Lernerfolg nicht beeinträchtigt, aber größerer Arbeitsaufwand Wie haben Studierende das erste Online-Semester erlebt
Am Ende des Sommersemesters wurden die Studierenden der TU Braunschweig gefragt, wie sie das digitale Semester erlebt haben, wie gut die Umstellung auf Online-Lehrformate geglückt ist und wie sie persönlich diese neue Situation gestaltet und mit welchen Schwierigkeiten sie zu kämpfen hatten. Über 2.400 Studierende haben Antworten zur Studienorganisation, zur Zufriedenheit mit der digitalen Lehre und der Gestaltung der Lehrformate und zu ihrer Lebenssituation gegeben. Besonders positiv ist das Ergebnis, dass fast 70 % der Studierenden den Lernerfolg gleich oder gar höher einschätzen als im letzten Präsenzsemester. Motivation und Spaß waren dagegen erheblich geringer. Auch der Kontakt zu den Kommilitoninnen und Kommilitonen und den Lehrenden wird vermisst. Wir haben mit Ken Weigel gesprochen, der die valide wissenschaftliche Untersuchung, die von der geschäftsführenden Präsidentin Professorin Katja Koch initiiert wurde, ausgewertet hat.
Wie gut kamen in der Gesamtbewertung die Studierenden mit dem digitalen Sommersemester zurecht und wie konnten sie sich auf die veränderten Bedingungen des Studiums einstellen?
Die Frage hat multiple Facetten und lässt sich nicht so leicht beantworten. Positiv festhalten lässt sich, dass über 50 % der befragten Studierenden keine Einschränkungen beim Besuch ihrer geplanten Lehrveranstaltungen erfahren haben. Im Mittel konnte nur eine geplante Lehrveranstaltung nicht besucht werden.
Sehr zufrieden* waren die Studierenden auch mit der digitalen Lehre. Ein sehr positives Ergebnis, wenn man bedenkt, dass die TU Braunschweig innerhalb von drei Wochen auf ein digitales Semester umgestellt hat. Diese Zeit wurde gut genutzt. Die Lehre und Medienbildung im Projekthaus hat in dieser Zeit die Lehrenden geschult und ein umfangreiches Angebot zur Verfügung gestellt.
Werfen wir einen Blick auf die Detailauswertung: Welche Aspekte des digitalen Sommersemesters wurden von den Studierenden positiv bewertet?
Besonders positiv fällt auf, dass die Studierenden im Mittel von keinem Unterschied im Lernerfolg im Vergleich zum Präsenzsemester berichten. Lediglich ca. 30 % der Studierenden berichten von einem geringeren Lernerfolg. Allerdings gehen zwei Fünftel (43,3 %) der Befragten davon aus, dass sich ihr Studienabschluss verzögern könnte. Dies liegt unter anderem an den Pflichtpraktika, die nicht alle wie geplant im Sommersemester absolviert werden konnten. 28,6 % der befragten Studierenden gaben an, dass sie Pflichtpraktika nicht besuchen konnten.**
Positiv ist auch, dass nur wenige Studierenden technische Probleme hatten. Fast 80 % der befragten Studierenden berichten von keinen oder sehr wenigen technischen Problemen während der Nutzung des digitalen Lehrangebots. Über 84 % der Befragten empfanden die gewählten digitalen Formate passend für die Inhalte der Lehrveranstaltung. In Anbetracht der kurzen Umstellungsphase auf digitale Lehrveranstaltungen auch hier ein sehr gutes Ergebnis.
Wie wurden die Kommunikation und die Zufriedenheit mit den Lehrenden zur Bewältigung der Herausforderungen von den Studierenden eingeschätzt?
Insbesondere mit der Kommunikation über E-Mail oder in synchronen Online-Veranstaltungen, in denen Rückfragen gestellt werden konnten, waren 80 % der Studierenden sehr zufrieden. In Bezug auf die Lehrenden zeigt sich eine hohe Zufriedenheit. Über 90 % der Studierenden gaben an damit zufrieden oder sehr zufrieden zu sein, die Erreichbarkeit bewerten 80 % mit dem Ergebnis. Etwas weniger gute Bewertungen erhielten die Lehrkräfte jedoch bei der mediendidaktischen und der digitalen Kompetenz und dem Zeitmanagement. Hier ist noch etwas Luft nach oben, auch wenn die Studierenden in diesen Bereichen dennoch grundlegend zufrieden sind.
Wie wurden die eingesetzten Tools für die digitale Lehre von den Studierenden bewertet?
Bei den Tools zeigen sich kleine Differenzen. So sind die Befragten mit den im StudIP eingesetzten Tools Meetings/BigBlueButton und den Vorlesungsaufzeichnungen sehr zufrieden. Es zeigte sich, dass die Zufriedenheit der Studierenden mit BigBlueButton höher war als mit Cisco Webex. Über die Gründe kann ich nur spekulieren. Allerdings wurde Webex auch nur von halb so vielen Studierenden genutzt bzw. bewertet. Die Studiengruppen in Stud.IP schnitten in der Bewertung am schlechtesten ab, wurden aber auch von weniger Studierenden bewertet.
Welche besonderen Herausforderungen und Schwierigkeiten haben die Studierenden genannt?
Die befragten Studierenden vermissen ganz klar das Präsenzstudium. Über 60 % sahen in der digitalen Lehre kein gleichwertiges Lehrangebot zur Präsenzlehre. Deutlich wird dies auch in der Aussage, dass fast die Hälfte (48 %) der Studierenden vom digitalen Semester gefrustet waren. Dies unterstreichen auch die angegebene geringere Motivation, der geringere Spaß und eine geringere Interaktion mit den Lehrenden sowie mit anderen Studierenden. Auch der Arbeitsaufwand wurde durch das digitale Semester größer als im vorherigem Präsenzsemester eingestuft. Über 60 % der Befragten gaben dies an. Begründet ist dies durch einen höheren Anteil des Selbststudiums.
Besonders hoch ist die Belastung bei den Befragten mit Kindern für die sie sorgeberechtigt sind. 70 % (entspricht ca. 1,96% aller Befragten) berichten von einer nachteiligen Betreuungssituation und sich daraus ergebenden oder erwarteten Verzögerungen ihres Studiums.
* Die Skala der Bewertungen reichte von 1 „überhaupt nicht zufrieden“ bis 5 „voll und ganz zufrieden“.
** In diesem Wintersemester 2020/21 fanden von den planmäßigen 2.600 Lehrveranstaltungen nur 26 (1 %) nicht oder nur verspätet statt.