1. Oktober 2020 | Magazin:

Mit Architektur Krankheiten vermeiden Dr. Wolfgang Sunder über die Forschung des Instituts für Konstruktives Entwerfen, Industrie- und Gesundheitsbau

Corona-Virus, Ebola, multiresistente Erreger – Infektionskrankheiten beschäftigen nicht nur Expertinnen und Experten aus der Medizin und Biologie, sondern auch aus der Architektur. Das Institut für Konstruktives Entwerfen, Industrie- und Gesundheitsbau (IKE) der Technischen Universität Braunschweig unter der Leitung von Professor Carsten Roth bearbeitet vielfältige Themen des zukunftsfähigen Krankenhausbaus. Wir haben mit Dr. Wolfgang Sunder über die Forschungsthemen des Instituts und das Patientenzimmer von morgen gesprochen.

Herr Dr. Sunder, das Institut hat sich in den vergangenen zehn Jahren als zentraler Lehr- und Forschungsbereich für den Gesundheitsbau in Deutschland entwickelt. Welche Themen stehen dabei im Fokus?

Dr. Wolfgang Sunder. Bildnachweis: Stefan Großjohann

Das IKE untersucht in verschiedenen Forschungsprojekten, wie Planungsprozesse optimiert, neue Gebäudestrukturen effizient und Krankenhäuser infektionsrobuster gestaltet werden können. Das heißt konkret: Wir analysieren, wie Infrastruktur verbessert werden kann und muss, um Patientinnen und Patienten bestmöglich zu versorgen und Arbeitsabläufe des Personals zu optimieren.

Dabei haben wir uns auf die bauliche Infektionsprävention spezialisiert. Das IKE untersucht sowohl bautechnische und konstruktive Entscheidungen, wie z. B. die Materialwahl als auch Lösungen bei der Bauteilfügung, also wie beispielsweise die Übergänge von Wand und Boden gestaltet sind.

Im IKE arbeitet ein interdisziplinäres Forschungsteam. Aus welchen Bereichen kommen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler?

Unser Forschungsteam setzt sich zusammen aus Expertinnen und Experten der Bereiche Architektur, Design, Prozess und Informatik. Dies ist sehr sinnvoll und wichtig, da die Projekte, an denen wir arbeiten, immer interdisziplinär ausgerichtet sind. So arbeiten wir zum Beispiel in den Projekten KARMIN, InnoBRI oder SAVE intensiv mit Fachleuten aus Medizin, Hygiene, Haustechnik oder Materialwissenschaft.

KARMIN: Ansicht auf den Bettenbereich und die Besucherbank. Bildnachweis: Tom Bauer/IKE

Im Projekt KARMIN entwickelte das IKE gemeinsam mit Hygienikern der  Charité Berlin einen Prototypen für ein infektionspräventives Patientenzimmer. Wie sieht das zukunftsfähige Patientenzimmer aus baulicher Sicht aus?

Das Patientenzimmer ist die kleinste Zelle des Organismus Krankenhaus. Sein Aufbau bestimmt die Struktur der Pflegestation und ist somit ein maßgeblicher Faktor für das gesamte Gebäude. Hier sind viele Anforderungen zu erfüllen. Das Wohlbefinden der Patientinnen und Patienten lässt sich durch die Gestaltung positiv beeinflussen: Wohnliche Materialien, der Blick nach draußen und eine gewisse Privatsphäre sind hier zentrale Aspekte. Ebenso wichtig sind die Arbeitsbedingungen für das Personal, insbesondere kurze Wege und effiziente Pflegehandgriffe. Und dann, hier setzen wir an, kann das Infektionsrisiko durch eine intelligente Grundrissanordnung gesenkt werden:

Wo sollten die Nasszellen liegen, wo die Fensterflächen, an welcher Stelle ist ein Zugang zum Patientenzimmer sinnvoll? Und nicht zuletzt: Wo sollten die Desinfektionsspender angebracht werden? In unserem Patientenzimmer haben wir vier Spender untergebracht, unter anderem jeweils direkt am Bettende.

Die Wegeführung muss hier den Pflegeablauf unterstützen. Im Projekt KARMIN haben wir deshalb in Workshops mit Pflegepersonal und Reinigungskräften und Hospitationen im Krankenhaus analysiert, wo es bislang Defizite gibt und wie die der optimale Arbeitsplatz aussehen müsste.

Wo müssen sich die Nasszellen im Patientenzimmer befinden?

In unserem KARMIN-Prototypen sind zwei Nasszellen im Zwei-Bett-Zimmer vorgesehen. Denn: Einer der Hauptübertragungsfaktoren von multiresistenten Erregern ist das Bad. Deshalb haben wir im infektionspräventiven Patientenzimmer jedem Patientenbett eine Nasszelle zugeordnet. Die Betten sind nicht wie in einem konventionellen Zweibettzimmer hintereinander angeordnet, sondern gegenüber liegend. Durch ein spezielles Lichtsystem führen wir die Patientinnen und Patienten auch in der Nacht sicher zu ihrer Nasszelle.

Ansicht des KARMIN Demonstrators. Bildnachweis: Tom Bauer/IIKE

Die Ausbreitung des Corona-Virus hat deutlich gemacht, dass zahlreiche Gebäude in Deutschland nicht auf Pandemien bzw. die Eindämmung von Infektionsrisiken vorbereitet sind. Wo fehlen entsprechende Schutzmaßnahmen und wie können diese aussehen?

Tatsächlich hat die Pandemie das Thema der Infektionsprävention in Gebäuden ins Bewusstsein vieler Menschen gebracht. Im Verlauf der aktuellen Ausbreitung des Corona-Virus hat sich gezeigt, dass zu wichtigen Fragen der Infrastruktur und des Gebäudes ein hoher Handlungsbedarf besteht, insbesondere bei der Entwicklung einheitlicher Empfehlungen, da es bislang eine unübersichtliche, länderspezifische Vorschriftenlage gibt. Zu den folgenden wichtigen Fragestellungen gibt es zur Zeit nur unzureichende Antworten: Durch welche baulichen Maßnahmen kann die Kontaktübertragung des Virus effektiv kontrolliert bzw. vermieden werden? Welche Infrastrukturen sind besonders relevant? Welche Materialien und Oberflächen eignen sich für eine effektive Reinigung und Desinfizierung bzw. Dekontamination? Wo entstehen die meisten Hygienefehler? Wie können Haustechnikkomponenten einen sinnvollen Beitrag zur Infektionsprävention leisten?  Im aktuell laufenden Forschungsprojekt SAVE, gefördert vom  Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) möchten wir konkrete Handlungsempfehlungen erarbeiten, um Infektionsausbreitungswege zu unterbrechen.

Im IKE unterstützt künftig das sogenannte „InnoLab“ in Forschung und Lehre. Was kann man sich darunter vorstellen und wo wird es eingesetzt?

Das InnoLAB Infra ist das „Innovationslabor zur virtuellen Planung baulicher Maßnahmen“, das wir mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) finanzieren und  entwickeln konnten. In diesem Labor stellen wir die erarbeiteten Musterraumlösungen aus Forschung und Lehre virtuell dar und machen sie für unterschiedlichste Nutzergruppen erfahr- und begreifbar. Planerinnen und Planer können gemeinsam mit unterschiedlichen Nutzerinnen und Nutzern in diesen Räumen interagieren und frühzeitig auf mögliche Fehlplanungen hinweisen. Das Labor ist im Haus der Wissenschaft eingerichtet worden, und wir freuen uns auf die Inbetriebnahme bis Ende des Jahres.