TU Braunschweig an Arktis-Forschungsexpedition beteiligt Mit MOSAiC startet die größte Expedition im arktischen Meereis aller Zeiten
Nach einem Jahrzehnt der Vorbereitungen ist es soweit: Heute Abend um 20.30 Uhr verlässt der deutsche Eisbrecher Polarstern den Hafen im norwegischen Tromsø. Begleitet vom russischen Eisbrecher Akademik Fedorov nimmt er Kurs auf die zentrale Arktis. An Bord erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine im Winter nahezu unerreichbare Region, die entscheidend für das globale Klima ist. Sie sammeln dringend benötigte Daten zur Wechselwirkung zwischen Atmosphäre, Ozean und Meereis sowie zum polaren Ökosystem. Die Technische Universität Braunschweig ist mit dabei und führt meteorologische Messungen und Luftprobennahmen durch. Dank der Zusammenarbeit internationaler Expertenteams hebt die einjährige Eisdrift vorbei am Nordpol die Klimaforschung auf ein neues Niveau.
Kaum eine Region hat sich in den vergangenen Jahrzehnten so stark erwärmt wie die Arktis. Gleichzeitig fehlen ganzjährige Beobachtungen aus dem eisbedeckten Nordpolarmeer. Die MOSAiC-Expedition bringt nun zum ersten Mal einen modernen Forschungseisbrecher für ein ganzes Jahr in die Eisdrift und ermöglicht dadurch auch im arktischen Winter Forschung in der Nähe des Nordpols. Die Klimaprozesse dort sind ein Mosaiksteinchen, das fehlt, um bessere Prognosen zum globalen Klimawandel zu erstellen. Es wird vermutet, dass die starke Erwärmung in der Arktis enorme Auswirkungen auf die gemäßigten Breiten hat.
Die MOSAiC-Expedition unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), ist verbunden mit noch nie dagewesenen Herausforderungen. Eine internationale Flotte von 4 Eisbrechern, Helikoptern und Flugzeugen versorgt das Team auf dieser extremen Route. Insgesamt 600 internationale Teilnehmer, davon die Hälfte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, werden die Mission begleiten.
TU Braunschweig untersucht Wechselwirkungen zwischen Meereis, Atmosphäre und Wolken
Auch das Institut für Flugführung (IFF) der TU Braunschweig ist an der Arktisexpedition beteiligt und wird meteorologische Messungen mit der Hubschrauber-Schleppsonde Helipod sowie Luftprobennahmen mit dem Quadrocopter ALICE zur Methanisotopen-Analyse durchführen. „Das Institut für Flugführung hat die einzigartige Gelegenheit, mit dem Helipod an dieser außergewöhnlichen Expedition teilzunehmen und wertvolle Datensätze in der Arktis zu sammeln. Wir freuen uns, dass das Projekt durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die EU, die Ecki Wohlgehagen-Stiftung und die Richard Borek Stiftung sowie durch unsere Kooperationspartner tatkräftig unterstützt wird“, sagt Professor Peter Hecker, Leiter des IFF.
Für den Einsatz in der Arktis müssen die Geräte inklusive Messtechnik besonders robust und gut geschützt gegen Kälte sein. „Neben den ursprünglich geplanten Messgeräten integrieren wir auf dem Helipod noch weitere Sensorik, um gleichzeitig mit den atmosphärischen Messungen auch die Eis-Oberfläche zu dokumentieren, Aerosole zu messen und die Eigenschaften von Wolken abzuschätzen“, erläutert Dr. Astrid Lampert vom IFF. „Mit dem erweiterten Datensatz können wir Wechselwirkungen zwischen Meereis, Atmosphäre und Wolken untersuchen.“
Der Wissenschaftler Dr. Falk Pätzold, Spezialist für meteorologische Messtechnik am IFF, gehört zum internationalen Forschungsteam und wird voraussichtlich Ende Januar 2020 in die Arktis reisen und an der Expedition teilnehmen. „Diese Art von Expedition kann nicht bis ins letzte Detail geplant werden. Wir bereiten uns und die Technik so gut wie möglich vor, aber müssen vor Ort flexibel auf die Gegebenheiten reagieren“, so Pätzold. Bereits 2017 war er für fünf Wochen bei einer Forschungsfahrt mit der Polarstern ins Eis östlich von Grönland dabei, um den Quadrocopter ALICE zu testen und Messungen sowie Luftprobennahmen vorzunehmen. Zur Vorbereitung der MOSAIC-Expedition musste er unter anderem einen Eisbär-Sicherheitskurs sowie ein so genanntes Helicopter Underwater Escape Training absolvieren.
Arktis ist das Epizentrum der globalen Erwärmung
Heute nun verabschiedet eine Delegation aus Wissenschaft und Politik, darunter die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Anja Karliczek, das FS Polarstern im Hafen von Tromsø, gefolgt von der Akademik Fedorov. Antje Boetius, Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts: „Seit 2011 arbeiten unsere Wissenschaftler an der Idee, eine große Mission in die Nordpol-Region zu ermöglichen. Die Polarstern wird dazu ins Eis eingefroren, um sie als sichere Unterkunft zu nutzen, wenn draußen auf dem Meereis unter extremen Bedingungen geforscht wird. Wir haben die weltweit besten Arktisforscherinnen und -forscher aus vielen Disziplinen vernetzt, um diese Mission auf die Beine zu stellen. Noch in 2011 hätten wir uns nicht vorstellen können, wie dünn das Meereis und wie warm die Winter geworden sind. Es ist also höchste Zeit für die Expedition aufzubrechen und Daten und Bilder einer Region zu ermitteln, die sich schneller verändert als wir sie erforschen können.“
Markus Rex, Expeditionsleiter MOSAiC, Alfred-Wegener-Institut: „Diese Expedition ist bahnbrechend. Niemals zuvor gab es eine derart komplexe Arktisexpedition. Erstmals werden wir die Klimaprozesse der Zentralarktis im Winter vermessen können. Erstmals wird es uns gelingen, diese Region zu verstehen und in Klimamodellen korrekt abzubilden. Die Arktis ist das Epizentrum der globalen Erwärmung mit dramatischen Veränderungen schon heute. Und sie ist die Wetterküche für unser Wetter in Europa. Extremwetterlagen wie winterliche Ausbrüche arktischer Kaltluft bis zu uns oder extrem heiße Phasen im Sommer hängen mit den Veränderungen der Arktis zusammen. Gleichzeitig sind die Unsicherheiten unserer Klimamodelle nirgends so groß wie in der Arktis. Es gibt keine verlässlichen Prognosen, wie sich das Klima der Arktis in der Zukunft weiter entwickeln wird und was das für das Wetter bei uns bedeutet. Es ist unsere Mission, das zu ändern.“
Forschungscamp wird auf Eisscholle errichtet
Die beiden Eisbrecher werden in Sichtkontakt über die Barents- und Karasee Kurs auf die Zentralarktis nehmen. Nach etwa zwei Wochen erreichen sie voraussichtlich die Zielregion bei 130 Grad Ost und 85 Grad Nord. Das erste von insgesamt sechs Teams wird dort eine geeignete Eisscholle suchen, um darauf ein komplexes Forschungscamp zu errichten. Dabei befinden sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einem Wettlauf mit der Zeit, denn schon wenige Tage nach ihrer Ankunft steigt die Sonne nicht mehr über den Horizont. Eine weitere Herausforderung wird die kritische Meereissituation in der Zielregion sein. Die Ausdehnung des Meereises ist in diesem Jahr dort weit zurückgegangen. Auch zeigen Satellitenbilder bisher kaum mehrjähriges Eis mehr, sondern hauptsächlich dünneres einjähriges Eis.
Das Forschungscamp verbinden die Expeditionsteilnehmenden mit einem Netz von Messstationen, die ein Teil des Teams mit dem Begleiteisbrecher Akademik Fedorov im Umkreis von 50 Kilometern einrichten. Sobald das sogenannte Distributed Network fertiggestellt ist, treffen sich die beiden Eisbrecher für einen letzten Austausch von Crew und Material, bevor Akademik Fedorov nach Tromsø zurückkehrt, wo sie voraussichtlich am 30. Oktober eintreffen wird.
300 Wissenschaftler aus 17 Ländern
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf der Polarstern bleiben bis Mitte Dezember an Bord und werden dann durch das zweite Team abgelöst. Weitere Versorgungen und Teamwechsel folgen im nächsten Jahr. Für das Frühjahr 2020 ist zudem eine begleitende Flugkampagne geplant, für die eine Landebahn auf dem Meereis errichtet werden soll. Die Polarstern wird sich im Spätsommer 2020 zwischen Grönland und Spitzbergen aus dem Meereis befreien und nimmt anschließend Kurs auf ihren Heimathafen in Bremerhaven, wo sie Mitte Oktober 2020 erwartet wird.
Das Budget der Expedition beträgt rund 140 Millionen Euro. Im Laufe des Jahres werden ca. 300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 17 Ländern an Bord sein. Sie kommen aus Belgien, China, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Japan, Kanada, den Niederlanden, Norwegen, Polen, Russland, Schweden, Schweiz, Spanien und den USA. Dabei werden sie landseitig auch von Expertinnen und Experten aus Österreich und Südkorea unterstützt. Die Fragen, denen die Forscher während der Expedition nachgehen wollen, sind eng miteinander verknüpft. Zusammen wollen sie zum ersten Mal das gesamte Klimasystem in der Zentralarktis erforschen. Sie erheben Daten in den fünf Teilbereichen Atmosphäre, Meereis, Ozean, Ökosystem und Biogeochemie, um die Wechselwirkungen zu verstehen, die das arktische Klima und das Leben im Nordpolarmeer prägen.
Forschungsschwerpunkte
Atmosphäre
Komplexe Wolkenprozesse und Schneefall, Sonnen- und Wärmestrahlung, Zirkulation und kleinste Verwirbelungen, Lufttemperaturen von bis zu minus 40 Grad Celsius und darunter der vergleichsweise warme Ozean, nur durch eine dünne, rissige Eisschicht von der Atmosphäre getrennt. MOSAiC erforscht, wie dies und vieles Weitere zusammengenommen die Wärmebilanz und das Klima der Arktis bestimmt.
Meereis
Das arktische Meereis verändert sich. MOSAiC vermisst ein ganzes Jahr lang den Lebenszyklus des Eises – wie es sich bildet, sich verformt, driftet und reißt, wie es taut und wie es dabei die Energieflüsse zwischen Luft und Wasser bestimmt.
Ozean
Der Arktische Ozean ist kein isolierter Wasserkörper. MOSAiC erforscht, welche Strömungen und Verwirbelungen im Ozean Wärme in die Arktis und dort an die Oberfläche tragen, wie Ozean, Atmosphäre und Eis dort in Beziehung stehen und wie sie sich im Laufe eines ganzen Jahres gegenseitig beeinflussen.
Ökosystem
Wie überstehen die arktischen Lebewesen extreme Kälte, eine geschlossene Eisdecke und die monatelange Dunkelheit der Polarnacht, welchen Stoffwechsel haben sie dann noch? Diesem Rätsel von Leben, das unter scheinbar feindlichsten Bedingungen fortbesteht, geht MOSAiC während des vollen Jahreszyklus nach.
Biogeochemie
Was sich im Arktischen Ozean befindet, bleibt nicht im Arktischen Ozean: Ständig tauscht das Meer mit Eis und Atmosphäre Gase aus, wo sie unter anderem Wolkeneigenschaften verändern. MOSAiC misst während des vollen Jahreszyklus kontinuierlich diese Gase und andere wichtige chemische Verbindungen im Wasser, im Eis und in der Luft.