Die Psychologie des Auflegens #GetTUknow: Dr. Marcus Friedrich
„Club statt Hörsaal“ heißt es am 17. November, wenn bei Profs@Turntables wieder Professor*innen und Dozent*innen in Braunschweiger Diskotheken auflegen. Dass gutes Auflegen nicht nur eine Wissenschaft für sich ist, sondern selbst auch viel Wissenschaft beinhaltet, darüber weiß Dr. Marcus Friedrich, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Pädagogische Psychologie, eine Menge zu berichten. Als DJ Fry legt er seit 25 Jahren deutschlandweit auf Partys auf. Wir haben ihn getroffen und darüber gesprochen, wie viel Psychologie im DJing steckt.
Herr Friedrich, wie sind Sie zum Auflegen gekommen?
Mein bester Freund und ich waren 18 und hatten den Traum, als DJs erfolgreich zu werden. Zunächst haben wir während unserer Oberstufenzeit auf Abipartys aufgelegt. Unsere Vorbilder waren die großen holländischen Techno-DJs der 1990er. In unserem jugendlichen Alter haben wir die Aussicht auf Erfolg allerdings auch überschätzt. Man sieht halt vor allem die Erfolgreichen und nicht die vielen, die keinen oder wenig Erfolg haben. In der Psychologie nennt man diese Art der verzerrten Wahrnehmung „Survivorship Bias“. Ich habe seitdem einfach nicht mehr aufgehört aufzulegen. Erstens, weil es Spaß macht, und zweitens, weil ich die Technik ohnehin gekauft hatte.
Sie haben dann Psychologie studiert. Was war dort ihr Antrieb?
Die Geschichte erzähle ich gern in Vorlesungen (lacht). Ich habe einmal drei Wochen im Mathematikunterricht nicht aufgepasst und wollte den Unterrichtsstoff mit meinem Schulbuch nachholen. Als das nicht so gut geklappt hat, habe ich mich gewundert, woran das liegt. Ich hatte doch mein Schulbuch und das sollte mir doch den Lehrstoff verständlich vermitteln. So bin ich zur Lehr- und Lernpsychologie gelangt und untersuche aktuell z. B. die Verständlichkeit von Lehrbüchern.
Gibt es denn Anknüpfungspunkte zwischen dem Auflegen als DJ und der Psychologie?
Auf jeden Fall! Tatsächlich hat mir das Psychologiestudium geholfen besser aufzulegen. Es gibt verschiedene psychologische Modelle, die ich dazu nutzen konnte, meine Arbeit als DJ zu verbessern. Während ich zum Beispiel die Psychologie des Lernens von Guy R. Lefrançois gelesen habe, ist mir aufgefallen, dass mir die Arousal-Theorie hilft, zu entscheiden, wann man welches Lied auf einer Party spielen sollte.
Was besagt die Arousal-Theorie?
„Arousal“ heißt Erregung und die Theorie beschreibt unter anderem auf welchem Erregungsniveau wir am leistungsfähigsten sind. Das ist im mittleren Erregungsniveau der Fall und danach streben wir. Das Erregungsniveau wird vor allem von der Menge und der Neuartigkeit der Informationen gesteuert, die auf uns einströmen. Wenn unser Erregungsniveau niedriger ist als unser Erregungsbedürfnis, dann werden wir anregende Umwelten aufsuchen. Wenn hingegen unser Erregungsniveau höher ist als unser Erregungsbedürfnis, dann suchen wir eher bekannte Umgebungen mit weniger neuen Informationen auf. Das ist beispielsweise der Grund, warum man das Autoradio ausmacht, wenn man in einer fremden Stadt einen Parkplatz sucht. Wir wollen die Menge an Information und damit die Aufregung reduzieren.
Für das Auflegen bedeutet die Theorie tatsächlich, dass ich am Anfang einer Party lieber Musik wähle, die mehr und neuartigere musikalische Informationen bietet. Das wären zum Beispiel unbekanntere Lieder. Aktuelle Hits sollte man dann spielen, wenn die Leute langsam nach weniger Information streben. Das sind dann Lieder, die sie kennen, aber auch noch neu sind. Je später es wird, desto monotoner und bekannter sollte die Musik dann werden.
Was bedeutet das für ihren Auftritt bei Profs@Turntables?
Nach meiner Erfahrung bei Profs@Turntables sollte man sofort bekanntere Hits spielen. Das liegt zum einen daran, dass man als DJ nur eine Stunde Zeit hat, und zum anderen, dass das Publikum sehr heterogen ist. Dort ist jeglicher Musikgeschmack vertreten. Das Publikum kommt außerdem nicht zu mir in den Raum, weil sie gerade eine bestimmte Musikrichtung hören wollen. Das sind alles Faktoren, die für Musik spricht, die ein großer Teil der Feiernden kennt.
Was legen Sie denn im Allgemeinen auf?
In der Anfangszeit habe ich viel Gabber gespielt – also holländischen Hardcore Techno. Mittlerweile lege ich aber eher Jazz, Funk, House, Hip-Hop, Rock’n’Roll, Trance und Techno auf. Es war ein weiter Weg von Gabber zu Jazz, Funk, House, usw. Mein bester Freund und ich hatten irgendwann die Wahl, ob wir lieber unsere Lieblingsmusik oder doch lieber vor Publikum spielen wollten. Da haben wir uns dann für massentauglichere Musikrichtungen entschieden. (lacht)
Was macht einen guten DJ aus?
Hier liefert uns auch wieder die Psychologie eine Antwort – unter anderem mit dem Angebot-Nutzungs-Modell von Andreas Helmke. Der DJ macht mit seiner Musik ein Angebot und die Feiernden können es vor dem Hintergrund ihrer aktuellen Stimmung, Vorlieben, usw. nutzen, indem sie beispielsweise tanzen. Nutzen sie das Angebot nicht, sollte der DJ sein Angebot anpassen. Ein guter DJ sollte also sein Publikum lesen können. Außerdem sollte der DJ viel Musik kennen und selbst gern tanzen. Nicht zu unterschätzen ist die Fähigkeit, über seinen eigenen Schatten zu springen und Musik zu spielen, die beim Publikum gefragt ist und die man aber gleichzeitig selbst nicht hören würde. Darüber hinaus ist gutes Auflegen natürlich auch eine Frage der Übung.
Mit welchem Song füllen Sie zuverlässig die Tanzfläche?
Das hängt stark vom Publikum ab. Wenn es den einen Titel geben würde, der immer funktioniert, würde jede*r DJ den Song spielen. Das wird dann sehr schnell langweilig. Man muss ein Auge für sein Publikum haben. Die Entwicklungspsychologie liefert hier einen interessanten Hinweis. Die zentrale Entwicklungsaufgabe im Jugendalter ist der Aufbau einer eigenen Identität. Ungefähr mit 12 bzw. 13 Jahren fangen Jugendliche in der Regel an, Musik zu hören und sich einer Jugendkultur zuzuordnen. Was man in diesem Alter hört, das hört man in der Regel sein ganzes Leben lang gern. Der musikalische Geschmack weitet sich natürlich, aber diese Musik bleibt ein fester Kern. Das zeigen auch Nutzungsstudien von Streamingdiensten. Wenn man sich also sein Publikum ansieht und weiß, welche Musik aktuell war, als die Partygäste 13 oder 14 Jahre alt waren, dann hat man schon einen sehr guten Ansatzpunkt.
Warum funktionieren dann Partyschlager, die viele privat wahrscheinlich nicht auswählen würden?
Partyschlager laufen ja meistens zu späterer Stunde und haben einen einfachen Beat und einen Text, den man leicht mitsingen kann. Nach der Arousal-Theorie hält sich die Informationsmenge also in Grenzen und sie bedienen damit unser vermindertes Erregungsbedürfnis. Außerdem würde ich vermuten, dass diese Lieder dadurch, dass alle sie mitsingen können schnell ein Gemeinschaftsgefühl entstehen lassen. Es macht dann einfach zusammen Spaß .
Kommen wir zum Schluss: Was ist denn gute Musik als „Rausschmeißer“?
Wenn man die Party enden lassen will, helfen häufige Rhythmuswechsel. Und Lieder, die durch ihr Tempo gefühlt Energie herausnehmen. Dafür sind beispielsweise Balladen geeignet, wenn man das denn will.
Vielen Dank für das Interview & viel Spaß bei Profs@Turntables.