Luftfahrt aus einer anderen Perspektive Nachhaltig Fliegen: Was sich Reisende, Umweltschützende und Anwohnende wünschen
Was bedeutet nachhaltige Luftfahrt für Reisende, Anwohnende von Flughäfen und Umweltschützende, für Luftfahrtbegeisterte und Forschende? Das wollten die feministischen Wissenschafts- und Technikforscherinnen Dr. Sandra Buchmüller und Julia Stilke in digitalen Workshops mit Bürgerinnen und Bürgern zum Thema „Mobilität der Zukunft mitgestalten“ in Erfahrung bringen. Die beiden Expertinnen forschen im Projekt „Human Demands of Sustainable Aviation“ im Arbeitsbereich „Gender, Technik und Mobilität” am Institut für Flugführung (IFF) der TU Braunschweig. Die Ergebnisse ihrer Forschung fließen in die des SE2A-Exzellenzclusters ein.
„Unser Anliegen ist nicht, Technik in das Zentrum von Forschung und Entwicklung zu stellen, sondern unterschiedliche menschliche Wünsche und Bedürfnisse. Diese machen wir zum Ausgangspunkt von Technologieentwicklung“, sagt Dr. Sandra Buchmüller. Die Luftfahrtforschung, die überwiegend technisch und ökonomisch ausgerichtet sei, werde so um eine weitere wichtige Perspektive ergänzt – mit dem Ziel einer demokratischen und sozial gerechten Technikgestaltung.
„Wir lassen mit unserer Forschung die Anliegen von sozialen Gruppen einfließen, die in Wissenschaft und Technikgestaltung häufig unberücksichtigt bleiben, und rücken die soziale Nachhaltigkeit in den Fokus“, sagt Julia Stilke.
Ein erstes Ergebnis der Workshops: „Bei vielen Teilnehmenden war ein innerer Widerspruch spürbar“, sagt Dr. Buchmüller. Da ist zum Beispiel der Geschäftsreisende und Vielflieger, der sich für die Zukunft seiner Kinder und die nächsten Generationen eine saubere Umwelt wünscht. Oder der flugbegeisterte Ingenieur, der seinen ökologischen Fußabdruck klein halten möchte. Oder die Anwohnerin eines Flughafens, die unter Fluglärm leidet, aber Verständnis dafür hat, dass Menschen ihre Verwandten in Übersee besuchen möchten.
„Wegen der Corona-Krise mussten wir die Teilnehmenden erst gar nicht dazu anregen, über Mobilität nachzudenken. Das passiert gerade in ihrem Alltag. So mussten sie nicht mobil sein, um an dem Workshop teilzunehmen, denn der fand wegen Corona digital statt“, sagt Julia Stilke. Diskutiert wurden die unterschiedlichen Reise- und Mobilitätsgewohnheiten sowie die individuellen Vorstellungen von Nachhaltigkeit. Dazu gehörten Fragen wie: Sind Sie viel unterwegs? Fliegen Sie häufig und gerne oder versuchen Sie, das Fliegen zu vermeiden? Wie bewegen Sie sich im Alltag – zu Fuß, mit Rad, Auto oder öffentlichem Nahverkehr? Wohnen Sie in der Nähe eines Flughafens und sind Fluglärm ausgesetzt?
Auf dieser Grundlage entwickelten die Teilnehmenden Szenarien für die Mobilität der Zukunft. Welche Maßnahmen sind zu ergreifen, welche Rolle spielen dabei Ingenieurinnen und Ingenieure und wie sieht das Vertrauen in technische Lösungen aus? „Auch die soziale Nachhaltigkeit wurde diskutiert: Wenn ich billig fliege, wie werden dann die Menschen bezahlt, die mit dieser Dienstleistung ihren Lebensunterhalt verdienen?“, so Dr. Buchmüller.
Die beiden Wissenschaftlerinnen werten jetzt die qualitativen Daten aus den Workshops aus und erweitern damit die Wissensgrundlage, auf der technische und logistische Lösungen für eine nachhaltige Luftfahrt bewertet werden. „Dass wir als geistes- und sozialwissenschaftliche Arbeitsgruppe Teil eines Ingenieursinstituts sind, ist eine Besonderheit und für unsere Forschung unsagbar wertvoll“, sagt Julia Stilke. „Unser Arbeitsalltag ist gelebte Interdisziplinarität.“
Über das Projekt
Das Junior Research-Projekt „Human Demands of Sustainable Aviation“ im Exzellenzcluster SE²A ist am Institut für Flugführung der TU Braunschweig im Arbeitsbereich „Gender, Technik und Mobilität” unter der Leitung von Professorin Corinna Bath angesiedelt. Ziel des Projekts ist es, die Wünsche und Bedürfnisse unterschiedlicher Interessengruppen in Bezug auf die zukünftige Luftfahrt zu erforschen und in Technikentwicklungsprozesse einzubringen. Hierzu werden Flugreisende sowie Anwohnende von Flughäfen in ihren unterschiedlichen alltäglichen Lebenswelten befragt. Das Projekt hat eine Laufzeit von Oktober 2019 bis März 2021 und wird gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen des Exzellenzclusters SE²A.