Kein Stress für Miesmuscheln und Seepocken Wir besuchen die Baustelle des Salzwasser-Wellen-Strömungskanals
Das riesige Loch in der Versuchshalle des Leichtweiß-Instituts für Wasserbau (LWI) ist verschwunden. Seit unserem letzten Besuch auf der Baustelle der salzwassertauglichen Großforschungsanlage hat sich einiges getan. Unter anderem wurden kürzlich die Unterwasserfenster eingebaut. Ein Blick auf die Baustelle.
Noch sind die Fenster mit Schutzfolie verklebt. Künftig werden die Wissenschaftler*innen hier seitlich wie in ein Aquarium in den Kanal hineinschauen können, ihre Versuche beobachten und dokumentieren. Die rund 6,40 Meter mal 2,50 Meter große Fläche ist in vier Fenster aus einhundert Millimeter starkem Acrylglas unterteilt.
Langsam werden die Dimensionen des Wellen- und Strömungskanals erkennbar: 30 Meter lang, drei Meter breit und 2,50 Meter tief ist das Bauwerk. Gemeinsam mit der Wasseraufbereitung nimmt die Anlage rund ein Viertel der 5.600 Quadratmeter großen Versuchshalle ein. Hier wollen die Forschenden im vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Projekt „EnviSim4Mare“ untersuchen, wie der Bewuchs aus Muscheln, Algen und weiteren Meeresbewohnern die Tragfähigkeit von Offshore-Windenergieanlagen und anderen maritimen Bauwerken beeinflusst.
546 Meter Wasserleitungen
Für den Betrieb des Kanals ist ein ausgeklügeltes Rohrsystem mit verschiedenen Kreisläufen notwendig. Insgesamt werden rund 546 Meter Wasserleitungen verlegt. Dazu kommen weitere Rohrleitungen für die Wärme- und Kälteverteilung. Denn natürlich ist Wasser in dem Kanal das Hauptelement – und das nicht zu knapp: Das Gesamtvolumen entspricht etwa 1.000 handelsüblicher Meeresaquarien à 350 Liter. 350 Kubikmeter Meerwasser werden durch Mischung einer hochkonzentrierten Sole mit Frischwasser in der Wasseraufbereitungsanlage erzeugt. Das Meerwasser bietet dann ähnliche Bedingungen, wie das Salzwasser in der Nord- und Ostsee.
Fehlen nur noch die Wellen. Die beiden baugleichen Wellenmaschinen mit jeweils einem Blatt von 2,50 mal drei Meter sind bereits eingebaut, um später für ein möglichst gleichmäßiges Wellenbild zu sorgen. Bis zu 80 Zentimeter hohe Wellen können die Maschinen generieren. Hinzu kommen vier Pumpen zur Strömungserzeugung.
Wasser filtern in drei Stufen
Doch was hat es mit den drei großen blauen Behältern auf sich, die neben dem Kanal stehen? „Das ist das dreistufige Filterungssystem mit Sandfilter, Ozonbehandlung und biologischem Rieselfilter“, erklärt Dr.-Ing. Constantin Schweiger, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Hydromechanik, Küsteningenieurwesen und Seebau im LWI. Bis zu 350 Kubikmeter pro Stunde Salzwasser kann der Rieselfilter reinigen. Er ist so ausgelegt, dass das gesamte Wasservolumen einmal pro Stunde den Filter durchläuft. „Für die Hälterung von Muscheln und anderen marinen Organismen ist es wichtig, das Wasser zu reinigen, zu temperieren und Nährstoffe gezielt hinzuzugeben“, so Oberingenieur Dr.-Ing. David Schürenkamp. „Die eingesetzten marinen Organismen sollen möglichst wenig Stress erfahren, um sie unter realistischen Bedingungen untersuchen zu können.“
Damit sich die marinen Organismen – also Miesmuscheln, Seepocken und Algen aus der Nordsee – an die Bedingungen außerhalb ihrer gewohnten Meeresumgebung gewöhnen, kommen sie zunächst in ein Hälterungsbecken, auch das mit einem Volumen von 14,4 Kubikmetern – also ca. 40 haushaltsüblichen Meerwasseraquarien – nicht zu klein. Noch bewachsen die Organismen Versuchskörper in der Nordsee, die an geeigneten Offshore-Standorten um Helgoland und den Windpark Nordergründe ausgebracht wurden. Bevor die ersten Experimente beginnen, werden sie nach Braunschweig transportiert.
Schutz fürs „Meeresklima“
Im Wellenkanal neben der Baustelle laufen in der Zwischenzeit die Versuche mit dem sogenannten Shake-The-Box 4D-PTV-System weiter, das die Umströmung von Strukturen misst. Statt der Pfähle mit lebenden Organismen kommen bislang 3D-gedruckte Zylinder zum Einsatz, die die Struktur von anhaftenden Miesmuscheln und Seepocken nachbilden. Wie sich die Krafteinwirkung auf die Pfähle je nach Bewuchs ändert, können die Wissenschaftler*innen mit dem Hightech-Gerät untersuchen und später Schlüsse über die mögliche Laufzeit von Offshore-Windanlagen ziehen. Mariner Bewuchs erhöht unter anderem die angeströmte Fläche von Bauwerken im Meer und damit auch die Kraftwirkung von Wellen und Strömungen auf das Bauwerk. Es ist das Ziel, die Laufzeit der bestehenden Offshore-Windanlagen durch eine genauere Neubewertung der erfahrenen Lasten verlängern zu können. Zudem sollen wirtschaftlichere Bemessungen von Offshore-Trag- und Gründungsstrukturen durch die Forschungsergebnisse ermöglicht werden.
Wenn der Salzwasser-Wellen-Strömungskanal Ende dieses Jahres fertiggestellt ist, wird auch das 4D-PTV-System auf den neuen Kanal umgesetzt und die ersten Versuche können starten – mit echten Miesmuscheln und Seepocken. Vom Kanal selbst wird dann nicht mehr viel zu sehen sein. Er erhält eine Einhausung, die mit schiebbaren Elementen für die Experimente verschlossen werden kann. Die Hülle bildet einen Schutz, damit das „Meeresklima“ im Kanal bleibt und nicht von außen gestört wird.