20. April 2022 | Magazin:

Design und Forschung Zur Farbgestaltung wissenschaftlicher Publikationen

Im Zeitalter der Online-Publikationen sind farbige Abbildungen allgegenwärtig geworden. Häufig fallen bei farbigen Abbildungen aber Zugänglichkeit und Genauigkeit unter den Tisch. Darunter leiden besonders Menschen mit Farbwahrnehmungsschwächen – immerhin rund vier Prozent der Bevölkerung, da ein Großteil der Abbildungen in wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Publikationen für sie nicht mehr zugänglich ist. Dieser Trend steht im klaren Kontrast zu den Leitprinzipien einer inklusiven und offenen Wissenschaft. Wir sprachen darüber mit Dr. Felix Kaspar vom Institut für Biochemie, Biotechnologie und Bioinformatik, der zusammen mit dem Schweizer Geologen und Designer Dr. Fabio Crameri den Artikel „Coloring Chemistry – Wie eine bewusste Farbwahl die chemische Kommunikation verbessert“ im Journal „Angewandte Chemie“ veröffentlicht hat.

Herr Dr. Kaspar, wie sind Sie auf das Thema gekommen?

Das Thema berührt mich fast jeden Tag: Als Autor, Leser oder Gutachter von Artikeln sehe ich jeden Tag wissenschaftliche Abbildungen und Schemata. So gut wie alle davon sind farbig. Während Farbe dabei manchmal nur als künstlerisches und unterstützendes Element dient, wird in vielen Abbildungen (häufig auch unabsichtlich) Farbe als informationscodierendes Element verwendet. Immer wenn eine Abbildung von einem Lesenden verlangt, einen Farbton zum Beispiel zwischen einer Legende und einem Graphen eindeutig zuzuordnen, stellt Farbe eine Ebene der Codierung dar. Jeder, der mal einen Artikel in Graustufen gedruckt hat, weiß, was es bedeutet, wenn dieser Code durch ungünstige Farbwahlen nicht mehr lesbar ist: Information geht verloren. Um nun sicherzustellen, dass alle Lesenden vollständigen und unverfälschten Zugriff auf den Informationsgehalt einer Abbildung haben, gilt es also, die passenden Farbkombinationen oder Designprinzipien zu verwenden.

Welche Rolle spielt dabei die Biochemie?

In der Biochemie sind − wie in allen Lebenswissenschaften − farbige oder multidimensionale Abbildungen relativ moderne Erscheinungen. Dazu kommt, dass Kurse zur Wissenschaftskommunikation oder zum Design von Abbildungen in aller Regel nicht Teil des normalen Kurrikulums in den Lebenswissenschaften sind. Viele haben also nie Kontakt mit dem Thema. Das zeigt sich entsprechend in der Literatur. Unsere Stichprobe führender chemischer Journale hat letztes Jahr ergeben, dass über 70 Prozent aller Artikel Abbildungen enthalten, deren Informationsgehalt für Lesende mit Farbwahrnehmungsschwächen nur teilweise oder gar nicht zugänglich ist. Als wissenschaftliche Gesellschaft müssen wir also mehr dafür tun, gute Praktiken zu kommunizieren und zu etablieren.

Damit Lesende alle Informationen korrekt erfassen können, sollte die Farbgebung in wissenschaftlichen Abbildungen nur optional sein, also nicht alleiniges Beschreibungsmerkmal sein. Bildnachweis: Kaspar/Crameri

Was sind die wichtigsten Designprinzipien?

Grundsätzlich lässt sich das Ganze auf zwei Leitprinzipien kondensieren: Erstens, die Farberkennung sollte optional sein, um auf den Informationsgehalt einer Abbildung zuzugreifen. Sprich, sofern möglich, sollte Farbe kein Informationsträger sein. Damit ist meine Abbildung auch dann vollständig auslesbar, wenn ich ihren Farbgehalt teilweise oder vollständig reduziere. Prinzipiell lässt sich das auch einfach damit erreichen, dass ich gar keine Farbe verwende und nur mit Graustufen arbeite, aber das ist dann eine Frage des persönlichen Geschmacks.

Intuitive Farbschemata: Um farblich codierte Informationen allen Lesenden zugänglich zu machen, sollten einheitlich wahrnehmbare Farbschemata (scientific color maps) gewählt werden. Dieses Beispiel zeigt B-Faktoren eines fluoreszierenden Proteins. Bildnachweis: Kaspar/Crameri

Zweitens: Wenn Farbe zur Informationsvermittlung benötigt wird oder vorteilhaft ist, sollten einheitlich wahrnehmbare Farbschemata verwendet werden. Für viele Zwecke, gerade für multidimensionale Daten, ist Farbe ein wirklich nützliches Werkzeug. Um aber zu verhindern, dass meine Farbwahl die zugrundliegenden Daten verfälscht (wie es beispielsweise das Regenbogen-Schema tut) oder meine Abbildung für manche Lesende unzugänglich macht, gilt es, ein passendes Farbschema zu wählen. Solche einheitlich wahrnehmbaren Farbschemata (auch bekannt als scientific color maps) zeichnen sich dadurch aus, dass sie allen Lesenden zugänglich sind, keine Artefakte in Abbildungen einbringen und intuitiv auslesbar sind. Viele solcher Schemata sind online verfügbar oder auch schon in neueren Versionen von wissenschaftlichen Softwarepaketen implementiert. Den meisten Wissenschaftler*innen sind bestimmt schon einmal die Schemata viridis (gelb-grün-dunkelblau) oder thermal (gelb-orange-dunkellila) über den Weg gelaufen.

Gegenüberstellung verschiedener Farbschemata in Abbildungen und ihrer Wahrnehmung bei eingeschränkter Farbwahrnehmung. Bildnachweis: Kaspar/Crameri

Sie haben diese Design- und Farbregeln für die Lebenswissenschaften entwickelt. Sind sie auch für alle weiteren Wissenschaftsbereiche übertragbar?

Absolut! Die gleichen Grundprinzipien gelten allgemein und völlig unabhängig davon welche Typen von Abbildungen man verwendet. Wir haben für unseren Artikel lediglich Beispiele gewählt, mit denen sich ein möglichst großer Querschnitt aus Lebenswissenschaftler*innen identifizieren kann, und um damit eine Gruppe anzusprechen, die bisher noch nicht viel Kontakt mit dem Thema hatte.