Großprojekte: Die Kunst der richtigen Kompromisse Interview mit Professor Patrick Schwerdtner
Sie stehen für vermeintliche Fehlplanungen, explodierende Kosten und geplatzte Termine: Großprojekte wie der Berliner Hauptstadtflughafen, die Hamburger Elbphilharmonie oder der Stuttgarter Hauptbahnhof. Immer wieder stehen sie im Mittelpunkt der gesellschaftlichen Debatte und haben den Blick der Öffentlichkeit auf komplexe Bauvorhaben verändert. An Verbesserungen auf diesem Gebiet wird in unterschiedlichen Fachrichtungen geforscht. Ein aktuelles Projekt an der TU Braunschweig möchte nun das Problem lösen, bevor es entsteht.
Herr Professor Schwerdtner, gemeinsam mit Ihrer Kollegin Professorin Tanja Kessel vom Lehrstuhl für Infrastruktur- und Immobilienmanagement und Ihrem Kollegen Professor Carsten Roth vom Institut für Industriebau und Konstruktives Entwerfen, gehen Sie ein Thema an, das gesellschaftlich seit langem umstritten ist. Können komplexe Bauvorhaben überhaupt störungsfrei bewältigt werden?
Bei aller berechtigten Kritik wird zunächst leicht übersehen, dass Störungen im Bauablauf hochkomplexer Projekte in gewissem Maße tatsächlich unvermeidbar sind. Denn die Realität zeigt, dass unter den wirtschaftlichen sowie gesetzlichen Gegebenheiten eine exakte oder vollkommene und damit störungsresistente Planung der Projektabwicklung ab einem bestimmten Grad der Komplexität nicht mehr möglich ist. In der Praxis geht es daher vielmehr um die Fragestellung, inwiefern das Ausmaß potenzieller Störungen durch geeignete Maßnahmen bereits am Beginn eines Projektes begrenzt und beherrscht werden kann.
Wo liegen die neuralgischen Punkte bei der Durchführung solcher Projekte?
Bei einem professionellen Projektmanagement müssen zunächst zwei grundlegende Aspekte berücksichtigt werden: Einerseits sollten so früh wie möglich verlässliche Rahmenbedingungen hinsichtlich der Qualitäten, Kosten und Termine sowie der Projektorganisation geschaffen werden, um die Anzahl und Auswirkungen etwaiger Störungen von vornherein zu minimieren. Zudem sollte man möglichst zu jedem Zeitpunkt auf den Umgang mit Störungen vorbereitet sein. Nur so kann man die direkten und indirekten Auswirkungen auf die Projektziele reduzieren, im Idealfall sogar vermeiden. Ergänzend sei der Hinweis erlaubt, dass bei den von Ihnen genannten Großprojekten sicher noch ganz andere Aspekte, z. B. politische und gesellschaftliche Fragestellungen, hinzukommen.
Im Forschungsprojekt „OI+BAU“ untersuchen Sie die Projektinitiierung und Bedarfsplanung von komplexen Bauvorhaben. Welchen Ansatz verfolgen Sie dabei?
In den frühen Projektphasen werden bekanntermaßen die Entscheidungen mit den größten Hebelwirkungen getroffen. Deswegen beschäftigen wir uns vorrangig mit der Startphase und Auswirkungen notwendiger Entscheidungen. Hierfür haben Frau Prof. Kessel, Herr Prof. Roth und ich ein interdisziplinäres Forschungsteam zusammengestellt, das die vorhandenen Problemstellungen aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet und Lösungsansätze erarbeitet. Es wird dabei auch darum gehen, Prioritäten festzulegen und kritische Abwägungsprozesse zwischen verschiedenen Interessen zu strukturieren. Am Ende des zweijährigen Forschungsprojektes soll ein Handlungsleitfaden mit konkreten, praxisnahen Empfehlungen entstehen.