Arbeitswelten der Zukunft Interview mit Professorin Susanne Robra-Bissantz und Professorin Simone Kauffeld
Von Gesundheit und Prävention über vernetztes Arbeiten bis hin zu Partizipation und Führung – bei der virtuellen Tagung „beyondwork 2020“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung stehen Themen rund um die Arbeitswelten der Zukunft im Fokus. Mit dabei sind auch Professorin Simone Kauffeld vom Lehrstuhl für Arbeits-, Organisations- und Sozialpsychologie und Professorin Susanne Robra-Bissantz vom Lehrstuhl für Informationsmanagement. Wir haben mit ihnen vorab über mobiles Arbeiten, Kompetenzmanagement und Service Mindset gesprochen.
Professorin Kauffeld, virtuelle Zusammenarbeit und Homeoffice haben in Zeiten von Corona eine neue Relevanz erfahren. Hat das Auswirkungen darauf, wie wir zukünftig arbeiten? Ist mobiles Arbeiten vielleicht sogar positiv für unsere Work-Life-Balance?
Kauffeld: Homeoffice wird von Mitarbeitenden generell recht gut aufgenommen. In einer unserer eigenen Befragungen hat sich gezeigt, dass mehr als 70 Prozent der Befragten dem Homeoffice positiv oder sehr positiv gegenüberstehen. Die aktuellen Entwicklungen haben vielen Unternehmen einen Denkanstoß gegeben, Homeoffice auch nach der Corona-Krise mehr in die reguläre Arbeit zu integrieren. Das wird vermutlich langfristig auch einen Einfluss auf die Work-Life-Balance haben.
Grundsätzlich kann zwischen zwei Arbeitstypen unterschieden werden: Es gibt zum einen diejenigen, die Arbeit- und Berufsleben gerne getrennt halten. Für sie ist das Homeoffice eine größere Herausforderung. Mit entsprechenden räumlichen und zeitlichen Grenzen, zum Beispiel festen Arbeitszeiten und einem gut ausgestatteten Büro, kann es aber auch für sie gut gelingen. Auf der anderen Seite gibt es Personen, denen eine Vermischung von Arbeits- und Privatleben nicht viel ausmacht. Ihnen kommt die Flexibilität sehr zugute. Beide Typen haben ihre eigene Form von Work-Life-Balance, die für sie funktioniert. Mit den entsprechenden Strategien und einer guten Vorbereitung kann sich die Arbeit im Homeoffice für beide positiv auf die Work-Life-Balance auswirken. Natürlich spielen da auch weitere Faktoren eine Rolle. Für einige Personen ist es ein Geschenk, mittags gemeinsam mit der Familie zu essen oder morgens und abends keine langen Anfahrtszeiten mehr zu haben.
Der Wandel der Arbeitswelten verändert auch Unternehmenskulturen von „top-down“ zu „bottom-up“: Werden berufliche Hierarchien flacher? Was für Herausforderungen, aber auch Chancen bringt das mit sich?
Kauffeld: Flachere Hierarchien in Unternehmen sind in vielen Unternehmen angekommen. Das bedeutet weniger Vorgesetzte und damit verkürzte Handlungs- und Entscheidungswege, mehr Verantwortung für die Mitarbeitenden und mehr Flexibilität für die Organisation. Ein aktueller Führungsansatz, der das berücksichtigt, ist die geteilte Führung. Dabei übernehmen verschiedene Teammitglieder bewusst zeitweise die Führungsrolle. Das erfüllt mehrere Aspekte gleichzeitig: Einerseits führen jeweils die Personen, die die aktuell benötigten Ressourcen, das Wissen und die Kapazitäten haben. Andererseits werden alle beteiligt, sodass die Bedürfnisse nach Partizipation, Autonomie und flachen Hierarchien befriedigt werden. Geteilte Führung muss kein Gegensatz zur klassischen Führung durch eine Person darstellen, sondern kann parallel innerhalb des Teams auftreten.
Durch technologische und digitale Entwicklungen werden für Beschäftigte neue Kompetenzen und Fähigkeiten relevant. Bei der Tagung „beyondwork2020“ sprechen Sie über Kompetenzmanagement. Was bedeutet das?
Kauffeld: Im Transformationsprozess sehen sich Organisationen ständig wechselnden Anforderungen und Herausforderungen gegenüber. Um solche dynamischen Veränderungen erfolgreich zu meistern, wird das Kompetenzmanagement zu einem Schlüsselfaktor. Organisationen müssen die Kompetenzen ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entwickeln, um den aktuellen Herausforderungen gerecht zu werden, zukünftige Kompetenzanforderungen antizipieren und ihre Personalentwicklungsstrategien entsprechend planen. Dabei können digitale Tools zum Beispiel beim Onboarding, bei der Verbindung von formellem und informellen Lernen, beim Wissensmanagement unterstützen. Neben der Kompetenzentwicklung gilt es aber auch, die Motivation für Veränderung zu stärken, da wir Veränderungen oft ambivalent gegenüberstehen.
Professorin Robra-Bissantz, in Ihrem Vortrag bei „beyondwork2020“ geht es unter anderem darum, wie sich Interaktionsarbeit durch digitale Technologien wandelt und welche Möglichkeiten ein Service Mindset bietet. Was versteht man unter Interaktionsarbeit?
Robra-Bissantz: Interaktionsarbeit umfasst alle Arbeitsformen, bei denen Menschen miteinander interagieren. Das kann zum Beispiel die Arbeit im Einzelhandel sein, aber auch beim Friseur, in der Pflege oder im Anwaltsbüro, wo die Mitarbeitenden mit Kund*innen, Klient*innen oder Patient*innen interagieren. Um die Arbeit effizienter zu gestalten, gibt es verschiedene Ansätze und Möglichkeiten. Man könnte beispielsweise vorgeben, wie lange einzelne Arbeitsschritte dauern sollten. Ich glaube , dass dies oft nicht zielführend ist – weder für die Mitarbeitenden noch für die „Kundinnen“ und „Kunden“. Organisationen sollten lieber mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gemeinsam festlegen, was ihnen in der Interaktionsarbeit wichtig ist und sich so auf ein gemeinsames Service Mindset einigen. Interaktionsarbeit sollte dann als Service, als Dienstleistung gesehen werden.
Was ist wichtig für ein erfolgreiches Service Mindset?
Robra-Bissantz: Zum einen die Kompetenz, gute Lösungen zu finden. Das heißt, die Interaktionsarbeiterinnen und -arbeiter suchen und finden die beste Lösung für den jeweiligen „Kunden“ bzw. die jeweilige „Kundin“. Dabei geht es nicht um Organisationsprozesse, sondern um die Personen. Denn diese entscheiden ja letztlich darüber, ob sie den Dienstleister wählen. Außerdem benötigt man Kollaborationskompetenz. Das heißt, dass man bei der Lösungsfindung mit dem Kunden oder der Kundin zusammenarbeitet, um Vertrauen und eine Beziehung zueinander aufzubauen. Für ein erfolgreiches Service Mindset ist es außerdem wichtig, dass den Mitarbeitenden Verantwortung übertragen wird. Denn nur so kann eine Organisation sich auf die wechselnden Anforderungen in der Interaktionsarbeit einstellen. Gleichzeitig sind Kompetenzen in der Digitalisierung von Bedeutung. Das heißt, die Mitarbeitenden müssen wissen, wie man digitale Services so einsetzen kann, dass sie bestmöglich dabei helfen, Beziehungen zu den Kund*innen zu schaffen und Lösungen zu finden. Digitale Services bieten die Möglichkeit, die Kunden schon weit vor der eigentlichen Dienstleistung anzusprechen, Vertrauen aufzubauen und sie aber auch nach der Dienstleistung zu betreuen und zu begleiten. Ein wichtiger Aspekt beim Service Mindset ist für mich, dass Kontrolle durch Vertrauen ersetzt werden kann.
Wie wichtig ist Vertrauen bei der Arbeit in der heutigen digitalisierten Zeit?
Robra-Bissantz: Sehr wichtig. Eine der größten Herausforderungen für die Arbeit ist meiner Meinung nach, dass man Kollaboration statt Hierarchien fördert und andere Wege als die Prozessorganisation findet, um zusammen zu arbeiten. Dabei sollte gelten: Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser. Außerdem ist es wichtig, Kreativität zu fördern, um Probleme zu lösen. Die Digitalisierung macht eigentlich jegliche Geschäftstätigkeit zu einer personennahen Dienstleistung. Direkt am und für den Menschen. Man kann diese „Personennähe“ sehr gut auch digital mit Services abbilden. Dabei gilt: Mehr digital ist nicht weniger Mensch.