27. Februar 2023 | Magazin:

Ein Prüfstand im Prüfstand Experimentelle Infrastruktur zur Untersuchung neuer Rotorkonzepte, Triebwerkseinläufe und deren Zusammenspiel

Der Wunsch nach effizienterem, emissionsärmerem Fliegen verlangt in der zivilen Luftfahrt Triebwerke mit einer Besonderheit: Sie haben ein hohes Nebenstromverhältnis (Bypass Ratio) und werden daher als UHBR bzw. Ultra High Bypass Ratio-Triebwerke bezeichnet. Den Hauptschub des Triebwerks erzeugt hier der Nebenstrom. So kann die Effizienz des Triebwerks gesteigert werden, der Abgasstrahl wird entlastet. Durch die Mischung der beiden Strömungen wird die Geschwindigkeit am Austritt und somit auch die Lärmbelastung verringert. Diese Anforderungen haben natürlich auch Folgen für die Konstruktion von Triebwerken. Diesem Trend folgend, wurde am Institut für Flugantriebe und Strömungsmaschinen der TU Braunschweig im Dezember 2022 ein neuer Prüfaufbau in Betrieb genommen.

Jonas Grubert, Patrick Brunow und Prof. Jens Friedrichs (v.l.n.r.) vor dem fertigen Aufbau. Bildnachweis: Marco Diedrich/TU Braunschweig

Um einen hohen Nebenstrom zu gewährleisten, verfügen die Triebwerksgondeln bzw. Einlaufgeometrien über einen vergrößerten Außendurchmesser im Vergleich zu klassischen Strahltriebwerken. Grund dafür ist die erste Verdichterstufe, auch als Propulsor oder Fan-Stufe bezeichnet (hier werden große Luftmassen angesaugt und verdichtet), die einen entsprechend großen Außendurchmesser bei gleichzeitig kleinem Nabendurchmesser (Außendurchmesser der Antriebswelle, an dem die Rotorschaufeln befestigt sind) benötigt. Der daraus folgenden Luftwiderstands- und Gewichtserhöhung durch die große Gondel begegnet man unter anderem mit der Verkürzung der Einlauflänge und somit der direkten Verringerung des Abstands zwischen Fan und Triebwerkseintritt.

 

Das INFRa-Rig im Windkanal während der Installation. Bildnachweis: Patrick Brunow/TU Braunschweig

Der neue Prüfstand am Institut für Flugantriebe und Strömungsmaschinen bedient diese Entwicklung im Hinblick auf hohe Nebenstromverhältnisse und kürzere, aerodynamisch aggressivere Einlaufgeometrien. Mit dem INFRa-Rig, kurz für Integrated Nacelle Fan Rig Assembly, wurde der institutseigene, seitenwindfähige Windkanal aufgerüstet. Das INFRa-Rig ist ein Modell-Propulsor und umfasst den vorderen Teil eines UHBR-Triebwerks, also nur den Fan und den Einlauf – ohne Brennkammer, Düse, Primärkreislauf. Jonas Grubert und Patrick Brunow haben damit den Windkanal um eine Schlüsselkomponente für die Erforschung des schuberzeugenden Propulsors moderner UHBR-Triebwerke im Zusammenspiel mit aktuellen Einlauf-Designs erweitert.

Unter der Leitung von Professor Jens Friedrichs werden hier in Zukunft komplexe Experimente durchgeführt, um die Interaktion zwischen Verdichter und Lufteinlass und auch gänzlich neue Fankonzepte zu untersuchen. Rig-seitig kann hierfür mittels einer Drossel das gesamte Kennfeld des Verdichters abgefahren und gleichzeitig vom Windkanal eine inhomogene Anströmung bereitgestellt werden. Die instabilen Grenzbereiche des Kennfelds sind vor allem aus aeroelastischer Sicht sowie für die Fan-Auslegung und Fan-Performance von großem Interesse. Dies gilt sowohl für die Effizienz als auch für den sicheren Betrieb dieser Bauart.

Schnittansicht des Konstruktionsmodells des INFRa-Rigs. Bildnachweis: Patrick Brunow/TU Braunschweig

Modell-Propulsor für Experimente

Bei dem Prüfling (INFRa-Rig) handelt es sich um eine gemeinsame, von der EU geförderte Entwicklung mit dem DLR und Rolls Royce Deutschland. Mit einem Fan-Durchmesser von 650 Millimetern stellt er die hochinstrumentierte Nachbildung einer modernen Fan-Stufe im Maßstab eins zu drei dar. Das Rig bildet die reine Sekundärströmung ohne den heißen Kreislauf eines konventionellen UHBR-Triebwerks ab und wird zum Betrieb an den Antriebsstrang des Windkanals gekoppelt.

Prüfling mit Telemetrie zur Erfassung von Rotor-Messdaten

Neben konventioneller stationärer und instationärer Druckmesstechnik, vor allem im Bereich des Einlaufs, verfügt der Prüfling über eine Telemetrie, um Messwerte aus dem rotierenden ins stationäre System zu transferieren. In diesem Fall vor allem die Daten von Dehnungsmessstreifen auf den Schaufeln. Sie dienen der Analyse von Verformungen und Schwingungen im Betrieb. Außerdem werden die Bewegungen und die Spaltmaße der Rotorblätter mittels „Blade Tip Timing“- und „Blade Tip Clearance“-Sonden permanent überwacht.

Weitere Messkampagne im Mai 2023 geplant

Derzeit erhält der neue Prüfstand noch einige Modifikationen, um dann im Mai 2023 für weitere Messkampagnen erneut im Windkanal aufgebaut zu werden. Dann wird auch die Auslegungsdrehzahl von etwa 8100 U/min angefahren, die aus Sicherheitsgründen bei der Erstinbetriebnahme noch um drei Prozent unterschritten wurde. Unter Volllast fördert das Rig Massenströme von über 60kg/s bei einer Motorleistung von 2MW.

Text: Patrick Brunow