In der City: Die Uni unter Leuten Semesterabschluss im Reallabor Hagenmarkt
Ein Duft von leckerem Essen liegt über dem Braunschweiger Hagenmarkt. An mehreren Tischen schnippeln Studierende Lauch, Möhren, Zucchini und Kartoffeln. In einem großen Topf im Holzpavillon köchelt Gemüsesuppe, in einem anderen schmort frisch gepflückter Mangold. Erntetag im Reallabor Hagenmarkt! Zum Abschluss der Vorlesungszeit kamen die Studierenden des Instituts für Architekturbezogene Kunst zusammen, um das reife Gemüse zu pflücken und im Rahmen des traditionellen Architekturrundgangs Arbeiten des vergangenen Studienjahrs zu präsentieren.
Es ist trubelig auf dem Platz in der Innenstadt. Passant*innen mischen sich unter die Studierenden, stellen Fragen zum Reallabor, kaufen sich Kaffee und Gebäck im Pavillon. Freiwillige bieten ihre Hilfe beim Gießen der Pflanzen an, jemand bringt einen Eimer mit Pferdeäpfeln zur Düngung des Gemüses. Das Reallabor ist Teil der Stadt geworden.
„Der Hagenmarkt hat sich im Laufe der vergangenen Wochen sehr verändert“, sagt Professorin Folke Köbberling, Leiterin des Instituts für Architekturbezogene Kunst (IAK), das gemeinsam mit dem Institut für Bauklimatik und Energie der Architektur (IBEA) und dem Institut für Geschichte und Theorie der Architektur und Stadt (GTAS) das Reallabor organisiert hat. Mehr Menschen seien auf dem Platz unterwegs, sitzen auf den von den Studierenden aus Schalungsplatten, Holzleisten und Spanngurten gebauten Möbeln. Auch das vom GTAS kuratierte dreiwöchige Programm mit Workshops, Spaziergängen und Vorträgen wurde gut besucht. „Die TU ist in der Stadt angekommen“, so Folke Köbberling. „Jetzt würden wir uns sehr freuen, wenn die Einwohner*innen das Reallabor auch in der vorlesungsfreien Zeit annehmen und uns unterstützen.“
Bei einem ersten Treffen mit möglichen Partner*innen aus Universität und Stadt hat das Projekt-Team einen Gießplan festgelegt, damit die Pflanzen in den kommenden Wochen weiter wachsen und gedeihen. Als Kooperationspartner will Sandkasten neue Projekte anstoßen. Aber auch die Kirchengemeinde St. Katharinen, das Haus der Kulturen, Transition Town, Mitglieder des Vereins reka und Alfons Markiewicz von der Konditorei am Hagenmarkt wollen sich einbringen.
Visionen einer klimagerechten Stadt
Inzwischen sind Suppe und Mangold fertig. Die Studierenden löffeln ihr Mahl teils aus selbst gefertigten Tassen. Die Ton-Becher seien zugleich Trink- und Essgefäß, könnten aber auch als Werkzeug genutzt werden, erklärt Bernd Schulz, künstlerisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter am IAK. Mit den Tassen haben die Studierenden das Semester-Oberthema „Weniger ist mehr“ aufgegriffen. „Die Tasse ist das Gefäß, das wir am nötigsten brauchen“, sagt Bernd Schulz.
Neben dem IAK gibt das Institut für Landschaftsarchitektur (ILA) von Professorin Gabriele Kiefer während des „Rundgangs 21“ des Departments Architektur Einblicke in die Projekte der Studierenden. Im Seminar „Fridays for Future – Future for the City“ haben sie für prominente Orte im Braunschweiger Stadtgebiet Visionen einer klimagerechten Stadt der Zukunft entwickelt. Hierbei zeigen die Studierenden auf „Protestplakaten“ explizite Vorschläge, mit welchen Mitteln die Transformation in eine grüne Stadt kurz- und langfristig möglich sein wird. Handlungsbedarf sehen sie zum Beispiel am Hauptbahnhof, am Busbahnhof, rund um das Gebäude der ehemaligen Galeria Kaufhof, aber auch am Studentenwohnheim “Affenfelsen” und am Zentralcampus.
Der Platz wird diskutiert
Den Hagenmarkt haben die drei Architektur-Institute mit dem Reallabor in einen Möglichkeitsraum, einen Experimentierort transferiert. Ein Raum, der immer wieder neu genutzt und bespielt wird. „Das Reallabor ist eine schöne Aufwertung des Hagenmarkts und öffnet einen neuen Blickwinkel auf den Platz“, findet Alfons Markiewicz, der am Hagenmarkt eine Konditorei betreibt und an einem kleinen Stand im Pavillon Kaffee und Gebäck anbietet. „Es ist toll, wie sich die Studierenden engagiert haben und ausprobieren konnten.“
Ganz konkret Hand anzulegen, habe die Architektur-Studierenden im Reallabor begeistert, ist sich IBEA-Leiterin Professorin Elisabeth Endres sicher. „Vor Ort sind sie außerdem aufgefordert, mit Einwohner*innen über das zu sprechen, was sie im Reallabor tun.“ Nicht nur dadurch werde der Diskussions-, Ausstellungs- und Lehrort von den Braunschweiger*innen angenommen. „Der Transfer der Universität in die Stadt hat sehr gut funktioniert. Der Platz wird diskutiert.“
Die Universität möchten die Institute gern noch an anderen Orten der Stadt sichtbar machen. So kann sich Folke Köbberling vorstellen, die übergroßen Sitzmöbel an weiteren Plätzen aufzustellen. Und auch in Chemnitz sollen sie stehen: Die flexiblen Sitzgelegenheiten werden im Rahmen der Kulturhauptstadt, zu der die Künstlerin eingeladen wurde, aufgebaut.