Erinnerungen an Peenemünde Interview mit Historiker Daniel Brandau
Ohne die Entwicklung der Großrakete wäre Peenemünde vielleicht ein unbekanntes Fischerdorf auf der Insel Usedom. Doch der Ort steht für Meilensteine auf dem Gebiet der Rüstungstechnik und gleichzeitig für die Ausbeutung von Zwangsarbeitern im Zweiten Weltkrieg. Ein Forschungsteam um Professor Christian Kehrt vom Institut für Geschichtswissenschaft der TU Braunschweig und Dr. Philipp Aumann vom Historisch-Technischen Museum Peenemünde (HTM) untersucht nun die Erinnerungsgeschichte des Ortes und unterstützt deren Aufarbeitung.
Herr Brandau, sie gehören zum Forschungsteam um Prof. Kehrt und haben bereits zur Kulturgeschichte der Rakete gearbeitet. Was ist das Neue für Sie an dem Forschungsprojekt „Meta-Peenemünde“ und welche Ziele verfolgt es?
Das Neue ist, dass wir uns nicht nur mit Technik- oder NS-Geschichte beschäftigen, sondern mit der Erinnerung an den konkreten Ort, an dem zwischen 1936 und 1945 zwei der größten militärischen Versuchsanstalten des Deutschen Reiches standen und vor allem die Großrakete A4 entwickelt wurde. Einige der Ingenieure, vor allem das Team um den Raketeningenieur Wernher von Braun, waren später für die amerikanische Raumfahrtbehörde NASA tätig und idealisierten ihre Zeit in Peenemünde. Gleichzeitig gab es aber auch schon in den 1950er und 1960er Jahren Proteste gegen die Verklärung der NS-Rüstung. Das Problem, ob man die Nordspitze Usedoms nun als „Geburtsstätte der Raumfahrt“ oder als Ort der Gewalt erinnern solle, war stets hochpolitisch und kontrovers.
Dies erzählt uns zunächst vor allem etwas über die Kulturgeschichte der Bundesrepublik und der DDR: Wie erinnerte man die technischen Innovationen der Vergangenheit? Ein weiteres, museumsdidaktisches Teilprojekt erforscht die heutigen Erwartungen und Reaktionen von Besuchern des Ortes, aber auch die Anliegen und das Erinnern der Anwohner. Die Forschungsergebnisse werden der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt und sollen zugleich in eine Sonder- und die neue Dauerausstellung des Museums einfließen.
Peenemünde ist Erinnerungsort und sicherlich für einige auch ein Sehnsuchtsort. Was macht den Reiz hier zu Forschen für Sie als Technikhistoriker aus und mit welchen Herausforderungen rechnen Sie?
Wir wollen nicht nur mit Literatur und archivalischen Quellen, sondern auch mit den großen und zum Teil unerschlossenen Dokument- und Objektsammlungen des HTM arbeiten. Dies bedeutet, dass wir viel Zeit in Peenemünde verbringen und zudem auch Interviews mit lokalen Akteuren führen werden. Auch heute noch werden die Deutungen als Ort der Sehnsucht oder des Schreckens oft emotional verteidigt, so dass es in der Tat eine Herausforderung sein wird, selbst wenn wir nicht vermitteln können, so zumindest die unterschiedlichen Perspektiven zu berücksichtigen. Wir freuen uns, dass die VolkswagenStiftung das Unterfangen großzügig fördert. Die umfangreiche Kooperation zwischen der TU Braunschweig und dem HTM Peenemünde eröffnet uns viele Freiräume und eine große Praxisnähe. Ein Anspruch des Projekts ist es, das Museum näher an die wissenschaftliche Forschung, aber auch die Forschung näher an die Museumsarbeit zu rücken. So planen wir momentan auch ein Projekt mit Studierenden für eine virtuelle Ausstellung, die die reguläre Ausstellung digital erweitern und den Studierenden Praxiserfahrungen vermitteln soll.
Der Zweihundertfünfzig-Seelen-Ort beherbergte eine Raketenversuchanstalt im Zweiten Weltkrieg, einen Militärstützpunkt im Kalten Krieg und heute ein Museum und Dokumentationszentrum. Er steht für ambivalentes Erinnern an Technikgeschichte. Wer oder was hat Peenemünde zu diesem Ort gemacht, der Mensch oder die Technik?
Die Frage, was die Geschichte der modernen Welt antreibt, ob nun der Mensch oder die Technik, ist alt und dennoch weiterhin aktuell. Die einfachste Antwort wäre wohl: Beide. Doch letztlich haben Menschen Peenemünde einst zu einem Ort der Rüstung gemacht, so wie sie ihn heute zu einem Ort der Erinnerung und Mahnung machen. Neue Technik liefert neue Werkzeuge und Möglichkeiten, doch hinter Entwicklung und Einsatz stehen immer Akteure. Die Geschichte der Rakete wurde oft bloß als Vorgeschichte der Raumfahrt betrachtet oder auch als Geschichte einzelner Erfindergenies. Dieser Versuch, die politischen und militärischen Interessen hinter technischem Fortschritt auszublenden, hat den einfachen Grund, dass die Rakete zuvorderst immer ein militärisches Produkt war. Gerade in Deutschland, einem Land der Ingenieurskunst, bereitet uns die Realität des ‚Dual Use’, also der militärisch-zivilen Doppelnutzung von Technik, auf Grund unserer Geschichte rasch ethisch-moralisches Kopfzerbrechen. In kaum einem Ort verdichten sich diese weiter ungelösten Spannungen so sehr wie in Peenemünde.
In den nächsten Wochen geht es für Sie und Ihre Kollegin Constanze Seifert erneut zu Ihren Kooperationspartnern an die Ostsee. Was werden die nächsten Schritte im Projekt sein?
Am 14. Februar 2017 steht zunächst ein Kick-off-Workshop in Peenemünde an, welcher der Vorstellung und Diskussion der Zielsetzungen mit dem wissenschaftlichen Projektbeirat und Museumsmitarbeitern dient.
In den kommenden Monaten werden wir die Dokument- und Objektsammlungen vor Ort erschließen und bereits einige Interviews mit Erinnerungs- und Museumsakteuren führen. Constanze Seifert wird zudem eine Besucherbefragung durchführen. Neben Publikationen planen wir für die kommenden beiden Jahre jeweils eine Tagung, zu der wir internationale Forscher verschiedener Disziplinen einladen, um Wissen und Erfahrungen auszutauschen und Kooperationen auszubauen.
Sie haben bereits in Rahmen ihrer Doktorarbeit zur Kulturgeschichte der Rakete geforscht und beschäftigen sich jetzt mit dem Bild von Peenemünde im kulturellen Gedächtnis. Woher kommt Ihr Interesse an dem Thema?
Da ich in einem Ingenieurshaushalt aufgewachsen bin, war ich in meiner Technikaffinität sicher vorgeprägt. Im Studium der Geschichte hat mich interessiert, warum Menschen zu bestimmten Zeitpunkten anfingen, an die Machbarkeit einer Zukunftstechnik, wie etwa der Weltraumrakete, zu glauben. Was sind die kulturellen und sozialen Ursachen oder Voraussetzungen von Innovation? Was bringt Menschen dazu, außerhalb der üblichen Bahnen zu denken? Inwiefern prägt die Erinnerung an die Vergangenheit das Möglichkeitsdenken? Das hat mit individuellen Lebens- und kollektiven Zukunftsentwürfen ebenso zu tun wie mit politischen oder professionellen Kontexten. Für mich ist das eine der Grundfragen der technischen Moderne, die mich weiter umtreibt.