31. März 2022 | Magazin:

Rote und grüne Zonen machen Isolierstation sicherer Dr. Wolfgang Sunder vom Institut für Konstruktives Entwerfen, Industrie- und Gesundheitsbau zur Infektionsprävention durch Architektur

Die Corona-Pandemie hat es deutlich gemacht: Neben der frühzeitigen Eindämmung muss weltweit die Prävention von Infektionen mehr in den Fokus rücken. Wurde von Seiten der Medizin und Biologie bereits viel unternommen, um die Übertragung von Erregern zu vermeiden, ist die Architektur erst in den vergangenen Jahren als weitere wichtige Disziplin der Infektionsprävention in den Blick geraten. Hier macht vor allem das Institut für Konstruktives Entwerfen, Industrie- und Gesundheitsbau (IKE) der TU Braunschweig mit seiner Forschung auch international auf sich aufmerksam. Wie kluge Raumplanung helfen kann, Infektionen zu vermeiden und mit welchen besonderen Herausforderungen das IKE-Team in Projekten in Ruanda konfrontiert wird, berichtet Dr. Wolfgang Sunder.

Bei der Planung einer Sonderisolierstation sollten verschiedene Bereich strikt voneinander abgegrenzt werden. Bildnachweis: Gerd Altmann/Pixabay

Herr Sunder, mit der Corona-Pandemie hat das Thema Infektionsprävention eine besondere Bedeutung erhalten. Das Institut für Konstruktives Entwerfen, Industrie- und Gesundheitsbau (IKE) hat sich bereits vorher damit beschäftigt. Wie kam es zu dieser Ausrichtung im Bereich des Gesundheitsbaus?

In Deutschland kommt es jedes Jahr zu rund einer halben Millionen Krankenhausinfektionen. Die Zahl der durch sogenannte nosokomiale Infektionen verursachten To­desfälle liegt bei 6.000 bis 15.000 pro Jahr. Darunter sind jene Infektionen zu verstehen, die erst nach Aufnahme der Patient*innen im Krankenhaus auftre­ten. Zusätzlich ist der Anteil der Patient*innen, bei de­nen die Infektionen durch multiresistente Erreger hervorgerufen werden, gestiegen. Multiresistenz bedeutet, dass viele Antibiotika nicht mehr wirk­sam sind.

Wir haben uns am IKE in den vergangenen zehn Jahren intensiv mit dem Themenfeld der Infektionsprävention auseinandergesetzt, da wir überzeugt sind, dass bauliche Maßnahmen für die Infektionsprä­vention aktuell und auch in Zukunft eine relevante Rolle spielen und spielen werden. In einer Reihe von Studien konnten wir bereits belegen, dass wir mit architektonischen Lösungen die Kontaktübertragung von Erregern entscheidend minimieren können. Außerdem zeigen unsere Untersuchungen, wie groß die Evidenz solcher baulicher Interventionsmaßnahmen ist. Ein interdisziplinäres Forschungsteam mit Expert*innen aus den Bereichen Architektur, Prozessplanung und Hygiene arbeitet bei uns am Institut an verschiedenen Aspekten der baulichen Infektionsprävention.

Und was hat Sie selbst dazu bewogen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen?

Ein wichtiger Auslöser war das 2014 abgeschlossene Forschungsprojekt „Praxis: Krankenhausbau: Handbuch zur interdisziplinären Planung und Realisierung von zukunftsfähigen Krankenhäusern“ der Bundesforschungsinitiative „Zukunft Bau“. Im Rahmen dieser Arbeit haben wir eine groß angelegte Umfrage unter Planer*innen, Betreiber*innen und Nutzer*innen von Krankenhäusern mit insgesamt über 800 Teilnehmer*innen durchgeführt. Die bauliche Infektionsprävention wurde als einer der wesentlichsten Merkmale eines leistungsfähigen Gesundheitsbaus identifiziert und das Angehen dieser Herausforderung als bisher unzureichend erforscht eingestuft. Diese Erkenntnisse bewogen mich und meinen Kollegen Jan Holzhausen dazu, das Forschungsprojekt „Bauliche Hygiene im Krankenhausbau“ gemeinsam mit Hygieniker*innen, Materialwissenschaftler*innen und Klinikbetreiber*innen zu initiieren und erfolgreich umzusetzen.

Wie kann Architektur vor Infektionen schützen?

Durch bauliche Rahmenbe­dingungen, die einen unkom­plizierten Arbeitsablauf ermöglichen, und baulich erzeugte positive Anreize, auch „nudging“ genannt, zum Beispiel wenn es um die Händedesinfektion geht, kann das Risiko von Infektionen reduziert werden. Im Gesund­heitswesen kann eine Umgebung, in der sich Patient*innen wohlfühlen und das medizinische Personal wenigen zusätzlichen Stress­faktoren ausgesetzt ist, protektiv wirken. Die Un­terbringung in Einzelzimmern mit und ohne Schleuse senkt die Infektionsgefahr – insbesonde­re auf der Intensivstation.  So wird die Kontaktübertragung zwischen den Patient*innen stark eingeschränkt. Das separate Zimmer kann außerdem ein zusätzlicher Faktor zur Erinnerung an die kon­sequente Händedesinfektion sein. Dies sind nur einige Beispiele.

Die Erarbeitung effektiver Konzepte zur Infek­tionskontrolle kann jedoch nur durch die Zusammenar­beit von Expert*innen über fachliche Grenzen hinweg passieren, ganz im Sinne des One-Health-Ansatzes. Die bauliche Infektionsprävention ist hier ein relevanter Faktor.  Es bedarf aber noch eines Kosten-Nutzen-Vergleichs, der die betriebswirtschaftlichen Auswirkungen der baulichen Maßnahmen untersucht.

Mit dem Projekt „EFFO – CoE“ engagiert sich das IKE zum zweiten Mal in Ruanda. Bereits 2019 haben Sie und Ihr Team Isolierstationen in dem Land fertig gestellt. Was sind hier die besonderen Herausforderungen? Warum haben Sie Ruanda ausgewählt?

Dr. Wolfgang Sunder. Bildnachweis: Stefan Großjohann

Im Zusammenhang mit dem weltweit zweitgrößten dokumentierten Ebolafieber-Ausbruch in der Demokratischen Republik Kongo wurden im Jahr 2019 auch Fälle in den Nachbarländern Uganda und Ruanda registriert. Eine Stärkung des Infektionsschutzes in den Gesundheitseinrichtungen war bei den drohenden Fällen von Ebolafieber in Ruanda zwingend notwendig. Im Soforthilfeprojekt „EFFO-HCF“, gefördert vom Bundesministerium für Gesundheit, erstellte das Team des IKE in enger Abstimmung mit den Projektpartner*innen aus Deutschland, dem Robert Koch-Institut (RKI) und dem Institut für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit an der Charité Berlin sowie dem ruandischen Kooperationspartner Rwanda Biomedical Center (RBC) zwei Isoliereinheiten für die temporäre Behandlung von Patient*innen. Die große Herausforderung in dem Projekt war, neben allen kulturellen Aspekten, vor allem die Berücksichtigung von Krankheiten, die durch hochpathogene Erreger (high consequence infectious  diseases, HCID) ausgelöst werden.

Das Robert Koch-Institut hat das seit etlichen Jahren eine laufende Kooperation mit dem Staat Ruanda. Im Programm EFFO – Effizienz durch Fortbildung werden lokale Ausbilder*innen im Umgang mit an Ebolafieber infizierten Patient*innen bzw. deren Verdachtsfällen angeleitet. Unsere enge Zusammenarbeit mit dem Robert Koch-Institut in anderen Projekten führte zu der Einbindung unserer baulichen Expertise im EFFO Programm.

Afrikanische Staaten haben bereits durch Ebola-Epidemien langjährige Erfahrungen im Infektionsschutz. Was können wir von ihnen lernen?

Epidemien sind auf dem afrikanischen Kontinent leider keine Seltenheit. Seit 1976 forderten zum Beispiel 22 Ebola-Ausbrüche über 14.000 Menschenleben. Besonders betroffen war die Demokratische Republik Kongo, hier starben bei dem oben erwähnten großen Ausbruch im Jahr 2019 mehr als 2.000 Menschen. Zwei Jahre lang versuchte man hier das Virus zu besiegen ­­– mit Erfolg: Der Ausbruch von Ebola im Nordosten des Landes wurde im Juni 2020 offiziell für beendet erklärt.

Der Kampf gegen die Ebola-Epidemie war für viele Länder Afrikas eine wichtige Lehrstunde in Sachen Umgang mit Epidemien. Maßnahmen zur Eindämmung des neuartigen Coronavirus wurden daher teilweise schneller ergriffen als in Ländern des Globalen Nordens.

Lernen können wir von unseren afrikanischen Partner*innen vor allem die frühzeitige Eindämmung der Krankheit, um Gesundheitssysteme nicht zu überstrapazieren. Dabei spielen Aufklärung und Trainingsprogramme eine große Rolle. Viele Menschen wurden in Afrika während der Ebola-Epidemie durch Fehlinformationen verunsichert. Erst die Aufklärung durch Vertrauenspersonen wie Lehrer*innen, Pastoren oder Autoritätspersonen in den Gemeinden half vielen Menschen dabei, die Krankheit zu verstehen und wichtige Maßnahmen zu treffen.

In der Sonderisolierstation sollen vor allem so genannte HCID-Fälle behandelt werden, also Menschen, die mit stark krankheitsverursachenden Erregern (high consequence infectious diseases, HCID) infiziert sind. Was gilt es dabei in Planung und Gestaltung zu beachten?

Bei der Planung einer Sonderisolierstation ist die Entwicklung eines strikten Area Management zu beachten. Die Abgrenzung von (Teil-)Bereichen mit hohem Infektionsrisiko zu (Teil-)Bereichen mit niedrigem Infektionsrisiko ist oberstes Ziel. Die zuerst genannten Bereiche werden mit der Farbe Rot und die zuletzt genannten mit der Farbe Grün gekennzeichnet. Diese Kategorisierung unterstützt Mitarbeiter*innen, medizinische und pflegerische Prozesse hygienesicher zu erledigen. Außerdem können sich Patient*innen und Besucher*innen besser orientieren.

Ein weiterer Fokus liegt auf der Vermeidung von Wegkreuzungen zwischen den unterschiedlichen Nutzer*innen einer Isolierstation, unter anderem den Mitarbeiter*innen, Patient*innen, Besucher*innen und Techniker*innen und den Materialströmen, wie  zum Beispiel Essen, Medikamente, Abfall und Wäsche. So können auch ohne den Einbau planungs- und wartungsintensiver technischer Anlagen hygienesichere bauliche Lösungen gefunden werden. Ebenfalls müssen wir im Grundrisslayout Konzepte für Patiententransporte, das Material- und Abfallmanagement sowie den sicheren Umgang mit Verstorbenen berücksichtigen.

Lassen sich die Erkenntnisse aus Ihrer Forschung zum Patientenzimmer, dessen Demonstrator gerade in Braunschweig aufgebaut wird, auch auf die Sonderisolierstation in Ruanda übertragen?

Zentrale Frage bei der Planung eines Patientenzimmers im Projekt KARMIN wie auch der Sonderisolierstation in Ruanda ist: Mit welchen baulichen und prozessualen Maßnahmen lassen sich Infektionen in Kliniken verhindern? Im Projekt KARMIN konnten wir zeigen, wie eine kluge Raumplanung und die Neugestaltung hygienerelevanter Gegenstände die Übertragung gefährlicher Keime in Zweibettzimmern verhindern können. Eine Reihe von Aspekten lassen sich auf die Sonderisolierstation in Ruanda übertragen, beispielsweise die Zonierung und die Ausstattung.

Das KARMIN Patientenzimmer zeichnet sich durch eine klare Zonierung eines Eingangsbereichs und eines fassadenseitigen Besucher*innenteils aus sowie symmetrisch links- und rechtsseitig angeordneten Nasszellen, dem Pflegearbeits- und dem Patient*innenbereich. Dadurch können Bewegungsabläufe im Raum klar koordiniert und Abstände eingehalten werden.

Bei der Ausstattung sind alle freistehenden Objekte, die den Boden berühren, mobil und können bei einer Reinigung einfach verschoben werden. Die festinstallierten Schränke sind bündig gebaut, sodass es keine schlecht zu reinigenden Zwischenräume gibt. Den Patient*innen sind jeweils ein Tisch, Stuhl und Schrank auf der eigenen Zimmerhälfte zugeordnet. Damit können die Patient*innen Abstände waren und berühren nicht versehentlich Gegenstände des anderen.

Welche Themen in der Forschung des Gesundheitsbaus möchten Sie mit Ihrem Team als nächstes angehen?

Wir freuen uns, dass wir diesen Sommer das Forschungs- und Studienlabor „Patientenzimmer der Zukunft“ gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberflächentechnik (IST) Braunschweig, dem Städtischen Klinikum Braunschweig und einer großen Anzahl an Industriepartner*innen in Betrieb nehmen können. Der Demonstrator wird auf einer Freifläche des Klinikums am Standort Naumburgstraße errichtet. Gemeinsam mit Expert*innen aus Architektur, Medizin, Hygiene und Material werden wir in den nächsten Jahren praxistaugliche Musterlösungen für die Krankenhaus-Architektur entwickeln. Dazu gehören Materialien, Oberflächen und Ausstattungselemente, die leicht zu reinigen sind und so helfen, gefährliche Keime einzudämmen. In diesem Zusammenhang sollen auch Sensoren und neue innovative Reinigungssysteme, die eine Keimbelastung schnell identifizieren und automatisiert beseitigen, getestet werden.

Zudem beginnen wir in diesem Jahr mit dem Aufbau einer nationalen Wissensplattform für infektionspräventives Bauen. Die kostenfrei zugängliche Plattform wird grundlegendes Wissen der baulichen Infektionsprävention in Bezug auf luftgetragene wie auch Kontaktinfektionen im engen Austausch mit den Bereichen Bau, Material, Haustechnik und Hygiene sichten und als Empfehlungen Planer*innen und Nutzer*innen verständlich und praxistauglich zugänglich machen.

Das Wissen vergangener wie aktueller Projekte führen wir gemeinsam mit den Partner*innen der Charité Berlin, der TU Berlin und des Robert Koch-Instituts zusammen, visualisieren es und überführen es auch teilweise in Simulationen. Geplant ist, dass die Wissensplattform interaktiv über die Webseite „Zukunft Bau“ des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen abgerufen werden kann.