18. November 2020 | Magazin:

Mit BWL und Mathematik den Luftverkehr besser machen Dr. Imke Joormann forscht mit ihrer Nachwuchsgruppe im Exzellenzcluster SE2A

Ob neue Materialien und Designs, die Subventionierung von Elektromobilität oder die Einführung einer Kerosinsteuer: Es gibt verschiedene Ideen, um den zukünftigen Flugverkehr nachhaltiger zu gestalten. Aber welche Auswirkungen hätten solche Maßnahmen auf das gesamte System des Luftverkehrs? Damit beschäftigen sich Dr. Imke Joormann und ihre Nachwuchsgruppe „Overall System Evaluation“ im Exzellenzcluster SE2A der Technischen Universität Braunschweig. Das Team vereint Mathematik und Betriebswirtschaftslehre und erforscht so verschiedene Einflussmöglichkeiten auf den Luftverkehr.

Bildunterschrift: Dr. Imke Joormann leitet die Nachwuchsgruppe „Overall System Evaluation“ im Exzellenzcluster SE2A. Bildnachweis: Christian Thies

Unser Luftverkehr ist ein komplexes System mit unterschiedlichen Akteuren. Dazu gehören zum Beispiel Fluggesellschaften und Passagiere, aber auch Kraftstofflieferanten, Flugzeughersteller, regulierende Behörden genauso wie Umwelt und Wirtschaft. Damit Fliegen in Zukunft nachhaltiger gestaltet werden kann, sind Elektroflugzeuge für Kurzstreckenflüge ein möglicher Ansatz. Um das umsetzen zu können, ist es wichtig zu verstehen, wie die verschiedenen Bereiche im Luftverkehrssystem zusammenhängen und welche Auswirkungen einzelne Maßnahmen, wie beispielsweise die Einführung einer Kerosinsteuer, darauf hätten.

Auswirkungen von Maßnahmen simulieren

Genau das erforscht Mathematikerin Dr. Imke Joormann vom Institut für Automobilwirtschaft und Industrielle Produktion (AIP) zusammen mit zwei Doktoranden. Sie setzen dafür unter anderem einen so genannten System-Dynamics-Ansatz ein. Das ist eine Methode aus der Betriebswirtschaftslehre, um dynamisch-komplexe Sachverhalte zu simulieren und zu analysieren. „Auf diese Weise können wir das Verhalten des gesamten Luftverkehrssystems nachbilden und untersuchen, welche Auswirkungen es hätte, wenn wir zum Beispiel die Anschaffung von Elektroflugzeugen subventionieren, also staatlich unterstützen, würden“, erklärt Dr. Joormann. „Am Ende wollen wir eine Empfehlung geben können, welche Maßnahmen am besten geeignet sind, um einen möglichst guten Durchsatz einer Elektroflotte zu erhalten.“

Die richtige Kombination von mathematischen Werkzeugen

Gleichzeitig forscht die Gruppe daran, wie die künftige Zusammensetzung von Flugzeugflotten optimiert werden kann. Die Herausforderung dabei ist nicht, ein mathematisches Modell dafür zu entwickeln, sondern es zu lösen: Praktisch relevante Modelle werden oft sehr groß und kompliziert; sie können dann nicht mehr von sogenannten Solvern gelöst werden. Solver sind mathematische Programme, die auf die Lösung spezieller Probleme programmiert sind. „In unserm Fall sind das Solver für die mathematische Optimierung. Wenn so ein Programm unser Modell nicht lösen kann, fängt unsere Arbeit an,“ so Imke Joormann. „Wir überlegen, wie wir den Lösungsprozess verbessern können. Dafür haben wir sozusagen einen Werkzeugkasten mit vielen Werkzeugen. Von jedem Werkzeug gibt es unterschiedliche Varianten. Es kommt darauf an, das richtige Werkzeug und die richtige Kombination der Werkzeuge zu finden. In den spannenden Fällen funktioniert keines unserer Standardwerkzeuge und wir müssen neue, kreative Lösungen finden.“

„Die Herausforderung ist, sich gegenseitig richtig zu verstehen“

Eine Stärke ihrer Nachwuchsgruppe sieht Imke Joormann in der Kombination von angewandter Mathematik und Betriebswirtschaftslehre. So kommt Doktorand Jan-Christian Resch aus der Mathematik, Chetan Talwar hat einen betriebswirtschaftlichen Hintergrund. Unterstützt wird die Gruppe vom Lehrstuhl für Produktion und Logistik sowie dem Institut für Mathematische Optimierung. „Es gibt eine enge Verbindung zwischen dem produktionswirtschaftlichen Teil in der Betriebswirtschaftslehre und der mathematischen Optimierung. Das können wir für unsere Forschung optimal nutzen und die Vorteile aus dem einen Bereich in den anderen bringen, und anders herum“, so Imke Joormann.

Eine Herausforderung, die die Mathematikerin generell bei interdisziplinären Projekten sieht, ist die Kommunikation: „Es kann manchmal schwierig sein, sich gegenseitig richtig zu verstehen. Wir sprechen, je nach Disziplin, eine andere Sprache. Das wichtigste ist, dass wir offen bleiben. Es wird Missverständnisse geben, das müssen wir uns klar machen. Aber diese Missverständnisse können wir gemeinsam lösen und durch den Austausch Neues lernen.“

Die promovierte Mathematikerin hat sich bewusst für das interdisziplinäre Projekt am AIP entschieden: „Diese Entscheidung kann natürlich auch Einfluss auf meine Karriere haben. Mein Ziel ist es, Professorin zu werden. Durch die interdisziplinäre Ausrichtung, die meine Forschung jetzt hat, kann es sein, dass ich nicht überall eine Stelle bekommen werde. Für manche Mathematik-Departments ist mein Anwendungsbezug zu stark. Mir macht meine Arbeit aber extrem viel Spaß und ich denke, dass wir etwas bewegen können.“