Wie Proteine verklumpen Molekulare Mechanismen bei der Aggregation von Proteinen in membranlosen Organellen
Was passiert, wenn Zellen unter langanhaltendem Stress stehen? Proteine verhalten sich atypisch, stellen den Dienst ein, können verklumpen und schließlich der gesamten Zelle schaden. Welche Prozesse dazu führen, haben Forschende der Technischen Universität Braunschweig und der Université Paris untersucht. Im Mittelpunkt stand dabei ein Protein, das mit erblich bedingter ALS in Verbindung gebracht wird. Können die molekularen Prozesse besser verstanden werden, könnte an neuartigen Therapieansätzen für neurodegenerativen Krankheiten gearbeitet werden. Die Ergebnisse der Forschungsarbeit sind im Magazin „Journal of the American Chemical Society“ erschienen.
Proteine sind die wichtigsten molekularen Maschinen der Zelle, die an allen lebensnotwendigen zellulären Prozessen beteiligt sind. Lange wurden Zellen als „bags full of proteins“ betrachtet, wobei die Unterteilung der Zellbestandteile durch membranbegrenzte Organellen erfolgt. Beispiele für diese membranbegrenzten Organellen sind Zellkerne und Mitochondrien, die „Kraftwerke der Zelle“. Die Forschung der letzten fünf Jahre hat jedoch vermehrt gezeigt, dass sich die Proteine innerhalb solcher „bags“ zusätzlich in membranlosen Organellen (MLOs) organisieren können.
Die Bildung dieser MLOs beruht auf Flüssig-Flüssig-Phasentrennung, ist also vergleichbar mit der Bildung von Öltröpfchen in Wasser. Dies ermöglicht den Zellen, verschiedene, voneinander getrennte chemische Umgebungen zu schaffen, in denen beispielsweise molekulare Prozesse nun sehr effizient ablaufen können.
Einige dieser MLOs werden gebildet, um der Zelle bei der Bewältigung von Stress zu helfen. Auf diese Weise stellen MLOs sicher, dass die funktionelle Form der Proteine erhalten bleibt und damit das Überleben der Zelle gesichert ist. Wenn allerdings die Zelle über einen längeren Zeitraum hinweg starken Belastungen ausgesetzt ist, beispielsweise im Zuge einer Erkrankung, funktioniert dieser Mechanismus unter Umständen nicht mehr. Proteine verklumpen innerhalb der MLOs, können ihre Funktion nicht mehr wahrnehmen oder schaden sogar der Zelle. Diese Prozesse werden mit verschiedenen neurodegenerativen Krankheiten wie Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), Alzheimer und Parkinson in Verbindung gebracht.
„Ziel unserer Forschung ist es, die molekularen Mechanismen zu verstehen, die der Verklumpung von Proteinen in MLOs zugrunde liegen“, sagt Professor Simon Ebbinghaus vom Institut für Physikalische und Theoretische Chemie an der TU Braunschweig.
In der publizierten Forschungsarbeit wurde im Speziellen das Protein Superoxid-Dismutase 1 (SOD1) untersucht. SOD1 ist ein Enzym, das mit erblich bedingter ALS in Verbindung gebracht wird. In verschiedenen Experimenten und Computer-Simulationen wurden die Schritte bis zur Verklumpung analysiert. „Wir haben gezeigt, dass die anfänglichen Verklumpungsschritte, die Destabilisierung einzelner SOD1 Proteine, bereits eine entscheidende Rolle spielen. SOD1-Proteine, die mit ALS in Verbindung stehende Mutationen aufweisen, reichern sich so schnell in MLOs an. Wir hoffen, durch diese neuartigen Erkenntnisse Ansatzpunkte für neuartige therapeutischer Strategien gegen schwerwiegende neurodegenerative Erkrankungen zu liefern. Unsere zukünftige Forschung wird weiterhin in diese Richtung gehen“, sagt Professor Ebbinghaus.
Projektdaten
Die Forschungsarbeit entstand im Rahmen des Schwerpunktprogramms „Molecular Mechanisms of Functional Phase Separation“ (SPP 2191), gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit einem Gesamtbetrag von 209.250 Euro. Das Programm startete am 6. Februar 2019, die Förderung endet am 5. Februar 2022.
Seitens der TU Braunschweig waren neben Professor Simon Ebbinghaus Dr. Nirnay Samanta (Post-Doc) und die Doktoranden Sara Ribeiro, Mailin Becker und Roland Pollak an der Forschungsarbeit beteiligt. Involviert waren außerdem Professor Dr. Fabio Sterpone und seine Doktorandin Emeline Laboire vom CNRS Laboratoire de Biochimie Théorique, Institut de Biologie Physico-Chimique an der Université Paris sowie Mitarbeiter Dr. Stepan Timr, der nun an der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik tätig ist.