Alte DNA schreibt die Geschichte der Orkney-Inseln neu Internationales Forschungsprojekt analysiert bronzezeitliche menschliche Überreste
Ein internationales Team von Wissenschaftler*innen hat mithilfe alter DNA die Geschichte der britischen Orkney Inseln neu geschrieben. Demnach war Orkney genetisch weit weniger abgeschottet, als bislang angenommen. Die Forschenden zeigen in ihrer Studie, dass die Inseln während der frühen Bronzezeit eine massive Einwanderung – vor allem von Frauen – erlebten, die einen Großteil der lokalen Bevölkerung verdrängte. Zu dem Forschungsteam gehörte auch Dr. Katharina Dulias, die die DNA aus den menschlichen Überresten extrahiert und analysiert hat. Mittlerweile arbeitet die Biologin am Institut für Geosysteme und Bioindikation (IGeo) der TU Braunschweig. Dort untersucht sie im Projekt TransTiP (Geo-ecosystems in Transition on the Tibetan Plateau) alte DNA in Seesedimenten. Ihre Forschungsergebnisse zu Orkney wurden kürzlich in der Zeitschrift der amerikanischen Nationalen Akademie der Wissenschaften (PNAS) veröffentlicht.
Orkney, ein Archipel vor der Nordküste Schottlands, ist weltberühmt für sein archäologisches Erbe. Vor rund 5.000 Jahren, während der Jungsteinzeit, als die Landwirtschaft begann, war es ein sehr einflussreiches kulturelles Zentrum. Mit vielen hervorragend erhaltenen Steinhäusern, Tempeln und Megalithmonumenten und einem Keramikstil, der sich anscheinend über ganz Großbritannien und Irland ausgebreitet hat, wurde es sogar als „Großbritanniens alte Hauptstadt“ bezeichnet.
In den darauffolgenden tausend Jahren, als Europa in die Bronzezeit überging, schien der Einfluss der Orkney Inseln jedoch zu schwinden. Diese Erkenntnis basierte unter anderem auch darauf, dass es weniger archäologische Überreste gab und deshalb viel weniger über diese Zeit bekannt war.
Nur wenige Milligramm pulverisierte Knochen reichen
Durch die Studie der Universitäten Edinburgh und Huddersfield, an der Dr. Katharina Dulias zuvor geforscht hat, wissen die Forschenden über diese Periode nun viel mehr als je zuvor. Dabei brachten sie Archäologie mit den Untersuchungen alter DNA zusammen – und zwar aus bronzezeitlichen menschlichen Überresten der Ausgrabungsstätte Links of Noltland auf der abgelegenen nördlichen Orkney-Insel Westray.
„Dazu haben wir die Genome von 22 bronzezeitlichen und drei eisenzeitlichen Individuen analysiert“, erklärt Dr. Katharina Dulias. „Für solch eine Untersuchung werden sowohl die uniparentalen Marker (mitochondriales Genom für die weibliche Linie und Y-Chromosom für die männliche Linie), als auch das nukleare Genom genutzt. Die uniparentalen Marker geben Informationen über die Abstammung mütterlicher- und väterlicherseits, während das nukleare Genom eine Mischung der Genome beider Elternteile widerspiegelt.“ So lassen sich etwaige Verwandtschaftsgrade innerhalb einer Bevölkerung rekonstruieren, aber auch generelle Rückschlüsse über die Herkunft der Population insgesamt ziehen.
Um diese Analysen durchzuführen, reichen tatsächliche wenige Milligramm von pulverisierten Knochen oder Zähnen aus. „Natürlich wird dabei extrem darauf geachtet, Kontaminationen zu vermeiden“, so die Wissenschaftlerin. Anschließend wird die DNA aus dem Pulver extrahiert, sequenziert und bioinformatisch ausgewertet. Eine sehr ähnliche Methodik verwendet Dr. Katharina Dulias auch in ihrem aktuellen Projekt in TransTiP, nur dass es sich dort um die Analyse von sedimentärer alter DNA handelt. Damit untersucht sie zum einen den Einfluss des Klimawandels auf dem Hochland von Tibet auf aquatische Mikroorganismen am Beispiel des Nam Co Sees und zum anderen den menschlichen Einfluss auf dieses Ökosystem in der Vergangenheit. „Ich finde es immer wieder unglaublich faszinierend, dass man aus alten organismischen Überresten genetische Informationen extrahieren kann und diese uns nicht nur helfen, Fragen zu beantworten, sondern oft auch bisherige Ideen oder Konzepte umwerfen“, beschreibt die Wissenschaftlerin ihre Begeisterung für ihre Forschung.
Große Einwanderungswelle trotz Insellage
Die Ergebnisse aus Orkney waren eine große Überraschung für Genetiker*innen und Archäolog*innen gleichermaßen. Erstens hat das Team gezeigt, dass Orkney trotz der vermeintlichen Insellage während der frühen Bronzezeit eine groß angelegte Einwanderung erlebte, die einen Großteil der lokalen Bevölkerung verdrängte. Die Neuankömmlinge waren wahrscheinlich die ersten Bewohner*innen, die indoeuropäische Sprachen sprachen und stammten genetisch teilweise von Hirten ab, die in den Steppengebieten nördlich des Schwarzen Meeres lebten.
Dies spiegelt wider, was im dritten Jahrtausend vor Christus auch im übrigen Großbritannien und Europa geschah. Doch die Wissenschaftler*innen fanden einen faszinierenden Unterschied, der Orkney so unverwechselbar macht. In den meisten Teilen Europas wurde die Expansion der Hirten vor der Bronzezeit typischerweise von Männern angeführt. Frauen blieben dagegen eher ortsfest und wurden von lokalen Bauerngruppen in die sich ausbreitende Bevölkerung integriert. Auf Orkney entdeckten die Forschenden jedoch eine gegenteilige Entwicklung. Die Neuankömmlinge aus der Bronzezeit waren hauptsächlich Frauen, während die männlichen Linien der ursprünglichen neolithischen Bevölkerung mindestens weitere tausend Jahre überlebten – etwas, das bisher nirgendwo sonst beobachtet wurde.
Orkney weniger abgeschottet als vermutet
Aber warum war Orkney so anders? Die Archäolog*innen der in Orkney ansässigen Organisation EASE Archaeology, die die Links of Noltland ausgegraben haben, vermuten, dass die Antwort in der langfristigen Stabilität und Selbstversorgung der Gehöfte auf den Orkney-Inseln liegen könnte. Wie die genetischen Daten vermuten lassen, waren diese seit dem Höhepunkt der Jungsteinzeit männlich dominiert. Als gegen Ende des Neolithikums eine europaweite Rezession einsetzte, waren sie möglicherweise in der einzigartigen Lage, härtere Zeiten zu überstehen und ihren Einfluss auf die Bevölkerung zu erhalten, als Neuankömmlinge eintrafen.
Damit war Orkney viel weniger abgeschottet und inselartig, als lange angenommen wurde. Und zwischen den einheimischen Männern und den Neuankömmlingen aus dem Süden gab es über viele Generationen hinweg eine langwierige Verhandlungsperiode.
Die Ergebnisse waren sowohl für die Archäolog*innen als auch für die Genetiker*innen des Teams überraschend, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen: Die Archäolog*innen erwarteten keine so große Einwanderung, während die Genetiker*innen nicht mit dem Überleben der neolithischen männlichen Abstammungslinien gerechnet hatten.