Messkampagne auf Eis TU Braunschweig und TU Wien testen geophysikalische Messmethoden in den österreichischen Alpen
Sie trotzen Wind und Wetter: Vier Mitarbeiter*innen des Instituts für Geophysik und Extraterrestrische Physik (IGEP) der TU Braunschweig arbeiteten eine Woche lang auf einem Gletscher in den österreichischen Alpen. Dort untersuchten sie dessen internen Aufbau und die Beschaffenheit des Gesteins unter dem Eis. In Zusammenarbeit mit der TU Wien haben sie verschiedene Messmethoden angewandt, um diese in der eisigen Umgebung miteinander zu vergleichen.
Gletscher sind uralte Eisriesen, die sich heute in Mitteleuropa auf die höchsten Alpengipfel zurückgezogen haben. Um mehr über ihre Jahrtausende lange Entstehungsgeschichte und ihre Beschaffenheit zu erfahren, nutzen Wissenschaftler*innen unterschiedliche Methoden, von denen jede ganz eigene Charakteristika besitzt und andere Einblicke liefert. Unter ihnen befinden sich das Bodenradar, die transiente Elektromagnetik und die hochfrequente spektrale induzierte Polarisation. Um diese Methoden miteinander zu vergleichen, haben sich Johannes Hoppenbrock, Madhuri Sugand, Matthias Bücker und Robin Zywczok vom IGEP auf den 3.106 Meter hohen Gipfel des Hohen Sonnblick im Salzburger Land, Österreich, begeben.
Große Boxen, kleine Seilbahn
Dort erwartete sie und ihr sperriges Equipment, unwegsames Gelände, steile Abhänge und der Gletscher kurz unterhalb des Gipfels. Keine einfache Kombination: „Die Logistik während der Kampagne war eine ziemliche Herausforderung“, berichtet Matthias Bücker. „Für die Beförderung der Ausrüstung vom Tal auf den Gipfel steht zwar eine Seilbahn zur Verfügung, aber den täglichen Transport der schweren Geräte zwischen dem Observatorium auf dem Gipfel und dem Messgebiet auf dem tiefer gelegenen Goldbergkees-Gletscher mussten wir allein mit Muskelkraft bewältigen.“
Zwar störten auf dem abgelegenen Gletscher weder Skifahrer noch Skilifte die Messungen, dafür allerdings die Witterungsbedingungen. „Zu Beginn der Kampagne haben wir nicht immer daran geglaubt, alle Messungen rechtzeitig abzuschließen. Das Wetter hat verrückt gespielt! Von Sturmböen und Gewitter über Hagel und Schnee bis hin zu starkem Nebel mit Sichtweiten unter 20 Metern; alles war dabei“, erinnert sich Madhuri Sugand. Nach den ersten zwei, drei Tagen habe sich das Wetter glücklicherweise ein wenig beruhigt.
Messmethoden im Vergleich
Jeden Tag nahm sich das Team eine andere Messmethode vor. Den Anfang machte das Bodenradar, das hochfrequente, elektromagnetische Wellen nutzt, die an Materialgrenzen im Untergrund reflektiert werden. Vor allem die Dicke von Eisschichten lässt sich damit gut bestimmen, aber auch Rückschlüsse auf die Beschaffenheit des Eises sind möglich. „Die Arbeit mit dem Bodenradar ging glücklicherweise recht einfach und schnell. Und auch die Aufarbeitung der Daten ging so zügig voran, dass wir aufbauend auf diesen ersten Ergebnissen geeignete Bereiche für die nächste Methode, die hochfrequente induzierte Polarisation, auswählen konnten“, erklärt Bücker.
Die hochfrequente induzierte Polarisation ist eine neue Methode, die in der Arbeitsgruppe von Professor Andreas Hördt, ebenfalls vom IGEP, entwickelt wird. Entlang von Messlinien drücken die Forscher*innen Stahlspieße in den Schnee, der den Gletscher bedeckt, um einen Kontakt zum Untergrund herzustellen. An diese Spieße werden anschließend die Kabel des Messgeräts angeschlossen. Zwischen jeweils zwei Spießen wird Strom in den Untergrund eingespeist und weitere zwei weitere Spieße werden benutzt, um eine Spannung zu messen. Auf diese Weise wird die elektrische Leitfähigkeit des Untergrundes bestimmt, die wiederum Aussagen über die Beschaffenheit des Untergrundes enthält, wie zum Beispiel den Eisgehalt.
Lukas Aigner, ein Kollege von der TU Wien, griff auf eine dritte Messmethode zurück, die transiente Elektromagnetik. Mittels großer Spulen werden hierbei Magnetfelder auf- und abgebaut, die dadurch ebenfalls Ströme in den Untergrund übertragen. Matthias Bücker erläutert: „Dieses Verfahren wurde bisher nur selten auf Gletschern angewandt, weshalb es zunächst die grundlegenden Beschränkungen und Möglichkeiten herauszufinden galt.“
Nach der Messkampagne ist vor der Messkampagne
„Als erstes müssen wir nun die Daten auswerten. Das wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen, aber unsere ersten Eindrücke sind vielversprechend“, so Bücker. „Im Oktober möchten wir dann auf den Sonnblick zurückkehren. Diese Kampagne war Teil des durch die EU geförderten Programms INTERACT, das vor allem den Zugang zu Observatorien in der Arktis aber auch im europäischen Hochgebirge ermöglicht. Im Oktober, wenn die Schneedecke auf dem Sonnblick weiter abgetaut ist, möchten wir eine zweite Kampagne durchführen, in der wir uns stärker auf den Permafrost im Festgestein konzentrieren, den es rund um den Gipfel ebenfalls gibt“, so Bücker.
„Im Rahmen meiner Promotion werde ich die Methode hochfrequenten induzierten Polarisation auch noch in anderen Umgebungen anwenden“, erzählt Sugand. „Die nächste Kampagne startet schon Mitte August in den italienischen Alpen. Mein persönliches Ziel ist es, einerseits herauszufinden, welche Informationen wir aus dieser Technik ableiten können. Andererseits möchte ich auch verstehen, wie sich der Permafrost mit der Zeit verändert und wie diese Veränderung den Wasserhaushalt kalter Regionen beeinflusst.“ Eigentlich stand für Sugand, Doktorandin des Graduiertenkollegs TransTiP, in diesem Sommer sogar eine Feldkampagne in Tibet auf dem Programm, die aufgrund der aktuell weiter angespannten Pandemielage aber abgesagt werden musste.
Die Messungen auf dem Hohen Sonnblick dienen der Weiterentwicklung von Mess- und Auswertemethoden, wie sie auch in einer umfassenden Erforschung von Klimaveränderungen und deren Folgen – vor allen in Bezug auf die kalten Erdregionen – zum Einsatz kommen könnten. Dazu müssen sich die Methoden bzw. ihr Zusammenspiel allerdings erst beweisen. Dafür lohnten sich auch die logistischen Herausforderungen und die anspruchsvollen Wetterverhältnisse, darüber sind sich die Forschenden einig.