor- und Master-Studierenden von zu Hause mitgebracht haben. Außerdem nutzten sie Ressourcen aus dem Recycling-Materiallager des IAK, wie Styropor, Papier, Rohwolle oder auch Stäbe von Silvesterraketen. Diese Holzpfeile wachsen am Rosenmontag aus dem Körper der Studentin Julia Thiebes. „Ich muss sehr vorsichtig sein, wenn ich mich durch die Stadt bewege“, erzählt sie. „Tatsächlich verstärkt es noch einmal den Effekt, dass die Menschen den Abstand einhalten – sowohl bei mir selbst, aber natürlich auch bei meinem Gegenüber.“
Zwischen 30 und 80 Arbeitsstunden haben die Studierenden in die Kostüme investiert. So bohren sich rund 70 Stacheln durch die Kleidung von Bahar Kirbaci. Damit die Spitzen gut halten und vom Körper abstehen, hat sie diese unter Hose und Jacke noch mit einer Papp-Konstruktion befestigt. Für Stacheln aus der Natur hat sich Mirjam Grünwald entschieden. Lange Zweige mit Disteln halten die Stadtbesucher*innen von ihr fern. Ein natürlicher Schutz in der Pandemie?