4. August 2020 | Magazin:

Die Wirtschaft und die Wissenschaft vom Messen Wie das Exzellenzcluster QuantumFrontiers an der Zukunft der weltweiten Ökonomie arbeitet

Immer genauer kann der Mensch messen: minimale Abstände von Atomen, die Masse von Luftmolekülen, die Zeit in Millionstel Bruchteilen eines Augenblicks, die exakte Stärke winziger Strompulse. Perfekt für die Naturwissenschaften. Doch wie relevant ist die Metrologie, die Wissenschaft vom Messen, für unsere Wirtschaft?

Blick auf das Laboratory for Emerging Nanometrology (LENA). Bildnachweis: christo.cc/TU Braunschweig

Ohne geht es nicht. Ohne Metrologie würden weder Industrie noch Handel funktionieren, da sind sich Naturforschende mit Ökonominnen und Ökonomen einig. Besonders heute, wo die Wirtschaft weltumspannend agiert, müssen sich Alle auf die wichtigen Details verlassen können – und das Exzellenzcluster QuantumFrontiers will dafür sorgen, dass das auch in Zukunft so bleibt.

Heute sind es die akkuraten Maße einer zugelieferten Schraube; dieselben Bruchteile einer Sekunde im Börsenhandel; oder dass die Waagen auch auf der anderen Seite des Globus dasselbe Gewicht anzeigen. Jede Qualitätskontrolle basiert darauf. Jede Innovation ebenfalls. Künftig werden manche Maße noch genauer hinter dem Komma zu fassen sein, bei riesigen Gravitationswellen der Erde ebenso wie bei ultragenauen Positionen himmelsferner Navigationssatelliten. Und auch neuartige Messgeräte hat QuantumFrontiers im Blick – kleinste, allgegenwärtige Luftpartikel zählende Sensoren zum Beispiel. Doch je feiner der technische Fortschritt misst: Ohne weltweit einheitliche Messstandards geht es nicht.

„Diese internationalen Metrologie-Systeme schaffen die notwendige Gewissheit und Vertrauen, dass Messungen akkurat sind“, sagt Martin Milton, Präsident der Weltorganisation für Maße und Gewichte BIPM, „was eine solide Basis für den globalen Handel von heute stellt und uns hilft, uns auf die Herausforderungen von morgen zu wappnen.“ Für diese Gewissheit sorgt das BIPM, das „Bureau International des Poids et Mesures“, schon seit 1875 – und auch in Zukunft. Auch bei Messmethoden, die heute noch gar nicht erfunden sind.

Forschung im Kleinsten

Schema eines Nanometerlineals, das einen Längenstandard auf molekularer Ebene setzt. Bildnachweis: M. Raab / IGSM

Nanometrologie etwa, die Messwissenschaft rund um Millionstel Millimeter, ist ein wichtiger Aspekt im Exzellenzcluster QuantumFrontiers der Technischen Universität Braunschweig. Zu den Forschungszielen gehören nämlich weltweit genaueste Zeitmessung mit verbesserten optischen Atomuhren ebenso wie Abstandsmessungen für Satelliten mittels Laserinterferometrie – mit Feinheiten im Pikometer-Bereich (tausendstel Nanometer).

Auch mit Lichtwellen unterhalb deren eigener Wellenlänge wollen die Forschenden arbeiten und damit Mikroskope miniaturisieren – oder auch neue Quanten-Standards setzen. Das Exzellenzcluster führt hier das Wissen und Können von Arbeitsgruppen der TU Braunschweig, der Leibniz-Universität Hannover und der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt  (PTB) in Braunschweig zusammen.

„Die Metrologie hat in der Vergangenheit immer wieder Fenster in neue Welten aufgeschlagen und zu einem erheblichen Erkenntnisgewinn geführt“, so  Andreas Waag, einer der QuantumFrontiers-Köpfe, „und sie wird das auch in der Zukunft tun“. Der Sprecher des Braunschweiger Laboratory for Emerging Nanometrology (LENA), des Forschungszentrums für Nanomesstechnik, arbeitet intensiv am Messen auf der Nanoskala. Kleinste Dinge wie Zellen oder einzelne Moleküle präzise zu messen oder zu zählen, das ist ein großes Ziel im LENA.

Hier treffen modernste Geräte auf helle Köpfe aus Physik und Elektrotechnik, Chemie und Maschinenbau, um ganz neue Messmethoden und damit innovative Nano-Sensoren zu entwickeln. Denn wie beim Messen von Luft- oder Wasserqualität, so Waag, „gibt es oft schon teure Methoden, die in Speziallabors verwendet werden. Aber eben nicht kleine, kompakte, chipbasierte Sensoren, die überall verfügbar sind und in allen Räumen, in allen Städten, flächendeckend die Umweltbedingungen messen können.“

Symbolbild „QuantumFrontiers“. Bildnachweis: Jonas Vogel/TU Braunschweig

Durch die Historie in die Zukunft

So kann die Zukunft aussehen. Die Grundlage für die heute funktionierende Weltwirtschaft aber – und für den Erfolg von „Made in Germany“ – legte das Ende des 19. Jahrhunderts. Als Elektrizität, Chemie und Kommunikationstechnik immer wichtiger wurden, verlangte die Wirtschaft selbst nach verlässlichen Einheitsmaßen. Werner von Siemens etwa, damals Betreiber einer Telegrafenfabrik, forderte und förderte die „Begründung eines Institutes für die Förderung der exakten Naturforschung und Präzisionstechnik“. Nur „eine fundamentale elektrische Maßbestimmung“ könne die deutsche Industrie an die Weltspitze bringen.

Schließlich wurde 1887 die „Physikalisch-Technische Reichsanstalt“ gegründet, dem Wirtschaftsministerium unterstellt – und seit damals mit starker Ausrichtung auf Grundlagenforschung, die private Institute nicht leisten konnten. Und bis heute, als Bundesanstalt PTB, liefert die Hüterin der deutschen Messnormale zwar auch Dienstleistungen für die Wirtschaft; doch zu 70 Prozent betreibt sie Metrologie-Forschung, eine passende Partnerin im Exzellenzcluster.

Eine aktuelle Herausforderung für QuantumFrontiers ist die Kontrolle und Stabilisierung einzelner Quanten als Grundlage für die Realisierung eines Quantencomputers. Erst kürzlich hat die Bundesregierung bekannt gegeben, Quantentechnologien in Deutschland mit 2 Milliarden Euro zu unterstützen. Wie lassen sich auch künftig wissenschaftliche, technische und industrielle Interessen optimal miteinander verzahnen? Hierfür hat QuantumFrontiers ein eigenes Innovationsprogramm Queep zum Transfer von Erkenntissen in Produkte aufgesetzt. Ob vernetzte Autos, sensorgesteuerte Wohnungen oder das „Internet der Dinge“ – das Exzellenzcluster arbeitet daran mit.

Autorin: Dörte Saße