Neue Wirkstoffe für Infektionskrankheiten Professor Ott zum Promotionsprogramm „Drug Discovery und Chemieinformatik für neue Antiinfektiva“
Krankmachende Mikroorganismen entwickeln zunehmend eine Resistenz gegen die Wirkung von Antiinfektiva. Hier setzt das Promotionsprogramm „Drug Discovery und Chemieinformatik für neue Antiinfektiva“ an: Die Doktorandinnen und Doktoranden entwickeln neue Arzneistoffe zur Behandlung von bakteriellen und parasitären Infektionserkrankungen. Das Programm wird federführend von der Technischen Universität Braunschweig in Kooperation mit dem Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) und der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften durchgeführt und ist eingebettet in das Zentrum für Pharmaverfahrenstechnik (PVZ) der Carolo-Wilhelmina. Wir haben den Sprecher Professor Ingo Ott vom Institut für Medizinische und Pharmazeutische Chemie zur Arbeit des Forschungsverbunds befragt.
Professor Ott, die Promovierenden im Promotionsprogramm forschen an neuen Antiinfektiva, also an neuen Arzneistoffen zur Behandlung von Infektionskrankheiten und parasitären Krankheiten wie Tropenerkrankungen. Warum brauchen wir solche neuen Medikamente?
Der Wirkstoff-Pool bei Antiinfektiva ist insbesondere bei Antibiotika gar nicht so breit aufgestellt. Es gibt seit mehreren Jahrzehnten verschiedene Antibiotika, die gut funktionieren. Aber die Resistenz von Mikroorganismen gegenüber solchen antimikrobiellen Medikamenten nimmt immer mehr zu. Das ist eine große Herausforderung für die Medizin. Infektionen mit resistenten Erregern lassen sich oft schwieriger behandeln und können einen komplizierteren Verlauf nehmen. Deshalb ist die Forschung an neuen Arzneistoffen so wichtig. Wir haben im Programm einen starken Fokus aus Antibiotika, beschäftigen uns aber auch mit Wirkstoffen gegen parasitäre Infektionserkrankungen.
Durch die aktuelle Corona-Pandemie ist die Bedeutung der Entwicklung neuer Wirkstoffe noch präsenter geworden.
Ja, das stimmt. Dadurch ist weltweit noch einmal sichtbar geworden, wie wichtig die Arbeit an neuen Impf- und Arzneistoffen ist, und wie schwierig es gleichzeitig ist, schnell einen neuen Wirkstoff zu entwickeln. Das hat uns auch noch einmal bestätigt, wie wichtig auch die Grundlagenforschung in solchen Verbundprojekten wie unserem iCA-Promotionsprogramm ist, auf die dann weiter aufgebaut werden kann.
Wie werden im iCA-Programm neue Wirkstoffe entwickelt?
Wenn man einen neuen Wirkstoff entwickeln will, für den es noch keine Resistenzen gibt und der sich von anderen unterscheidet, dann braucht man entweder eine neue chemische Struktur oder man braucht ein neues Target, also eine neue Zielstruktur in den Krankheitserregern, die mit dem Wirkstoff angesteuert wird.
Wir setzen an beiden Punkten an. Wir wollen zum einen eine neue Wirkstoffchemie einbringen. Die verschiedenen Wirkstofftypen von Antibiotika sind chemisch gesehen alle sehr ähnlich. Wir wollen deshalb Wirkstoffe mit neuen chemischen Strukturen generieren. Zum Beispiel ein Antibiotikum, das sich chemisch stark von anderen Antibiotika unterscheidet, aber die gleiche Wirkung hat. Dafür forschen wir an Stoffen, die sich von den bestehenden Wirkstoffen unterscheiden, wie zum Beispiel Metallverbindungen oder Naturstoffe.
Zum anderen wollen wir aber auch neue Targets in den Erregern identifizieren, an die dann Wirkstoffe binden können. Die Resistenz gegenüber Antibiotika basiert nämlich teilweise auch darauf, dass sich Bakterien genetisch verändern können und Antibiotika deshalb Targets nicht mehr ansprechen können. Wir brauchen also in den Krankheitserregern eine neue Zielstruktur, die wir angreifen können.
Das Promotionsprogramm findet in Kooperation mit HZI und der Ostfalia statt. Wie können wir uns die Zusammenarbeit vorstellen?
Jeder Stipendiat und jede Stipendiatin hat ein eigenständiges Projekt – entweder in einer Arbeitsgruppe bei uns an der TU Braunschweig, am HZI oder an der Ostfalia. Aber diese Projekte sind in eine größere Gesamtheit innerhalb des Programms eingebunden und miteinander gekoppelt. Zum Beispiel beforscht eine Arbeitsgruppe am HZI neue Zielstrukturen, für die es noch keine Wirkstoffe gibt. Die Promovierenden geben die Informationen über so ein neues Target dann an die Nachwuchsforschenden aus der medizinischen Chemie weiter. Der oder die Doktorand*in designt am Computer einen potentiellen Wirkstoff für diese Zielstruktur, stellt diesen synthetisch her und gibt ihn dann wieder in die andere Gruppe am HZI, wo er getestet wird. Die Gruppe von der Ostfalia braucht dagegen beispielsweise experimentelle Daten, mit denen sie ihre Modelle erstellen können. Dafür tauschen sich dann experimentelle und theoretische Gruppen miteinander aus. So sind die meisten Projekte irgendwie miteinander vernetzt.
Geplant sind außerdem auch Lab-Exchanges: Die Doktorandinnen und Doktoranden haben im Laufe des Programmes die Möglichkeit, mehrere Wochen in einem anderen Labor mitzuarbeiten. Wir legen viel Wert darauf, dass die Nachwuchswissenschaftler*innen über ihr eigenes Forschungsprojekt hinausschauen können.
Was sind weitere Besonderheiten des Programms?
Das Programm gehört zum TU-Forschungsschwerpunkt „Infektionen und Wirkstoffe“ und ist bewusst sehr interdisziplinär angelegt. Das bringt viele Vorteile mit sich. Die Stipendiatinnen und Stipendiaten kommen aus der Pharmazie, Chemie, Biologie, Informatik und vielen anderen Bereichen. Sie decken unterschiedliche Bereiche der Wirkstoffentwicklung ab, die in dem Programm miteinander verbunden werden. Wir haben Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler, die mit Daten am Computer umgehen und andere, die klassisch im Labor arbeiten. Diese Mischung macht die Arbeit sehr reizvoll.
Die Stipendiatinnen und Stipendiaten haben die Möglichkeit, über den Tellerrand ihrer eigenen Forschung zu schauen. Dadurch lernen sie gleichzeitig, in Kooperationen zu arbeiten. Auch die Einbettung des Programms in das PVZ ist eine Besonderheit. Das Programm läuft drei Jahre. In dieser Zeit wollen wir die Grundlage legen, dass die Arbeit der Promovierenden in weitere Projekte mündet. Das heißt, ein großes Ziel von so einem Programm ist es auch, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler besser zu vernetzen.