Energieträger der Zukunft: Reallabor für nachhaltigen Wasserstoff Ein Interview mit Professor Bernd Engel und David Sauss über die Forschung am H2-Terminal
Weg von fossilen Brennstoffen hin zu erneuerbaren Energien: Bis 2045 soll Deutschland klimaneutral werden. Ein Baustein für das Gelingen der Energiewende ist eine funktionierende Wasserstoff-Infrastruktur. Das neu eröffnete Hydrogen Terminal (H2-Terminal) soll hierfür wichtige Weichen stellen. Im Interview erklären David Sauss, stellvertretender Leiter des Steinbeis-Innovationszentrums energieplus, und Professor Bernd Engel, Leiter des elenia-Instituts an der TU Braunschweig, welche Möglichkeiten das Reallabor zur Erforschung der H2-Wertschöpfungskette bietet, weshalb Alterungstests mit Brennstoffzellen wichtig sind und inwiefern Wasserstoff und Batterien das Stromnetz stabilisieren können.
Worum geht es beim Projekt H2-Terminal?
Sauss: Es geht zunächst darum, eine Infrastruktur zu schaffen, um die Forschung rund um das Thema Wasserstoff gebündelt erforschen zu können. An der TU Braunschweig wird an so vielen verschiedenen Stellen zum Thema Wasserstoff geforscht, aber es gab bisher keinen Ort, an dem alles zusammen erprobt werden konnte und das wollten wir hier schaffen. Am H2-Terminal haben die Institute die Möglichkeit zu experimentieren, und zwar nicht nur im Labormaßstab. Wo sonst haben Forscher*innen die Chance, einen Elektrolyseur von dieser Größe selbst bedienen zu können, Lastkurven abzufahren, zu untersuchen, was passiert, wenn wir Strom wegnehmen? All die verschiedenen Disziplinen, die an der TU zum Thema Wasserstoff forschen, bringen wir hier in diesem großen Reallabor zusammen. Das H2-Terminal ist außerdem für Lehrzwecke nützlich. Es ist wichtig, nicht nur Spezialist*innen auszubilden, sondern auch Generalist*innen die das Wissen aus verschiedenen Bereichen mitbringen und so den Blick auf das große Ganze haben. Dafür ist der H2-Terminal als Lernort sehr gut geeignet, da man die Zusammenhänge der verschiedenen Teilbereiche praktisch nachvollziehen kann.
Engel: Ein wichtiger Teil des H2-Terminals ist aber auch, dass wir hier zukünftig im Megawattmaßstab erforschen können, wie Elektrolyseure und zugehörige Batterien das Stromnetz in Zukunft stabilisieren könnten.
Wozu ist das notwendig?
Engel: In Deutschland sollen bald alle konventionellen Kraftwerke abgeschaltet und vollständig durch erneuerbare Energien ersetzt werden. Schon heute gibt es Phasen, in denen wir mehr als 100 Prozent der benötigten Leistung aus erneuerbaren Energien wie Windkraft und Photovoltaik generieren. Um diese Energieüberschüsse nicht zu verschwenden, kann es sinnvoll sein, die überschüssige Energie mit Hilfe eines Elektrolyseurs in Wasserstoff umzuwandeln. Dieser kann dort eingesetzt werden, wo es bisher nur fossile Lösungen gibt, wie in der Stahlproduktion in Salzgitter. Außerdem kann die überschüssige Energie mit Hilfe von Wasserstoff gespeichert werden. Denn es gibt auch Phasen, in denen Windkraft- und Photovoltaikanlagen nicht genug Strom liefern. Das ist vor allem im Winter der Fall, wenn in Deutschland die sogenannte „kalte Dunkelflaute“ auftritt. Mit Hilfe von H2-Ready-Gasturbinenkraftwerken kann der Wasserstoff dann wieder in Strom umgewandelt und genutzt werden.
Batterien sind dafür übrigens nicht geeignet, weil sie nur als Kurzzeitspeicher für ein bis zwei Tage dienen. Aber auch Batterien haben ihre Vorteile. Sie können deutlich schneller agieren als Elektrolyseure, dies ist wichtig, um das Netz hochdynamisch stabilisieren zu können. Deshalb wollen wir am H2-Terminal auch erforschen, wie das Zusammenspiel von Batterie und Elektrolyseur zur Netzstabilisierung am besten funktioniert.
Sauss: Genau, um das alles testen zu können, haben wir einen AEM-Elektrolyseur im Megawattbereich angeschafft, quasi das Herzstück unseres H2-Terminals.
Was ist das Besondere an diesem Elektrolyseur?
Sauss: Mit unserem Elektrolyseur können wir ein relativ neues Elektrolyseverfahren anwenden. Bisher werden vor allem alkalische Elektrolyseure eingesetzt. Diese brauchen aber lange, um hochzufahren und sind deshalb für die Abpufferung erneuerbarer Energien ungeeignet. Das zweithäufigste Verfahren, die PEM-Elektrolyse, fährt schnell hoch und kann daher schnell auf Fluktuation der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien reagieren. Sie ist jedoch sehr teuer, vor allem wegen der verwendeten Edelmetalle. Die AEM-Elektrolyse (Anionenaustauschmembran-Elektrolyse) ist eine Kombination der beiden oben genannten Verfahren. Im Gegensatz zur alkalischen Elektrolyse wird hier nur eine leicht alkalische Lauge verwendet, also 1 Prozent statt 20 Prozent. Das ist umwelttechnisch viel besser. Darüber hinaus werden im Vergleich zur PEM-Elektrolyse so gut wie keine Edelmetalle eingesetzt. Außerdem besteht unser Elektrolyseur aus vielen kleinen Einheiten, sogenannten Stacks, die einzeln arbeiten. Das gibt uns die Flexibilität, dass wir den Elektrolyseur nicht immer mit 100 Prozent Leistung laufen lassen müssen, sondern auch nur einen Teil der Stacks aktivieren können. Und wenn ein Stack defekt ist, kann man ihn einfach austauschen und muss nicht den ganzen Elektrolyseur auseinandernehmen.
Eine weitere Besonderheit ist, dass wir unseren Elektrolyseur von einer Firma beziehen, die plant, mit dem Bau ihrer Elektrolyseure in die automatisierte Fertigung zu gehen. Bisher wurden weltweit alle Elektrolyseure in aufwendiger Handarbeit hergestellt. Der AEM-Elektrolyseur könnte durch eine automatisierte Fertigung weitere Kostenvorteile bieten. Es ist übrigens selten als Forschungseinrichtung, einen so leistungsfähigen Elektrolyseur mit einem neuen Elektrolyseverfahren als Prototyp testen zu können. Damit der Elektrolyseur auch rechtzeitig zur Eröffnung zur Verfügung steht, haben wir ihn schon vor drei Jahren bestellt und damit begonnen rund um diesen Elektrolyseur eine Infrastruktur aufzubauen.
Wie sieht diese Infrastruktur aus?
Sauss: Zum einen war es uns wichtig, die beim Elektrolyseprozess entstehende Wärme bzw. Abwärme zu nutzen. Bleibt diese ungenutzt, hat der Elektrolyseur nur einen Wirkungsgrad von 60 Prozent. Wenn es uns aber gelingt, weitere 30 Prozent Wärme auszukoppeln, können wir den Wirkungsgrad auf über 90 Prozent steigern, was sehr gut ist. Dazu brauchen wir eine Wärmepumpe, die wir in einem langen Prozess mit einer Firma entwickelt haben. Sie hebt das Temperaturniveau an. Über eine Nahwärmeleitung gelangt die Wärme dann zum Neubau des Fraunhofer ZESS, wo sie dann genutzt werden kann. Wenn die Wärmepumpe gut funktioniert, benötigen wir für die Elektrolyse keine Rückkühler mehr.
Und wie sieht es mit der Nutzung des Wasserstoffs aus?
Sauss: Nachdem der Wasserstoff in unserem AEM-Elektrolyseur erzeugt wurde, kommt er zunächst in einen Stahltank. Er fasst etwa eine Tagesproduktion. Von dort aus geht der Wasserstoff über Pipelines in drei verschiedene Verwertungspfade. Einer davon ist der Bereich Mobilität mit einer Wasserstofftankstelle für Schwerlast-LKW, die wir auf dem Gelände des H2-Terminals in unmittelbarer Nähe des Elektrolyseurs für Forschungszwecke errichtet haben. Um diese betreiben zu können, muss der Wasserstoff zunächst mit einem Tankstellenkompressor verdichtet werden. Außerdem brauchen wir natürlich auch entsprechende Fahrzeuge, die dort betankt werden. Da haben wir das Glück, dass eine Spedition aus Wolfsburg zwei LKW auf Brennstoffzellen umgerüstet hat. Die werden dann bei uns betankt, aber auch die ganze Logistik dahinter, die bei der Umrüstung anfällt, kann bei uns erprobt werden.
Eine weitere Wasserstoff-Pipeline führt zum benachbarten Niedersächsischen Forschungszentrum Fahrzeugtechnik (NFF) mit einem kleinen Abzweig zum Neubau des Fraunhofer-Zentrums für Energiespeicher und Systeme ZESS. Am NFF wird bald der weltweit größte Metallhydridspeicher stehen. Hier wird der Wasserstoff ein- und ausgespeichert und vom Institut für Verbrennungskraftmaschinen und Brennstoffzellen (IVB) erforscht. Das NFF nutzt den Wasserstoff aber auch, um die eigenen Motorenprüfstände zu versorgen.. Dass das NFF unseren grünen Wasserstoff in Zukunft per Pipeline erhält, trägt also auch zur Dekarbonisierung und somit zur Reduzierung des CO2-Fußabdrucks der TU Braunschweig bei.
Ein dritter Verwertungspfad führt in das Gebäude direkt neben dem Elektrolyseur am H2-Terminal. Hier führt vor allem das Institut für Technische Chemie verschiedene Tests mit Wasserstoff, Brennstoffzellen und Elektrolyseuren durch.
Was wird dort genau getestet?
Sauss: Zum einen haben wir dort Brennstoffzellen-Prüfstände. Die Brennstoffzelle nutzt nämlich den Wasserstoff, um daraus Wärme und Strom zu erzeugen. Wie gut und effizient sie das macht, hängt stark von Umgebungsbedingungen ab. Deshalb werden an den Brennstoffzellenprüfständen Alterungsversuche durchgeführt, bei denen wir im kleinen Maßstab testen wie Chemie, Materialität und Membranbeschichtung am besten kombiniert werden, um die Lebensdauer und Effizienz der Brennstoffzellen zu erhöhen. Außerdem testen wir die Erzeugung von Wasserstoff durch Pyrolyse von kohlenwasserstoffhaltigen Ausgangsstoffen, um beispielsweise die Zuführung von Kunststoffpellets weiterzuentwickeln. Und dann wollen in dem Gebäude noch weitere Elektrolyseverfahren testen.
Wieso ist das notwendig?
Sauss: Die verschiedenen Elektrolyseverfahren reagieren alle sehr unterschiedlich und haben auch unterschiedliche Vor- und Nachteile. Es ist daher wichtig, diese Elektrolyseverfahren auch vergleichend zu testen. Dazu haben wir noch einen PEM-Elektrolyseur als Teststand. Und in den nächsten Monaten bekommen wir noch einen Zinkzwischenschrittelektrolyseur als Prototyp. Bei diesem neuen Verfahren ist schon eine Batterie eingebaut. Man gibt Strom rein, hat aber nicht sofort Wasserstoff, sondern erst mit einer Zeitverzögerung von vier bis acht Stunden.
Aus welchen Energiequellen wird der Wasserstoff am H2-Terminal eigentlich erzeugt?
Engel: Der Wasserstoff stammt zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen.
Sauss: Genau, dafür haben wir alle möglichen Flächen am H2-Terminal mit Photovoltaik zugepflastert. Das reicht aber bei weitem nicht aus, um einen solchen Elektrolyseur zu betreiben. Den Rest beziehen wir erstmal vom örtlichen Versorger. Wichtig ist dabei, dass der grüne Strom herkunftszertifiziert ist, denn nur dann darf der Wasserstoff als grüner Wasserstoff bezeichnet werden. Für Ende des Jahres ist der Baubeginn einer Drei-Megawatt-Photovoltaikanlage auf dem Flughafengelände geplant, der unseren Bedarf decken wird. Dafür haben wir bereits alle Voraussetzungen geschaffen. Die Lehrrohre sind bereits verlegt und ein Einspeisefeld ist in unserem Mittelspannungsnetz vorgesehen.
Und woher kommt das Wasser für die Wasserstoffproduktion?
Sauss: Dafür reicht tatsächlich ein ganz normaler Hauswasseranschluss aus. Allerdings muss das Leitungswasser anschließend noch so gefiltert, entsalzt und durch einen Ionentauscher geleitet werden, damit wir den Elektrolyseur mit reinstem Wasser betreiben können.
Wie unterstützt das elenia Institut das Projekt?
Engel: Übergeordnet übernehmen wir die Koordination der TU-Institute bei Aufbau und Monitoring des H2-Terminals. Insgesamt sind sieben Institute und das Gebäudemanagement GB3 beteiligt. Inhaltlich kümmern wir uns auch um die oben erwähnte Netzintegration bzw. Netzstabilisierung und um die energiewirtschaftliche Seite. Das heißt, wie können wir das ganze Hydrogen-Terminal wirtschaftlich betreiben, wenn wir die Energie aus erneuerbaren Quellen gewinnen, die mal zu viel und mal zu wenig produzieren.
Was war die größte Herausforderung beim Aufbau des H2-Terminals?
Engel: Die große Herausforderung war innerhalb relativ kurzer Zeit dieses Reallabor aufzubauen, dessen technische Komplexität weit über einen privaten Hausbau hinausgeht und aus so vielen verschiedenen Komponenten besteht, die zum Teil weltweit einzigartig sind und miteinander funktionieren müssen.
Sauss: Ja genau, und wir wollten unsere Infrastruktur ja nicht nur für aktuelle Forschungsprojekte aufbauen, sondern auch für viele verschiedene Projekte, die erst in Zukunft entstehen. Und es ist gar nicht so leicht eine so große Infrastruktur zu planen, ohne wirklich wissen zu können, welche Projekte die Institute dort in Zukunft realisieren werden.
Könnte das Konzept einer solchen Energiezentrale nicht nur ein Konzept für die Forschung, sondern auch für die zukünftige Versorgung von Gewerbegebieten oder Siedlungen sein?
Sauss: Absolut, so eine Versorgung ist auf jeden Fall auch auf Bereiche außerhalb der Forschung anwendbar.
Engel: Es gibt viele verschiedene Konzepte, die derzeit in dieser Richtung entwickelt werden. Schon jetzt zeichnet sich eine zentrale Wasserstoff-Infrastruktur ab, mit großen Elektrolyseuren im 100 –Megawattmaßstab mit Anschluss an das Wasser-Kernnetz und dort vorhanden Großverbrauchern. Daneben wird es auch dezentrale Wasserstoffnetze für die Versorgung von Gewerbegebieten und Wohnquartieren geben.
Vielen Dank!