13. April 2017 | Magazin:

Die Reiselust des Menschen Forschung im Fokus: "Energiewende in der Luftfahrt"

Drei Fragen an Matthias Lossau, Diplom Industrial Designer, Institut für Transportation Design an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig

Herr Lossau, Sie entwickeln im Forschungsprojekt „Energiewende in der Luftfahrt“ Zukunftsszenarien. Haben Sie bereits eine Idee, wie wir 2050 fliegen? Surren wir per Elektrojet geräuschlos zum nächsten City-Airport? Oder wird Fliegen zum Luxusgut, weil knappe Rohstoffe die Ticketpreise explodieren lassen?

“Wo sehen Sie sich in 35 Jahren?”. Bild: Matthias Lossau/TU Braunschweig

Wenn ich an die Reiselust denke, die uns alle immer wieder packt, ist mir die Vision von dem Elektroflieger lieber. Die Frage, wie sich die Luftfahrt bis 2050 verändern wird, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Szenarien, die wir in der Mobilitätsforschung erstellen, sind keine Vorhersagen, sondern mögliche Entwicklungspfade. Sie helfen uns, eine Vorstellung dafür zu schaffen, wie sich die Zukunft entwickeln kann. Szenarien stimulieren die Diskussion im Forschungsteam und unterstützen die Wissenschaftler bei der Entscheidungsfindung – zum Beispiel, welche technischen Konzepte sinnvoll erscheinen.

Sie arbeiten in einem Team zusammen mit Ingenieuren aus unterschiedlichen Fachrichtungen. Haben Sie als Designer eine andere Perspektive auf das Forschungsthema?

Ja, das ist in einem interdisziplinären Team auch erwünscht. Wir betreiben die Mobilitätsforschung nicht ausschließlich aus ingenieurswissenschaftlichen Blickwinkeln, sondern auch aus design-, kultur- und sozialwissenschaftlichen Perspektiven. Kurz gesagt: Es geht nicht nur um die Entwicklung innovativer Antriebssysteme, sondern auch um die Reiselust der Menschen. Weiche Faktoren wie Emotionen und Bedürfnisse sind wichtige Aspekte in einem Szenario. Denken Sie beispielsweise nur an das Comeback der Schallplatte. Obwohl wir Musikdateien auf unser Handy laden können, stellen sich junge Menschen plötzlich einen Plattenspieler ins Zimmer und hören ihre Musik auf Vinyl. Warum? Weil das Musikhören so zu einem Erlebnis wird, das mehr Sinne berührt: Ich lasse die Platte aus der Hülle gleiten, setze die Nadel in die Rille. Es knackt und knistert. Dieses Ritual löst Emotionen aus, die eine MP3-Datei offenbar nicht freisetzt. All diese nicht messbaren Faktoren sollten dennoch in eine systemische Betrachtung mit einbezogen werden.

Was bedeutet das für die Mobilität in der Luftfahrt?

Matthias Lossau, Diplom Industrial Designer, Institut für Transportation Design an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig (HBK). Credit: Jonas Vogel/TU Braunschweig

Wenn wir Zukunftsszenarien für die Luftfahrt entwickeln, müssen wir neben technischen, ökonomischen und ökologischen Aspekten auch die Sehnsüchte der Menschen in Bezug auf das Fliegen beleuchten. Dazu ein Beispiel: Wir können mittlerweile Videokonferenzen abhalten und mit Gesprächspartnern in der ganzen Welt konferieren. Dafür müssen wir nicht unser Büro verlassen und auf Dienstreise gehen. Daraus müsste man folgern: Die Nachfrage für Geschäftsreisen im Luftverkehr geht zurück. Stimmt aber nicht. Geschäftsreisen boomen. Vielleicht weil der Mensch das Bedürfnis hat, seinem Verhandlungspartner direkt in die Augen zu blicken. Oder weil er gern reist, um seinem Büroalltag zu entfliehen. Solche Entscheidungen, bei denen wir uns von einem Gefühl leiten lassen, sind uns größtenteils nicht bewusst. Es geht für mich als Designer darum zu verstehen und zu lernen, welche unterschwelligen Bedürfnisse die Menschen in der Zukunft haben könnten.

Text: Nicole Geffert