Mit Bambus und Lego-Brücken Vincent Oettel ist neuer Professor für Massivbau am Institut für Baustoffe, Massivbau und Brandschutz
Innovative Materialien, nachhaltige Bauweisen und automatisierte Fertigung – der Bauingenieur Vincent Oettel bringt eine klare Vision für die Zukunft des Bauens mit. Nach seiner Zeit als Professor in Hannover kehrt er nun an die Technische Universität Braunschweig zurück, um das Fachgebiet Massivbau am Institut für Baustoffe, Massivbau und Brandschutz (iBMB) zu leiten. Im Interview mit Bianca Loschinsky und Heiko Jacobs spricht er über seine Forschung an Hochleistungsbeton, den Einsatz von Bambus als Bewehrung und modulare Brückensysteme, die an Lego erinnern.

Professor Vincent Oettel leitet das Fachgebiet Massivbau am Institut für Baustoffe, Massivbau und Brandschutz (iBMB). Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig
Herr Professor Oettel, Sie kennen Braunschweig gut, haben hier studiert, Ihre Dissertation vorgelegt und waren Oberingenieur am iBMB. Nach fast vier Jahren als Professor in Hannover kehren Sie nun als Leiter des Fachgebiets Massivbau ans Institut zurück. Worauf freuen Sie sich hier in Braunschweig?
Ein großer Punkt ist der Sonderforschungsbereich Transregio (TRR) 277 „Additive Manufacturing in Construction“ (AMC), an dessen Antragstellung ich bereits beteiligt war. Ich glaube, das ist ein Riesenthema: der 3D-Betondruck und auch das automatisierte Bauen. Außerdem ist die Ausstattung hier sehr gut, man kann hier sehr gut forschen und ich habe mich hier immer sehr wohl gefühlt. Mit der Ausstattung meine ich sowohl die großzügigen Versuchslabore des iBMB und die Prüfhallen der Materialprüfanstalt (MPA) als auch die Möglichkeiten, die der Sonderforschungsbereich TRR 277 bietet. Der TRR 277 gehört weltweit zu den Topteams auf dem Gebiet des 3D-Drucks im Bauwesen. Er hat bereits große Wellen geschlagen.
Wenn wir noch weiter zurückgehen, waren Sie anfangs für zwei Jahre Tischlergeselle. Wie kommt es, dass Sie jetzt Stahlbeton den Vorzug gegenüber Holz geben?
Ursprünglich war ich zunächst im Holzbau, dann im Stahlbau und bin dann erst zum Massivbau gewechselt. Ich fand es immer sehr interessant, den Baustoff da einzusetzen, wo er seinem Potenzial entsprechend am besten genutzt werden kann. Letztlich war es immer die Herausforderung, das Material noch weiter voranzutreiben.
Was hat Sie dazu bewogen, in diesem Bereich zu forschen?
Nicht nur meine Töchter fragen mich: Was leisten wir für die Zukunft, was für den Erhalt der Erde? Der Aspekt der Nachhaltigkeit ist mir ein Anliegen, ebenso die Bekämpfung der Wohnungsnot. Schnelles Bauen senkt die Kosten und kompensiert den Fachkräftemangel. Daher müssen wir irgendwann automatisieren und das vor allem nachhaltig.
Zudem finde ich es anregend, mich mit anderen Fachdisziplinen zu unterhalten, beispielsweise mit dem Maschinenbau. Das Fachvokabular muss man sich erst aneignen, aber dann wird es sehr spannend. Und ich glaube, dass man durch die Kombination von Maschinenbau und Bauingenieurwesen noch sehr viel erreichen kann.
Was sind die Hauptforschungsbereiche und -projekte, an denen Sie an der TU Braunschweig arbeiten werden?
Neben dem automatisierten Bauen untersuchen wir im Bereich des nachhaltigen Bauens zum Beispiel neue Möglichkeiten der Brückensanierung, die in unseren Nachbarländern bereits erprobt sind, aber in Deutschland noch nicht untersucht wurden. Wir haben viele marode Brücken, können sie aber aus Kosten- und Zeitgründen nicht alle neu bauen. Zudem stellt die Erhaltung von Bestandsbauwerken nahezu immer die nachhaltigste Lösung dar. Deshalb wollen wir den Asphalt abfräsen und einen Hochleistungsbeton aufbringen, der dieselbe Höhe hat wie der Asphalt zuvor. Ich bekomme also kein zusätzliches Eigengewicht, sondern der Hochleistungsbeton dient als Fahrbahnbelag und Querschnittsergänzung, der die Brücke verstärkt. Das lässt sich in sehr kurzer Bauzeit realisieren, was ökonomische und ökologische Vorteile bietet.
Im Betondruck ist es nicht immer möglich oder wirtschaftlich, die Maschinen zur Baustelle zu bringen. Sie sprechen beim modularen Bauen daher von „Lego-Brücken“: Was dürfen wir uns darunter vorstellen? Ist da auch ein spielerisches Element enthalten?
Wir produzieren Module, „Lego-Bausteine“, wenn man so will, in einem Werk und liefern sie zur Baustelle. Durch die Werksfertigung können wir die Module automatisiert, witterungsgeschützt und mit einer sehr hohen Ausführungsqualität herstellen. Bei einer Baustellenfertigung benötigen wir aufgrund der höheren Ungenauigkeiten viele zusätzliche Sicherheiten und damit mehr Material, die wir bei der Werksfertigung nicht benötigen.
Auf der Baustelle können wir die Module dann wie Lego-Steine zusammenstecken oder wie bei einer Perlenkette auf Spannglieder auffädeln und verspannen und auf diese Weise sehr schnell einen Aufzugsschacht, einen Windenergieanlagenturm oder einen Brückenträger errichten. So können wir zum Beispiel eine marode Brücke, die wir nicht mehr verstärken können, abreißen und sehr schnell ersetzen. Damit verkürzen wir Verkehrsumleitungen und Stauzeiten und sparen enorme Mengen an CO₂-Emissionen ein. Die Schwierigkeit besteht darin, diese Teile kraftschlüssig zu verbinden und die Fügestellen entsprechend auszubilden. Hier beschäftigen wir uns vor allem mit dem automatisierten Fräsen von profilierten Fugen und verschiedenen Fügetechniken von Trockenfugen. Trockenfugen haben gegenüber verklebten oder vermörtelten Fugen den Vorteil, dass defekte Module ausgetauscht werden können bzw. ein Rückbau wesentlich einfacher möglich ist.

TU-Präsidentin Angela Ittel und Professor Vincent Oettel. Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig
Was kann der Bereich Massivbau zur Bauwende hin zu einer klimaneutralen Bauwirtschaft beitragen? Wo sind die Grenzen Ihres Fachs?
Wenn wir etwas herstellen, verbrauchen wir Ressourcen und stoßen Emissionen aus. Es gibt also Grenzen, aber wir müssen diese immer weiter verschieben, um so nachhaltig wie möglich zu sein. Und dafür passen wir das Material, die Konstruktion und die Bauweise an.
So entwickeln wir ressourcenoptimierte Tragwerke, zum Beispiel dünnwandige Betonstrukturen mit Rippen, die eher an den Stahlbau erinnern. Durch gezielte Topologieoptimierung sparen wir möglichst viel Material ein. Als Alternativen zur Stahlbewehrung versuchen wir, Bambusstäbe in Beton einzubauen. Das würde auch in Schwellenländern helfen, wo Stahl meist nicht selbst hergestellt wird, sondern auf dem Weltmarkt eingekauft werden muss. Bambus ist ein Gewächs, das in vielen Teilen der Welt und je nach Sorte durchschnittlich 20 bis 30 Zentimeter pro Tag wächst. Wir müssen noch Probleme lösen, wie zum Beispiel das Aufquellen des getrockneten Materials, wenn es in den Beton eingebettet wird.
Was dürfen unsere Studierenden in der Lehre erwarten? Wie gestalten Sie Ihre Lehre im Spannungsfeld zwischen klassischen Fragen des Massivbaus und den zukunftsorientierten Themen des digitalen, robotischen Bauens?
Also erstmal klassisch: Unsere Studierenden sollen die Grundlagen verstehen. Wie funktioniert Stahlbeton, wie geht eine Bemessung, wie muss ich das konstruktiv ausbilden, das sind erstmal die Basics. Im Master gehen wir dann schon in die EDV-basierte Bemessung, zum Beispiel, im Brückenbau. Dort gibt es klassische Vorlesungen, aber auch Übungen, in denen die Studierenden eine Brücke mittels Software modellieren und bemessen. In der anschließenden Übung prüfen wir anhand Plausibilitätskontrolle und Überschlag, ob die EDV-Ergebnisse korrekt sind. Unsere Studierenden sollen sich nicht zu sehr auf die Software verlassen. Ein Ergebnis gibt es immer, aber das hängt sehr stark von der Modellierung ab und muss nicht mit der Realität übereinstimmen, und da müssen wir sie sensibilisieren und auch fit machen.
Wir bringen den Studierenden innovative Baustoffe wie Hochleistungsbeton und nichtmetallische Bewehrung näher und vermitteln auch die Herstellung bis hin zur Bemessung und Konstruktion. Wie kann ich material- und ressourcenoptimiert bauen, was hat das alles für Konsequenzen? Wie geht eigentlich so eine Ökobilanzierung und wie bekommen wir so etwas ökologisch vertretbar? Unsere Studierenden sind später die Personen, die die Innovationen in die Büros und in die Unternehmen tragen. Denn: Wir können nicht mehr so weitermachen wie bisher.
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag in drei Schlagworten aus?
Interessant. Herausfordernd. Vielseitig.