Die große Finanzkrise: Erinnerung, die nicht vergeht? Gastbeitrag von Stephan Freiherr von Stenglin
Frankfurt, der 9. August 2007: Vor genau zehn Jahren stellt das Eurosystem knapp 95 Milliarden Euro als so genannte liquidisierende Feinsteuerung bereit, um am Geldmarkt wieder geordnete Verhältnisse herzustellen. Probleme am US-Hypothekenmarkt waren auf den Interbankenmarkt übergeschwappt, den gegenseitiges Misstrauen austrocknen ließ. Vorbote dessen war auch die am 30. Juli bekannt gemachte massive Schieflage der IKB. Die Finanzkrise ab 2007 war auch in Europa angekommen und prägt noch heute viele wirtschaftliche Abläufe, die Wirtschaftspolitik und die ökonomische Debatte.
Vertiefung und Verallgemeinerung der Krise
Was als begrenzte Vertrauenskrise begonnen hatte, verschärfte und verallgemeinerte sich im Verlauf des Jahres 2008 in mehreren Wellen und fand mit der Insolvenz der US-Investmentbank Lehman Brothers im September ihren Kulminationspunkt.
Die gravierenden Störungen des Finanzsystems übertrugen sich durch die Verschärfung der Finanzierungsbedingungen und durch Vermögensverluste auf die Realwirtschaft; negative Erwartungen verstärkten diese Effekte noch. Nach mehreren Jahren kräftigen Wachstums der Weltwirtschaft, niedriger Inflation und stabiler Finanzmärkte verschlechterte sich die Lage rasant. Für die Weltwirtschaft bedeutete es das Ende einer – zumindest vordergründig – günstigen makroökonomischen Gesamtkonstellation. Noch verschärft zeigte sich dies im weiteren Verlauf im Euroraum, wo die allgemeine Finanzkrise in die sogenannte Eurokrise mündete, eigentlich eine Kombination aus Staatsschulden-, makroökonomischer und Bankenkrise, mit verursacht durch unzureichende Umsetzung des EWWU-Ordnungsrahmens.
Kriseneindämmung, Krisenbewältigung, Krisenverhinderung
Die Krise veranlasste die Wirtschaftspolitik zu massivem Eingreifen. Banken wurden rekapitalisiert, um den Finanzsektor zu stabilisieren, Konjunkturpakete geschnürt, um die Nachfrage zu stützen und anderes mehr. Zunächst vor allem zur unmittelbaren Eindämmung, im weiteren Verlauf zur Unterstützung der nötigen Anpassungsprozesse und perspektivisch zur Verhinderung beziehungsweise Linderung künftiger Krisen durch Reformen des Ordnungsrahmens, wie zum Beispiel neue bankaufsichtliche Regulierungsansätze, eine Stärkung des IWF oder Reformen im EU/EWWU-Regelwerk. Wesentlich zur Krisenbekämpfung trug eine extrem gelockerte Geldpolitik der Zentralbanken bei, die auf Dauer freilich selbst problematische Nebeneffekte hat.
Hintergründe (Auslöser ≠ Ursache)
Zwar ist bei der Ursachenanalyse ein ganzer ‘Cocktail‘ verschiedener Zutaten zu berücksichtigen. Dennoch lassen sich im Wesentlichen zwei Arten von Ursachen feststellen: makroökonomisch der Aufbau von außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten sowie Schwierigkeiten aufgrund der langen Phase niedriger Realzinsen, mikroökonomisch ein verzerrtes Anreizgefüge, fehlerbehaftete Risikomessung und die unzureichende Regulierungspraxis. Wichtig ist, das Gesamtbild und den längerfristigen Aufbau allgemeiner Verwundbarkeit im Vorfeld der Krise im Auge zu behalten.
Versagen der Ökonomie? Lehren
Im Vorfeld haben durchaus einige Ökonomen und Institutionen Risiken im Finanzsystem gesehen. Nicht ausreichend erkannt wurde jedoch das systemische Risiko aus dem Zusammenspiel der einzelnen Risiken. Und insgesamt herrschte, von Ausnahmen abgesehen, ein zu selbstverständliches Vertrauen in die Stabilität und die Effizienz des Finanzsektors vor, welches eigentlich erkennbare Warnzeichen übersehen oder kleinzureden half.
Die Krise hat die Stabilitätsrisken wieder in den Fokus gerückt. Dank umfassender Reformen ist das globale Finanzsystem heute robuster. Jedoch: Finanzkrisen sind wiederkehrende Phänomene. Die Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems zu erhöhen, bleibt daher eine Daueraufgabe.