7. Oktober 2019 | Magazin:

Dem Knacken des Eises lauschen Logbuch TransTiP – Teil 8: Spurensuche in der Gletscherlandschaft

In einer Höhe über 5.500 Metern suchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des internationalen DFG-Graduiertenkollegs TransTiP nach verstecktem Eis. Eine Arbeit unter extremen Bedingungen, da die Luft noch ärmer an Sauerstoff ist als am Nam Co. Mit ihrem achten und letzten Beitrag schließen Dr. Matthias Bücker, Johannes Buckel, Dr. Nicole Börner, Kim J. Krahn und Alexandra Müller vom Institut für Geosysteme und Bioindikation das TransTip-Logbuch ab.

Das Team in luftigen Höhen: (hinten, von l. Felix Nieberding (TU Braunschweig), Anne Voigtländer (GFZ), Ruben Schroeckh, Eike Reinosch, Johannes Buckel (TU Braunschweig), (vorn von l.) Dr. Björn Riedel, Dr. Matthias Bücker (TU Braunschweig), Nora Krebs (GFZ) gemeinsam mit den Kollegen des Institute of Tibetan Plateau Research und den einheimischen Tibetern. Bildnachweis: Johannes Buckel/TU Braunschweig

„In den teils über 7.0000 Meter hohen Bergen des Nyainqêntanglha-Gebirges im Süden des Nam Co treffen wir auf eine von Gletschern und Eis geformte Landschaft. Hier befindet sich das schwer zugängliche Untersuchungsgebiet einer weiteren Gruppe unserer Doktorandinnen und Doktoranden. Für ihre Forschungen stoßen sie in Höhen bis über 5.500 Metern vor. Hier machen sie sich mit geophysikalischen Messgeräten und hochpräziser Vermessungstechnik auf die Suche nach Eis im Untergrund und Permafrostbedingungen. Eine Spurensuche, die ihnen die Entstehung dieser rauen Gebirgslandschaft erklären soll. Unterhalb der Berggipfel hängen Eismassen an steilen Felswänden und in den Tälern liegen Gletscher. 

Auf der Suche nach dem verborgenen Eis

Aufgrund der anhaltenden Erwärmung des Klimas – die auch vor den eisigen Höhen des Nyainqêntanglha-Gebirges nicht Halt macht – sind die Gletscher heute weit zurückgeschmolzen. Die Landschaft, die sie zurücklassen, ist aber noch lange nicht eisfrei. Sowohl die Analyse von Satellitendaten als auch das Vorhandensein bestimmter charakteristischer Landformen in den Hochtälern ihres Untersuchungsgebiets gaben den Doktoranden Eike Reinosch und Johannes Buckel schon früh Hinweise darauf, dass es an vielen Stellen noch größere Mengen Eis im Untergrund geben muss. Die beiden haben sich daher vorgenommen, unterstützt durch ein hochmotiviertes Team, ihre Vermutung durch Messungen vor Ort zu belegen. Von ihren Ergebnissen erhoffen sie sich nicht nur einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Landschaftsentwicklung, sondern auch einen Einblick in die Entstehung und den Transport von Sedimenten in Richtung Nam Co. Außerdem wollen sie untersuchen, wie das vorhandene Eis zu dessen Wasserhaushalt beiträgt.

Nach der Installation des Tachymeters hat Eike Reinosch nun endlich Zeit für eine kurze Verschnaufpause, denn glücklicherweise benötigt das Gerät bis zu 30 Minuten, um das Gelände millimetergenau einzumessen. Danach geht es zur nächsten Messstelle, mit mehreren Kilo Equipment auf dem Rücken. Bildnachweis: Eike Reinosch/TU Braunschweig

Sehhilfe für das Auge im All

Wie kann ein Satellit Eis im Boden erkennen? Kann man etwa aus dem Weltall sehen, was man nicht einmal am Boden mit bloßem Auge erkennen kann? Nein, natürlich nicht – oder zumindest nur über einen Umweg: Wie man auch schon an den Gletschern sieht, ist Eis nicht so fest wie Stein, sondern fließt – sehr langsam aber merklich. Diese langsame Bewegung von einigen Zentimetern im Jahr hat Eike durch den Abgleich von zu unterschiedlichen Zeitpunkten aufgenommenen Satellitenbildern – nicht nur auf den Gletschern im Untersuchungsgebiet, sondern auch auf einigen schuttbedeckten Hängen und Erhebungen – festgestellt. Um die aus den Satellitendaten abgeleiteten Bewegungsraten am Boden zu überprüfen, hat er die Landschaft gemeinsam mit Dr. Björn Riedel mithilfe eines Laserscanners und anderer hochpräziser Techniken millimetergenau vermessen. Im Laufe der nächsten Monate wird er – dann wieder gemütlich an seinem Schreibtisch in Braunschweig – alle Daten auswerten und den Satelliten „lehren“, das Eis im Boden kriechen zu sehen.

Mit der Röntgenbrille in der Landschaft

Derweil will es Johannes Buckel noch genauer wissen: Als Geomorphologe erkennt er zwar schon beim genauen Betrachten der Landschaft viele Hinweise auf verstecktes Eis im Boden. Nun gilt es jedoch seine Vermutungen zu überprüfen. Dafür hat er im vergangenen Jahr in einem mehrere Quadratkilometer großen Gebiet eine Vielzahl von Temperaturloggern vergraben, die er dieses Jahr bergen will. Die Temperaturdaten werden ihm helfen, die Verbreitung des Eises im Untergrund genauer einzugrenzen. Außerdem „durchleuchtet“ er mithilfe der Geoelektrik und dem Bodenradar den Untergrund. Besonders faszinieren ihn die Blockgletscher: riesige Schuttfelder mit einem massiven Eiskern. Zudem hat das Team auch dem Knacken des Eises gelauscht. Dazu sind Geophone installiert worden, empfindliche Sensoren, die selbst kleinste Erschütterungen des Bodens registrieren können. Um nachvollziehen zu können, ob wetterbedingte Einflüsse die registrierte Eisbewegung beeinflussen, hat sich der Gruppe auch unser Doktorand Felix Nieberding angeschlossen. Er hat mehrere Wetterstationen im Untersuchungsgebiet aufgestellt.

Doktorand Johannes Buckel und Masterstudentin Nora Krebs nehmen geophysikalische Messungen vor, um Eis im Boden aufzuspüren. Die Arbeiten werden interessiert von den vor Ort lebenden Tibetern verfolgt. Bildnachweis: Anne Voigtländer/GFZ Potsdam

Harte Arbeit fernab der Zivilisation

Doch die Gletscherlandschaft gibt ihre Geheimnisse keineswegs freimütig preis: Jedes noch so kleine bisschen Information lässt sie sich nur durch harte, aufreibende Arbeit abringen. Die Luft in über 5.500 Metern ist noch ärmer an Sauerstoff als am Nam Co. Nach jedem zweiten Schritt – oft mit schwerem Gepäck voller Messtechnik – möchte man eine Verschnaufpause einlegen. Oft ist der Körper schon nach dem mehrstündigen Aufstieg vom Camp in das Messgebiet völlig ermattet. Die eigentlichen Messungen bekommt man dann nur noch mit letzter Kraft zustande, bevor man sich am späten Nachmittag wie in Trance ins Tal hinabschleppt.

Zum Abschluss der Feldkampagne verwandelte sich das Untersuchungsgebiet in eine eisige Winterlandschaft. Wenn man jetzt nur noch wüsste, wo man gestern die Geophone installiert hat? Bildnachweis: Philipp Maurischat/Leibniz Universität Hannover

Wenige Tage vor Beendigung der Messkampagne gab es dann noch ein besonderes Highlight: Wintereinbruch. Innerhalb weniger Stunden fiel bis zu einem halben Meter Schnee, der die ganze Landschaft, Zelte und Messgeräte bedeckte. Nun hieß es Ausrüstung wiederfinden und ausbuddeln, und dann schnell hinunter vom Berg. So sind nun auch die letzten Doktorandinnen und Doktoranden auf ihrem Weg zurück nach Deutschland. Es waren erfolgreiche Feldarbeiten, viele Daten wurden gesammelt. Jetzt geht es zurück ins Büro: Lasset die Auswertungen beginnen!

Und damit verabschieden wir uns für dieses Jahr von China. Aber wir wissen: Wir kommen wieder.“

Text: Dr. Matthias Bücker, Johannes Buckel, Dr. Nicole Börner, Kim J. Krahn, Alexandra Müller