Unter den kleinsten Reptilien der Welt Neue Zwergchamäleons in Madagaskar entdeckt
Ein Forscherteam mit Beteiligung der Technischen Universität Braunschweig hat auf Madagaskar vier bisher unentdeckte Zwergchamäleon-Arten aufgespürt. Eine der Arten ist sogar deutlich kleiner als alle bisher bekannten Exemplare. Sie findet bequem auf einem Streichholz Platz: Vom Kopf bis zum Schwanzende misst sie nur höchstens 29 Millimeter. Doch die winzigen Reptilien sind vom Aussterben bedroht. Darauf weisen Professor Miguel Vences vom Zoologischen Institut der TU Braunschweig, und seine Kollegen aus München, Darmstadt und San Diego in einer am Mittwoch (15.2.2012) in der Fachzeitschrift PLoS One erscheinenden Artikel jetzt mit Nachdruck hin.
Madagaskar ist für seine artenreiche und einzigartige Tierwelt bekannt, die nirgendwo sonst zu finden ist. Fast 300 Froscharten und knapp 400 Reptilienarten tummeln sich dort in den Regenwäldern, Bergen und Trockengebieten und bei jeder Expedition werden weitere Arten neu entdeckt. Auch über 40 Prozent der 193 Chamäleonarten leben ausschließlich auf dieser Insel vor der ostafrikanischen Küste. Bemerkenswert sind auch Madagaskars zahlreiche Winzlinge wie Zwergfrösche, mausgroße Halbaffen und Zwergchamäleons.
Winzige Lebensräume für winzige Reptilien
Das deutsch-amerikanische Biologenteam hat die vier neu entdeckten Zwergchamäleons im Norden Madagaskars aufgespürt und in der Zeitschrift PLoS One beschrieben. Männchen von Brookesia micra, der kleinsten Art, haben eine Körperlänge von maximal 16 Millimeter, und die Gesamtlänge bis zur Schwanzspitze ist bei beiden Geschlechten kleiner als 29 mm. Damit gehört diese Art zu den kleinsten Reptilien der Welt.
„Dass die kleinsten Arten vieler Tiergruppen vor allem auf Inseln zu finden sind, ist kein Zufall“, erklärt Erstautor Frank Glaw von der Zoologischen Staatssammung in München, „sondern ein typisches Phänomen“. Warum Brookesia micra so extrem klein ist, wissen die Forscher noch nicht genau. Es könnte aber an einem doppelten Inseleffekt liegen, denn diese Art ist bisher nur von einer zerklüfteten, 115 Hektar kleinen Kalkfelsinsel bekannt, die wenige Kilometer vor der großen Hauptinsel liegt. Die extreme Miniaturisierung von Brookesia micra dürfte jedenfalls mit zahlreichen Anpassungen des Körperbauplans einhergehen – ein spannendes Feld für zukünftige Untersuchungen.
Traurige Namen stehen für eine ungewisse Zukunft
Alle neu entdeckten Zwergchamäleons besiedeln anscheinend nur sehr kleine Gebiete, die zum Teil nur wenige Quadratkilometer groß sind. „Durch Lebensraumzerstörung sind sie daher besonders bedroht“, befürchtet Jörn Köhler vom Hessischen Landesmuseum in Darmstadt. „Eine der neuen Arten, Brookesia desperata, ist nur aus einem kleinen Regenwald bekannt, und obwohl dieses Gebiet offiziell unter Schutz steht, wird hinter der Kulisse im Inneren des Reservats fleißig Raubbau betrieben“. Auch Brookesia tristis schaut in eine ungewisse Zukunft. Seit der Lebensraum des Chamäleons vor wenigen Jahren unter Schutz gestellt wurde, nahm die Abholzung des Gebietes noch zu – wohl auch als Folge der gegenwärtigen politischen Instabilität im Land. Die Artnamen dieser beiden Chamäleons (desperata = verzweifelt, tristis = traurig) haben die Forscher bewusst gewählt, um auf ihre Bedrohung aufmerksam zu machen.
Die Evolution der Chamäleons begann vermutlich auf Madagaskar
„Erstaunlich an den kleinen Chamäleons ist auch die große genetische Distanz zwischen den Arten, die sich auf den ersten Blick relativ stark ähneln. Das zeigt, dass sich ihre Evolutionswege bereits vor vielen Millionen Jahren getrennt haben – deutlich früher als zwischen vielen anderen Chamäleonarten“, sagt Miguel Vences, von der Technischen Universität Braunschweig. „Die Gattung Brookesia ist die ursprünglichste Gruppe innerhalb der Chamäleons“, ergänzt Ted Townsend von der San Diego State University, der die genetischen Untersuchungen durchgeführt hat. „Das könnte bedeuten, dass die Evolution der Chamäleons in Madagaskar mit kleinen echsenartigen Vorfahren startete“.
Kontakt:
Dr. Frank Glaw
Zoologische Staatssammlung München
Münchhausenstraße 21, 81247 München
Tel.: ++49 (0)89 8107114
E-Mail: Frank.Glaw@zsm.mwn.de
www.zsm.mwn.de/her/staff.htm
Prof. Dr. Miguel Vences
Zoologisches Institut der Technischen Universität Braunschweig
Mendelssohnstr. 4, 38106 Braunschweig
Tel.: ++49 (0)531 391 3237
E-Mail: m.vences@tu-braunschweig.de
www.mvences.de/