Bild des Monats: Auf den Spuren der Arzneimittelentwicklung Aus der Arzneimittelsammlung der TU Braunschweig
Nicht zufällig geht es bei den Gläsern auf unserem Bild des Monats sehr farbig zu. Sie enthalten pharmazeutisch-chemische und mineralische Substanzen, die als Arzneimittel verwendet wurden. Das griechische Wort für „Arzneimittel“ (Pharmakon) enthält als Nebenbedeutung nicht nur „Gift“, sondern auch „Farbe“. Die Schaugläser stammen aus der Arzneimittelhistorischen Sammlung der TU Braunschweig, die von der Abteilung Pharmazie- und Wissenschaftsgeschichte betreut wird.
Diese Schaugläser unseres Bilds des Monats November dokumentieren einen doppelten Reichtum – Substanzen, die aus dem Boden und dem Wasser gewonnen wurden und die sich unter dem Einfluss von Licht und Luft weiter verändern oder schon verändert haben. Ein Teil der Stoffe stammt aus Bergwerken, etwa dem nahe gelegenen Rammelsberg.
Im Naturverständnis bildeten Mineralien neben Pflanzen und Tieren bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts eines der drei Naturreiche. Angesichts der dynamischen Entwicklung in der Erforschung der Wirkstoffe tierischer und pflanzlicher Organismen ab dieser Zeit wird oft vergessen, dass auch das wachsende Verständnis anorganisch-chemischer Prozesse für die Arzneimittelentwicklung zentral war – und dies gilt genauso für die Entwicklung der gewerblichen Chemie.
Den Spuren dieser Entwicklung, wie sie durch die einmalige Schneidersche Substanzensammlung dokumentiert wird, ist Dr. Anette Marquardt in ihrer Doktorarbeit nachgegangen.
Erforschung der Verwicklungen von gewerblicher Chemie, Pharmazie, Naturkunde und Kunst
Ausgehend von der Mehrfach-Bedeutung des Wortes „Pharmakon“ hat die Abteilung Pharmaziegeschichte anlässlich des 60-jährigen Jubiläums der Sammlung über mehrere Semester hinweg zusammen mit Studierenden der Pharmazie eine Ausstellung zur Geschichte der Sammlung erstellt. Unter dem Titel „Pharmakon – Farbe – Zauber – Gift – Arznei“ haben sie die Verwicklungen von gewerblicher Chemie, Pharmazie, Naturkunde und Kunst verfolgt.
So wirkt der in unserem Bild des Monats abgebildete intensiv gelbe Schwefel nicht nur antimikrobiell, wurde nicht nur traditionell bei diversen Hautkrankheiten sowie bei Husten eingesetzt, er ist einer der wichtigsten Reaktionspartner für chemische Prozesse. Ohne Schwefelsäure keine Entstehung der chemischen Industrie.
Bei den bläulichen Kristallen handelt es sich um Vitriol (hier um das kristallwasserhaltige Sulfat von Kupfer) aus dem Rammelsberg. Mit den Vitriolen eng verbunden ist die Entstehung mineralischer Farben wie etwa des giftigen Kupferacetatarsenits (Schweinfurter Grün), einer beliebten Farbe für Wände, Papiere und Textilien, die zum Beispiel auch Vincent van Gogh in einem Selbstporträt verwendete. Andere farbige Verbindungen wie etwa das Berliner Blau zählen als Antidote gegen bestimmte Gifte heute zu den unentbehrlichen Arzneimitteln.
Auch nach dem Abschluss der Ausstellung wurde die Sammlung weiter erforscht und insbesondere in studentische Projekte einbezogen. Neue Themen lassen sich ausgraben. Etwa mit dem Thema „Medizin aus der Mine“, das uns tiefer in die Welt der Interaktion von natürlicher Umwelt und menschlichem Gewerbe hineingezogen hat. Mit dem Format „Objekt des Monats“ macht die Sammlung regelmäßig neue eigene und studentische Forschungsprojekte bekannt, die ein Licht auf Besonderheiten der Objekt- und der Arzneimittelgeschichte werfen.
Arzneikompositionen aus Perlen
Als Objekt des Monats November der Abteilung für Pharmaziegeschichte werden Perlen präsentiert. Die Konkretionen aus Muscheln waren im 16. bis 18. Jahrhundert Bestandteil vieler Arzneikompositionen. Zu feinen Pulvern bzw. kleinen Kegeln präpariert oder als Magisterium kamen sie meist in Kombination mit anderen Substanzen zum Einsatz.
In die Arzneitherapie eingeführt hatten sie arabische Mediziner. Verwendet wurden Margaritae orientales, ostindische Perlen oder Margaritae occidentales, westindische Perlen.
Küchlein mit Perlen, Perlenmilch, Meisterpulver aus Perlen, Krafttrank mit Bezoar, aufgelösten Perlen und Korallen sind nur einige der Zubereitungen, die im 17. Jahrhundert aus der Hofapotheke an den Wolfenbütteler Hof gingen, wie die Datenbank „Arznei und Confect. Medikale Kultur am Wolfenbütteler Hof“ aufzeigt.
Aus der Anwendungsvielfalt der Perlen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts nur einige Beispiele. Adam Lonitzer (1528-1586) beschrieb die Verwendung der Perlen zur Herzstärkung, gegen Herzzittern und Schwindel. Manus Christi cum perlis (Perlenzucker) propagierte er bei Ohnmacht. Perlen „sind auch gut wieder den Blutfluß und die rothe Ruhr. Sie verhalten den Frauen ihre Zeit und machen schöne Zähne.“ Weitere Beispiele finden sich ab Anfang November auf den Seiten der Pharmaziegeschichte im Format „Objekt des Monats“.
Text: Prof. Bettina Wahrig und Dr. Anette Marquardt