24. Januar 2023 | Magazin:

Meeresbedingungen in Braunschweig Leichtweiß-Institut für Wasserbau erhält Salzwasser-Wellen-Strömungskanal

Ein riesiges Loch klafft momentan in der Versuchshalle des Leichtweiß-Instituts für Wasserbau (LWI). Dort, wo bis vor kurzem ein Modell des Wendebachstausees mit Wehranlage stand, entsteht jetzt eine salzwassertaugliche Großforschungsanlage, die in dieser Art einzigartig in Europa ist. Kombiniert werden in dem neuen Kanal Salzwasser, Wellen und Strömung. Hier können die Wissenschaftler*innen demnächst erstmals im LWI lebenden marinen Bewuchs untersuchen.

Anfang des Jahres wurde die Betonsohle gegossen. Bildnachweis: David Schürenkamp/TU Braunschweig

Die Anlage ist Teil des vom Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) geförderten Projekts „EnviSim4Mare“, das erforscht, wie der Bewuchs aus Muscheln, Algen und weiteren Meeresbewohnern die Tragfähigkeit von Offshore-Windenergieanlagen und anderen maritimen Bauwerken beeinflusst. Mit dem neuen Kanal kann das Projekt-Team Einblicke in die Prozesse erhalten, die sich rund um den marinen Bewuchs abspielen. Ziel ist es, den hohen Unterhaltungsaufwand zu reduzieren und die Laufzeit maritimer Anlagen zu verlängern.

Experimente trotz Baustelle

Noch ist vom Kanal selbst wenig zu sehen. Nachdem der Untergrund vorbereitet wurde, konnte Anfang des Jahres die Betonsohle gegossen werden. Die Forschung in der Versuchshalle soll trotz der Bauarbeiten möglichst ungehindert weiterlaufen: Das Digital Building Fabrication Laboratory ist in Betrieb und auch die Experimente in den Versuchsrinnen finden weiterhin statt. Zudem erhält der 90 Meter lange Wellenkanal neben dem Baustellenloch gerade zwei neue Wellenmaschinen.

30 Meter lang, drei Meter breit und 2,50 Meter tief wird der salzwassertaugliche Wellen- und Strömungskanal. Bildnachweis: LWI/TU Braunschweig

Rund ein Viertel der Halle nimmt das neue Bauwerk ein: 30 Meter lang, drei Meter breit und 2,50 Meter tief wird der salzwassertaugliche Wellen- und Strömungskanal. Das Blatt der Wellenmaschine ist 2,50 mal drei Meter groß. Wellenhöhen bis zu 80 Zentimetern können die Forschenden damit generieren. Der Strömungserzeugung dienen vier Pumpen mit einem maximalen Volumenstrom von rund 12.000 m³/h. Neben zwei Wellenmaschinen und einer Strömungserzeugung ist die Anlage auch mit einer Wasseraufbereitung ausgestattet. Um den Frischwasserverbrauch zu reduzieren und die erforderlichen aquatischen Bedingungen zu regeln, wird das Wasser aufbereitet und im geschlossenen Kreislauf weiterverwendet.

Aus Frischwasser wird Meerwasser

Für die Nutzung des Kanals mit Salzwasser kommt wasserundurchlässiger Stahlbeton zum Einsatz. „Damit die Bewehrung darunter nicht korrodiert und kein Salzwasser ins Grundwasser gelangt“, so Dr.-Ing. David Schürenkamp, Oberingenieur der Abteilung Hydromechanik, Küsteningenieurwesen und Seebau im LWI.

Da die Versuchshalle im Wasserschutzgebiet liegt, muss der Salzgehalt im Kanal unter drei Prozent liegen. Dafür leitet das LWI-Team hochkonzentrierte Sole in die Wasseraufbereitungsanlage ein, die aus dem normalen Frischwasser Meerwasser erzeugt. „So können wir beste Meeresbedingungen für marine Organismen schaffen“, erklärt David Schürenkamp.

Zunächst musste in der Versuchshalle des LWI für den neuen Kanal ein riesiges Loch gegraben werden. Bildnachweis: David Schürenkamp/TU Braunschweig

Um Salzwasser im Kanal fließen lassen zu können, kommt wasserundurchlässiger Stahlbeton zum Einsatz. Bildnachweis: Max Fuhrmann/TU Braunschweig

Die anderen Versuchseinrichtungen müssen beim Bau des Kanals gut geschützt werden. Bildnachweis: Max Fuhrmann/TU Braunschweig

Von der Nordsee nach Braunschweig

Miesmuscheln, Seepocken und Algen, die zuvor Versuchskörper in der Nordsee bewachsen haben, sollen sich demnächst im Kanal wohl fühlen. Dafür werden kontinuierlich pH-Wert, Salzgehalt, Temperatur sowie Sauerstoff gemessen und geregelt.

An geeigneten Offshore-Standorten um Helgoland und Nordergründe hatten Wissenschaftler*innen des Projektpartners Alfred-Wegener-lnstitut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) Testkörper ausgebracht und beobachtet, wie Muscheln dort andockten. Dabei handelt es sich um größere Edelstahlrohre und -platten, die die Oberflächen von Windparkelementen widerspiegeln. „Man sieht, wie die Pfähle korrodieren und der Edelstahl förmlich aufgefressen wird“, berichtet David Schürenkamp. Nach ausreichender Ansiedlung von marinem Bewuchs werden die Versuchskörper ins Braunschweiger Testbett gesetzt und im Salzwasser-Wellen-Strömungskanal weiter untersucht.

Das sogenannte Shake-The-Box 4D-PTV System wurde auf einem Wellenkanal in der Versuchshalle des LWI aufgebaut. Bildnachweis: Max Fuhrmann/TU Braunschweig

Bis zum Herbst soll das Bauwerk inklusive technischer Ausrüstung (Mess- und Regeltechnik, Wärme- und Lüftungstechnik, Wasseraufbereitung) stehen. Dann werden Pumpen und Wellenmaschinen geprüft, der Kanal nur mit Strömung und nur mit Wellen getestet sowie der Salzgehalt richtig eingestellt. Anschließend werden die ersten Versuche durchgeführt. In dem Zuge setzen die Wissenschaftler*innen mit einem Kran auch das Shake-The-Box 4D-PTV System auf den Kanal, mit dem sie die Umströmung von Strukturen messen können.