Die grüne Stadt Visionen von Studierenden für ein serviceorientiertes Braunschweig
Wie kann sich Braunschweig neu erfinden und als Stadt zu einer Serviceanbieterin für Bürger*innen werden? Das wollten Studierende der Wirtschaftsinformatik im Rahmen einer Veranstaltung zum Service Learning wissen und haben im vergangenen Wintersemester unter der Leitung von Professorin Susanne Robra-Bissantz verschiedene Perspektiven entwickelt. Ihre Visionen, für die sie auch in der Ringvorlesung „Kernbegriffe für die Stadt der Zukunft“ Inspirationen sammelten, haben die Studierenden jetzt in einer Abschlusspräsentation unter anderem dem Wirtschaftsdezernenten der Stadt Braunschweig und dem Arbeitsausschuss Innenstadt Braunschweig vorgestellt.
Wenn es nach dem Willen der Studierenden geht, wird Braunschweig grüner, nachhaltig, partizipativ und kreativ. Zum Beispiel in der Nutzung von leerstehenden Räumen in der Innenstadt. „Leerstand lokal genießen“ – unter diesem Motto fassten Ilya Petelnikow, Alexander Roth und Julian Stolte ihre Ideen zusammen. Mit der Stärkung des lokalen Angebots könne Braunschweig zu einem Erlebnisort werden, so ihr Ansatz „Braunschweig zeigt, was Braunschweig kann!“. Gefragt sind hier originelle, lokale Produkte, die in den Räumen verkauft werden.
Aber auch die Hochschulen und Ausbildungsstätten sollen sich einbringen. „Lehre gegen Leere“ nennen die drei Studierenden dieses Konzept: Institute stellen sich vor und präsentieren außerhalb der Uni-Gebäude Lehre, Projekte und Objekte. Im „Schauplatz gegen Leere“ nutzen Galerien und Kunst- und Kreativschaffende nach dem Vorbild von Pop-up-Stores temporär Schaufenster leerer Geschäfte für Ausstellungen. „Damit können sie ihr Konzept unter realen Bedingungen testen und erhalten schnell Feedback von Kund*innen und Zuschauer*innen“, sagt Ilya Petelnikow. In der Einbindung vor allem regionaler Anbieter*innen erhoffen sich die Studierenden auch, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Bürger*innen zu stärken.
Braunschweig zeigt Solidarität
Eine weitere Idee des Teams: eine Tauschbörse für Gebrauchsgüter, über die Einwohner*innen partizipieren und die bereits bestehende Tauschbörsen-Webseiten integriert. „Und warum nicht leerstehende Geschäfte als kurzfristige Unterkunft für Obdachlose anbieten, ähnlich wie das bereits im Winter Braunschweiger Hotels gemacht haben?“, fragt Alexander Roth.
Interessiert war das Publikum der Abschlusspräsentation auch besonders an neuen Möglichkeiten der Werbung. So zeigten die Studierenden Augmented Reality-Apps (AR), die über die Einbeziehung von Geodaten 3-dimensionale Objekte auf Handys übertragen. Oder eine AR-Kampagne mit sogenannten „Walk-in Ads“, bei der Bilder per App zum Leben erweckt werden.
Gemeinsam (und) nachhaltig
„Ein lebendiges Stadtleben entsteht nur mit und durch Bürger*innen“, betont Professorin Susanne Robra-Bissantz vom Lehrstuhl Informationsmanagement. „Sie benötigen eine gemeinsame Vision, um sich mit ihrer Stadt identifizieren.“ Einkaufen und Kaffee trinken werden in Zukunft jedoch nicht mehr das einzige sein, was die Menschen in die Stadt locke. „Die Stadt ist für ihre Bürger*innen da. Sie muss ihnen genau das bieten, was diese sich wünschen.“
Die Vision einer „nachhaltigen Stadt, die ihre Bürger*innen kennt“, formulierte dann auch das Team bestehend aus Ann-Christin Enke, Maximilian Markwort und Arne Windeler. Ihr erstes Konzept dazu: eine „Zu verschenken“-Station – ähnlich wie die Büchertelefonzelle vor der Universitätsbibliothek. Ergänzt wird dieser Ort durch eine App, über die gut erhaltene Gebrauchsgüter kostenlos angeboten und damit auch überregional gefunden werden können. Geht man nun zusätzlich davon aus, dass sich die Eigenschaften, Vorlieben oder Hobbys von Geber*innen und Nehmer*innen in den gespendeten Gütern widerspiegeln, können über die Geschenke auch Beziehungen entstehen. Schritt für Schritt entsteht ein soziales Netzwerk in der Stadt. Um das Projekt „Gemeinsam (und) nachhaltig“ auch finanziell auf sichere Beine zu stellen, wollen die Studierenden den Einzelhandel einbeziehen. „Die Unternehmen sollten die Möglichkeit haben, Produkte zu spenden“, sagt Arne Windeler. Das könne zum Beispiel Kleidung mit kleinen Mängeln sein, Fanartikel von der letzten Saison oder auch aussortiertes Büroinventar, wie alte Drucker oder Bildschirme. „Die Unterstützung bringt den Geschäften einen Imagegewinn“, ist sich der Student sicher.
Go Green
Wie kann der Wohlfühlfaktor insgesamt in der Stadt gesteigert werden? Für Verena Möhle, Marcel Tschada und Robin Wegener ist das ganz klar: mehr Pflanzen, Obst und Gemüse in der Stadt, mehr Grün! „So fördern wir die Biodiversität, die Tiere in der Stadt profitieren davon und die Stadt wird als Ort der Erholung wahrgenommen.“ Damit möglichst viele Menschen partizipieren können, schwebt ihnen einen Urban-Gardening Modell vor, wie es ein Berliner Start-up mit dem IP Garten entwickelt hat. Durch den Online-Garten können Städter vom Wohnzimmer aus Gemüse anbauen, ohne dass diese selbst im Acker wühlen müssen. Per Mausklick bringen die IP-Bäuer*innen Saatgut und Pflanzen in den Boden. Und das geerntete Gemüse wird dann nach Hause gebracht.
Als Anbauflächen in Braunschweig können sich die Studierenden Dachflächen, verschiedene Bereiche in Parks, Ackerflächen in der Vorstadt, Pflanzsäulen und Pflanzkästen in der Innenstadt und natürlich Balkons vorstellen. Obst und Gemüse könnten die Bürger*innen im öffentlichen Raum selbst ernten. Möglich wäre außerdem eine Lieferung per App oder eine Abholung am Markt.
„Die Bürger*innen profitieren, weil sie motiviert sind, sich in der Stadt einzubringen und einen effektiven Anbau von zu Hause koordinieren können. Die Stadt profitiert, weil die Stadt grün wird und viele Helfer*innen mitmachen. Und die regionalen Blumenläden und Landwirte können außerdem als Dozent*innen ihr Wissen vermitteln und so ihren eigenen Betrieb aufwerten und neue Aufträge erhalten“, fassen die Studierenden zusammen.
Könnten die Visionen in Braunschweig tatsächlich auch realisiert werden? Von einigen Vorschlägen waren die Teilnehmenden jedenfalls begeistert. „Die grüne Stadt ist gut umsetzbar“, meint Olaf Jaeschke, Vorsitzender des Arbeitsausschuss Innenstadt Braunschweig e.V. (AAI). „Vielleicht gemeinsam mit dem Sandkasten-Team.“ Und auch Sebastian Hallmann, Referent Strategie und Organisation bei der Braunschweig Zukunft GmbH, sieht hier Potenzial, Freiräume und Experimentierräume in der Stadt zu bieten, wie beispielsweise Hochbeete in der Nähe von Spielplätzen. Astrid Striese vom AAI möchte die von den Studierenden entwickelten Perspektiven als Impulse für Braunschweig nutzen: „Das ist das, was die Stadt braucht: die Ideen der jungen Leute.“