Mit dem Fahrrad nach Lissabon TU-Student Moses Köhler radelte ins Erasmussemester
2.400 Kilometer waren es am Ende, die Moses Köhler im Sommer des vergangenen Jahres mit dem Fahrrad zurücklegte, bevor er in das Abenteuer Auslandssemester startete. Von Deutschland nach Lissabon auf zwei Rädern. Was der TU-Student auf seiner „Tour de Erasmus“ erlebt hat, verriet er uns im Interview. Vorweg sei schon Mal verraten: Sein Gepäck für das Auslandssemester hat der 27-Jährige auch auf dem Fahrrad transportiert – und es spätestens nach den ersten fünf Etappen bereut.
Den Wunsch ein Auslandssemester zu absolvieren hatte Moses Köhler schon lange. Als die Corona-Pandemie dann dafür sorgte, dass viele geliebte Freizeitaktivitäten nicht mehr stattfinden konnten und sein Masterstudium der Sozialwissenschaften sich außerdem dem Ende näherte, packte Köhler die Gelegenheit beim Schopfe und nahm an einer Infoveranstaltung von Erasmus+ Hochschulkoordinator Francesco Ducatelli teil. Sein Ziel stand nur vage fest: Der Süden Europas sollte es werden. Erst in der weiteren Beratung durch das Mobilitätsbüro des International House und die Carl-Friedrich-Gauß-Fakultät kristallisierte sich die portugiesische Hauptstadt Lissabon als Reiseziel heraus. „Ich konnte zu dem Zeitpunkt kein Wort Portugiesisch. Da hatte ich zuerst schon Bedenken, ob es die richtige Entscheidung ist“, blickt Köhler zurück. „Vor allem, weil das Studium an der Universidade de Lisboa eigentlich komplett auf Portugiesisch stattfindet. Aber es hat glücklicherweise dann doch geklappt, dass ich alle meine Leistungen auf Englisch erbringen konnte.“
„Wenn nicht jetzt, wann dann?“
Auch die Idee, eine längere Fahrradreise zu machen, schwirrte dem gebürtigen Peiner schon lange im Kopf herum. „Ich bin schon immer viel Fahrrad gefahren und habe auch schon kleinere Touren mit dem Rad gemacht. Außerdem interessiere mich auch im Rahmen meines Studiums sehr für nachhaltige urbane Mobilität“, erklärt Köhler. „Als Ziel und Zeitpunkt des Auslandssemesters dann feststanden, habe ich mir gesagt: Wenn nicht jetzt, wann dann? Ich steig jetzt auf das Fahrrad und fahr los. Man hat nie wieder im Leben so viel Freiheiten, wie als Student.“
Am 26. Juli 2021 ging die Reise dann los. Spätestens am 10. September, dem Anmeldetag in der Universidade de Lisboa, musste der Rad-Reisende in Lissabon ankommen. Ein wenig Luft hatte er eingeplant, doch man weiß ja nie, was auf so einer langen Reise passieren kann. Ausgangspunkt der Reise war Aachen, denn dort verläuft die EuroVelo3, eine Radroute, die von Trondheim in Norwegen bis Santiago de Compostela in Spanien führt. Dieser Route folgte Köhler bis Paris, dem ersten großen Etappenziel seiner Reise.
Übrigens: Das Rad, mit dem der Student die gesamte Strecke bewältigte, war ein ganz normales Trekking-Rad – ohne Elektromotor. In den Satteltaschen hatte er sein Gepäck für das gesamte Auslandssemester dabei, inklusive Laptop. Erst im Dezember ließ er sich für die kühlen Wintermonate einige Pullover nachschicken. „Das Gepäck hat mich schon an meine Grenzen gebracht, das muss ich ehrlicherweise zugeben“, berichtet Köhler schmunzelnd. „Das Fahrrad inklusive Gepäck hat noch einmal genauso viel gewogen, wie ich selbst. Bei jeder Steigung habe ich deshalb zwei Mal überlegt, ob ich sie wirklich nehme oder mir doch einen Umweg suche. Bei der nächsten Tour geht’s deshalb mit höchstens halb so viel Gepäck auf die Strecke.“
Klausurenphase auf dem Campingplatz
Die ersten Tage seiner Reise begannen mit viel Regen, dem ersten und einzigen Platten auf der gesamten Tour und mit Klausurenstress: „Ich hatte in dem Zeitraum der Reise auch noch zwei Klausuren, die mir eigentlich einen Strich durch die Rechnung gemacht haben. Aber dank Corona fanden die online statt und ich habe sie von einem Campingplatz während der Tour geschrieben“, erzählt Köhler. Seine Etappen plante er immer von Tag zu Tag. Apps halfen ihm dabei, den richtigen Weg und geeignete Übernachtungsmöglichkeiten zu finden.
Auf der Strecke lernte der Masterstudent auch andere Rad-Reisende kennen, wie den Italiener Ricardo, der kurz zuvor in den Ruhestand gegangen war. Zehn Tage trat das ungleiche Duo gemeinsam in die Pedalen und erlebte das ein oder andere Abenteuer. An der französischen Atlantikküste verzweifelten beide fast auf der Suche nach einer Unterkunft, bis zwei Franzosen sie schließlich einfach zur Übernachtung in ihren Garten einluden. Ein französisches Abendessen gab es gratis dazu. In Spanien trennten sich die Wege der beiden Reisenden dann wieder.
Das Ziel ist nah
„Jede Landesgrenze war ein Highlight für mich, weil es bedeutete, dem Ziel einen großen Schritt näher zu kommen“, erinnert sich Köhler. „So sehr ich auch die Zeit genossen habe, mit Ricardo gemeinsam durch Frankreich zu fahren, so sehr habe ich mich dann auch darauf gefreut, den letzten Teil der Reise ganz alleine für mich zu erleben.“ Atemberaubende Ausblicke auf die Atlantikküste, unvergessliche Sonnenaufgänge und Naturerlebnisse belohnten den Studenten für die Mühen der Fahrt. Kurz vor Lissabon konnte er sogar wilde Flamingos beobachten. Das große Ziel, die portugiesische Hauptstadt, erreichte Köhler am 3. September – eine Woche vor dem Anmeldetag in der Universität. Sein Fazit zur Reise: „Ich bin richtig froh, dass ich das gemacht habe. Mal rauszukommen, etwas Neues zu sehen und mich selbst neu zu erleben – das war die Strapazen definitiv wert.“
Über alternative Reisemittel in den Dialog kommen
Das Abenteuer Erasmus ging dann aber erst richtig los. Fünf Monate studierte Köhler an der Erasmus-Partneruniversität in Lissabon und engagierte sich neben dem Studium auch in der dortigen Fahrradcommunity. „Im Vergleich zu Braunschweig ist diese Community in Lissabon noch recht klein. Bei meiner ersten Teilnahme an der dortigen Critical Mass waren nur zehn Personen dabei. In Braunschweig sind es regelmäßig über 300“, berichtet er. Auch in ganz Portugal betrage der Anteil der Fahrradfahrer*innen am Verkehr nur ein Prozent, was deutlich unter dem europäischen Durchschnitt von acht Prozent liege, erklärt Köhler, der das Thema nachhaltige urbane Mobilität auch im Studium weiterverfolgen möchte. Wichtig ist ihm, mit anderen darüber ins Gespräch zu kommen. „Ich habe das Gefühl, dass sich viele Menschen schon Gedanken über alternative Reisemittel machen, aber dass es dann bei der Umsetzung oft daran scheitert, dass die Alternative zu teuer oder zu kompliziert ist. Da stimmen die Anreize nicht, Flüge sind heutzutage eben einfach immer noch häufig viel günstiger als Bahnfahrten.“
Im Februar geht es dann für Moses Köhler wieder zurück nach Braunschweig. Begleiten wird ihn eine weitere Radreisende. Helena, Studentin an der Universität der Künste Berlin, war ebenfalls mit dem Fahrrad nach Lissabon geradelt. Gemeinsam geht es in Kürze auf den Rückweg nach Deutschland. Aufgrund der kalten Jahreszeit planen die beiden, einige Teilstrecken mit dem Zug zurückzulegen. Das Auslandssemester mit Erasmus+ in Portugal wird für den TU-Studenten eine unvergessliche Zeit bleiben: „Ich habe viele Erfahrungen damit gesammelt, mit nicht alltäglichen Situationen umzugehen und habe mich als Mensch dadurch weiterentwickelt“, resümiert er und empfiehlt anderen Studierenden: „Wenn ihr darüber nachdenkt, ins Ausland zu gehen, kann ich nur sagen: Macht es und lasst euch auch nicht von eventuellen Hürden abschrecken. Ich habe im gesamten Prozess vor und während des Auslandssemesters eine tolle Unterstützung erfahren.“
Text: Henrike Hoy (International House/TU Braunschweig)