Pelzige Pfähle im Wellenkanal Neues Messgerät im LWI für Strömungsversuche im Projekt „EnviSim4Mare“
Wellen, Wind, Meeresströmungen – Offshore-Windkraftanlagen sind extremen Kräften ausgesetzt. Zusätzlich beeinflussen Muscheln und Algen die Lastaufnahme der Bauwerke. Wie sich dieser Bewuchs auswirkt, untersuchen Wissenschaftler*innen des Leichtweiß-Instituts für Wasserbau (LWI) im Forschungsprojekt „EnviSim4Mare“ . Dafür setzen die Forschenden jetzt ein neues Messgerät ein, mit dem sie die Umströmung von Strukturen messen können.
Das sogenannte Shake-The-Box 4D-PTV System wurde auf einem Wellenkanal in der Versuchshalle des LWI aufgebaut. Ungefähr 800 Kilogramm wiegt die Konstruktion, an der Kameraarm, vier Kameras und LEDs befestigt sind. Rund 300.000 Euro hat das Hightech-Gerät gekostet. Was rein äußerlich zunächst wenig spektakulär daher kommt, entpuppt sich als hochkomplexes System. In den ersten Wochen waren Mario Welzel und Clemens Krautwald vor allem damit beschäftigt, das Messgerät kennenzulernen. „Wir haben deshalb im Vorfeld der ersten Versuche etwas mehr Zeit eingeplant“, sagt Mario Welzel, wissenschaftlicher Mitarbeiter im „EnviSim4Mare“-Projekt. „Für die Messungen müssen wir zahlreiche Einstellungen am 4D-PTV System vornehmen.“
Pfähle mit „Pelz“
Aber nicht nur das: Auch der Wellenkanal und die Pfähle, um die die Strömung herum gemessen wird, müssen vorbereitet werden. 18 verschiedene Wellen wollen die Wissenschaftler*innen testen – pro Pfahl. Insgesamt haben sie acht Pfähle präpariert. Manche sind schlicht schwarz lackiert, andere sind mit Schleifpapier in unterschiedlicher Körnung beklebt, und einige wiederum haben einen „Pelz“ erhalten. Dazu hat das Projektteam Teppich in mehreren Längen genutzt. Die Pfähle – von glatt bis flauschig – simulieren die Gründungsstrukturen von Offshore-Windkraftanlagen und diversen Bewuchs. Jetzt umspült sie das Wasser im Wellenkanal. Langsam rollt die erste Welle auf den schwarz lackierten Pfahl zu. Ein breiter violetter Streifen der LEDs des Messgeräts leuchtet über dem Kanal.
Das eigentliche Geschehen spielt sich auf dem Computermonitor ab. Gespannt blicken Mario Welzel und Clemens Krautwald auf den Bildschirm, während die Welle den Pfahl umströmt. Winzige im Wasser schwimmende Partikel werden sichtbar, die entweder der gleichmäßigen Orbitalbewegung der Welle oder den Verwirbelungen infolge der Pfahloberfläche folgen. Tausende Kunststoffkügelchen haben die beiden Wissenschaftler im Messbereich um den Pfahl im Wasser verteilt, um damit die Geschwindigkeitsfelder in den Wellen und um die Strukturen herum zu untersuchen. „Mit der 4D-Strömungsfeldmessung können wir die Strömung messen, ohne diese wie bei anderen Verfahren zu beeinflussen“, so Mario Welzel. Nur mit optischen Mitteln beobachten und analysieren die Forschenden die Prozesse aus der Ferne. Sie variieren immer wieder die Wellen und setzen die verschiedenen Pfähle im Kanal ein.
Versuche im neuen Salzwasser-Wellen-Strömungskanal
Krafteinwirkungen, Ablösewirbel und Strömungsmuster stehen im Fokus. Durch die unterschiedliche Rauheit des Pfahls wird sich auch die Krafteinwirkung auf die Struktur verändern. Heißt: Der mögliche Bewuchs von Muscheln und Algen muss bereits in der Planung und beim Bau einer Windkraftanlage mitgedacht werden. „Wir benötigen hier ein besseres Systemverständnis. Denn je weniger wir über die Prozesse und Einflüsse wissen, desto mehr Sicherheitsfaktoren müssen eingebaut werden“, erklärt Welzel. „Neben den Pfählen der riesigen fest verankerten Windräder sind auch Kabel oder Pipelines von Muschelbewuchs betroffen“, ergänzt Clemens Krautwald: „Diese Grundlagenversuche unterschiedlicher Pfähle sollen das Prozessverständnis verbessern, welches in mehreren Bereichen erforderlich ist.“
Rund 400 Experimente haben die Wissenschaftler*innen mit unterschiedlichen Kameraeinstellungen geplant. Wenn im kommenden Jahr der neue Salzwasser-Wellen-Strömungskanal in der Versuchshalle steht, wird das Messgerät mit einem Kran umgesetzt, um die Versuche dort fortzusetzen. Bereits jetzt hat das Projektteam Versuchskörper an verschiedenen Offshore-Standorten in der Nordsee um Helgoland und Nordergründe ausgebracht. Hier sollen sich Algen, Seepocken und Muscheln ansiedeln, um sie später in der fertiggestellten Forschungsanlage im LWI zu untersuchen.
EnviSim4Mare
Im Forschungsvorhaben „EnviSim4Mare“ wird untersucht, wie der Bewuchs aus Muscheln, Algen und anderen kleinen Meeresbewohnern die Tragfähigkeit von Offshore-Windenergieanlagen und anderen maritimen Bauwerken beeinflusst. Dazu entsteht am Leichtweiß-Institut für Wasserbau (LWI) eine neue salzwassertaugliche Großforschungsanlage.
„EnviSim4Mare“ wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) für drei Jahre seit 1. Dezember 2019 gefördert. Das Leichtweiß-Institut der TU Braunschweig, Abteilung Hydromechanik, Küsteningenieurwesen und Seebau, erhält von der Gesamtfördersumme im Teilvorhaben rund 4 Millionen Euro.
Neben dem Leichtweiß-Institut gehören zum Forschungsverbund die Arbeitsgruppe von Professor Bela H. Buck vom Alfred-Wegener-lnstitut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven und die beiden Unternehmen Jörss-Blunck-Ordemann GmbH und Ocean Breeze Energy GmbH & Co. KG sowie weitere assoziierte Industriepartner und Behörden.