Neuer Schwung für die Energieforschung Standortübergreifendes Programm fördert Lösungen für das Energiesystem der Zukunft
Die Technische Universität Braunschweig beteiligt sich mit mehreren Instituten an einem großen interdisziplinären, standortübergreifenden Forschungsprogramm zur Energieforschung im Land Niedersachsen. Mit dem neuen Forschungsprogramm des Energie-Forschungszentrums Niedersachsen (EFZN) „Transformation des Energiesystems Niedersachsen“ (TEN.efzn) soll eine strategische Weiterentwicklung und Neuprofilierung der niedersächsischen Energieforschung bis 2030 ermöglicht werden. Aus dem Programm zukunft.niedersachsen fördern das Land und die VolkswagenStiftung das Verbundvorhaben mit insgesamt 58,2 Millionen Euro; die TU Braunschweig wird mit rund fünf Millionen Euro gefördert. Das Verbundvorhaben wurde am 14. Oktober 2024 mit einer Kick-off-Veranstaltung im Königlichen Pferdestall in Hannover der Öffentlichkeit vorgestellt.
Mehr als 180 Wissenschaftler*innen werden in den kommenden fünf Jahren an Lösungen für das Energiesystem der Zukunft forschen, verteilt über insgesamt 15 niedersächsische Universitäten, Fachhochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen. Auch Forschungspartner aus anderen Bundesländern und aus der (Energie-)Wirtschaft sind in das Forschungsprogramm eingebunden. Zusammengeführt werden die Beteiligten über das EFZN, ein gemeinsames wissenschaftliches Zentrum der Universitäten Braunschweig, Clausthal, Göttingen, Hannover und Oldenburg, das als Forschungs-, Vernetzungs- und Kommunikationsplattform die Kompetenzen der Energieforschung in Niedersachsen bündelt.
Gegliedert in sechs eng miteinander vernetzte Forschungsplattformen vereint das Projekt die Stärken der niedersächsischen Energieforschung. Die TU Braunschweig ist an folgenden Forschungsplattformen beteiligt:
Ausbau der Windenergie
Im „Reallabor 70 GW Offshore Wind“ wird der bis 2045 geplante Ausbau der Windenergie in der deutschen Nordsee ganzheitlich aus sozio-technischer Perspektive analysiert und die Grundlagen zum Erreichen der geplanten 70 Gigawatt Offshore-Leistung erarbeitet. Die beteiligten Forscher:innen betrachten dazu u.a. Fragestellungen zu gesellschaftlichen Konfliktpotenzialen, Chancen und Gelingensbedingungen des Ausbaus, zur marinen Raumplanung, zum Life-Cycle Management von Windturbinen, zur Systemintegration und Aerodynamik der Anlagen sowie zu möglichen Auswirkungen des Ausbaus auf die marine Umwelt.
Das Leichtweiß-Institut für Wasserbau (LWI) der TU Braunschweig ist in dem Projekt im Innovationsbereich II „Nachhaltige maritime Raumplanung und -nutzung der Deutschen Bucht“ verortet. Insbesondere beschäftigen sich die Forschenden um die Betrachtung von Co-Nutzungs-Potenzialen für Offshore-Windparks. Dabei werden sowohl energetische Co-Nutzung (Wellen-, Tiden, Solarenergie etc.) also auch nicht-energetische Co-Nutzung (Fischerei, Verkehr etc.) betrachtet. Beispielsweise werden über Stakeholderbefragungen Co-Nutzungs-Szenarien entwickelt, die dann aus verschiedenen Blickwinkeln (Kosten, Umweltauswirkungen etc.) bewertet werden. Auf Basis der Bewertungen werden dann Vorzugs-Szenarien definiert.
„Der massive Ausbau der Windenergie aus See und die damit verbundene Inanspruchnahme großer Flächen birgt Potential der Nutzungskonflikte verschiedener Interessensvertreter, beispielsweise aus dem Fischerei- oder Verkehrssektor. Aus diesem Grund ist die Einbindung dieser Stakeholder bei Ausbau der Offshore Wind Kapazität von entscheidender Bedeutung und kann zur Entwicklung von Co-Nutzungsszenarien führen, die zur Aufhebung der Nutzungskonflikte beitragen“, sagt Prof. Nils Goseberg vom LWI.
Ammoniak als Energieträger
Im Rahmen des „Landesgraduiertenkolleg Wasserstoff und Wasserstoffderivat Ammoniak“ werden gemeinsame wissenschaftliche Projekte niedersächsischer Forschender initiiert – mit dem Ziel, wissenschaftlich exzellente Arbeitsgruppen zu bilden. Dies bildet eine starke Grundlage, um Niedersachsen in diesem wenig erforschten Bereich zu einem Vorreiter auszubauen. Untersucht werden die Möglichkeiten, die grüner Ammoniak als Träger für Wasserstoff in der Zukunft spielen kann.
Da Ammoniak kohlenstofffrei ist, bei geringen Überdrücken verflüssigt werden kann und gut transportierbar ist, bringt es in diesem Bereich großes Potential mit sich. Das Projekt fokussiert sich auf mehrere Innovationsbereiche. Darunter die Synthese von Ammoniak, die Speicherung, den Transport sowie die Direktnutzung bzw. Rückgewinnung des Wasserstoffs. Die Forschung des Projektes deckt verschiedene Bereiche von der Synthese bis zur Verbrennung, aber auch die sicherheitstechnischen Aspekte ab.
Für die Synthese soll im Rahmen des Projektes die katalytische Synthese von Ammoniak nach dem Haber-Bosch-Verfahren mit grünem Wasserstoff optimiert werden, sodass sich die Reaktortechnologie zukünftig über den stationären Betrieb hinaus eignet. Im Bereich der Speicherung und des Transports werden ökologische, ökonomische und sicherheitstechnische Aspekte und die Wege zur dezentralen und dynamischen Nutzung untersucht, sowie der Transport optimiert.
Für die Reformierung von Ammoniak zu Wasserstoff und Stickstoff sollen die Katalysatoren weiterentwickelt werden und innovative Reaktortechnologien untersucht werden. Bei der Verbrennung von Ammoniak sollen neben optimierten Verbrennungsverhalten hinsichtlich beispielsweise der Zündung und Flammenstabilisierung, auch die katalytische Reinigung der bei der Verbrennung entstehenden Stickoxide betrachtet werden. Weiterhin ist die Untersuchung von mit Ammoniak und gecracktem Ammoniak betriebenen Hoch- und Niedertemperatur-Brennstoffzellen geplant.
„Ammoniak wird in der Zukunft neben grünem Wasserstoff eine entscheidende Rolle für die Forschungsschwerpunkte der TU Braunschweig spielen. Darüber hinaus stärkt das Graduierten-Kolleg und die gemeinsamen Aktivitäten des TEN.efzn die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den Forschungseinrichtungen in Niedersachsen und ermöglicht die Ausbildung neuer Fachkräfte. Die Inhalte des Projektes zahlen insbesondere auch auf den neuen Studiengang Batterie- und Wasserstofftechnologien ein“, sagt Prof. Sabrina Zellmer, Koordinatorin des Graduierten-Kolleg.
Jun.-Prof. Dr.-Ing. Ferraro des Instituts für Flugantriebe und Strömungsmaschinen an der TU Braunschweig wird in ihrer Arbeitsgruppe den Bereich der Verbrennung untersuchen. Dafür werden fortgeschrittenen Simulationsmethoden auf Hochleistungsrechnern genutzt.
Eine starke Zusammenarbeit ist innerhalb der TU Braunschweig mit dem Institut für Partikeltechnik (Prof. Dr.-Ing. Sabrina Zellmer) und dem Institut für Technische Chemie geplant und über die TU Braunschweig hinaus mit der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) und der Leibnitz Universität Hannover (LUH).
Vertrauen in das digitale Energiesystem
In der Forschungsplattform „Vertrauenswürdige Digitalisierung sicherheitskritischer Energiesysteme“ wird untersucht, wie das Vertrauen von Endverbraucher*innen in ein immer stärker dezentralisiertes, automatisiertes und zunehmend von digitalen Prozessen gesteuertes Energiesystem gewahrt und gestärkt werden kann – und dies wiederum zu einem sichereren Energiesystem beiträgt.
Die voranschreitende Nutzung von erneuerbaren Energien sowie die intelligente Verknüpfung des Stromsektors mit dem Wärme- und dem Verkehrssektor ermöglicht die Transformation in ein ressourcenschonendes und gleichzeitig signifikant effizienteres Energiesystem in Deutschland. Der Ausbau von Kommunikations- und Informationstechnik, wie zum Beispiel Smart Meter Gateways, darf dabei die Resilienz des Gesamtsystems nicht beeinträchtigen. Daher untersucht das elenia Institut für Hochspannungstechnik und Energiesysteme der TU Braunschweig im Rahmen von Energiesystemmodellierungen mögliche Schwachstellen und potentielle Störungsszenarien, die durch eine zunehmende Digitalisierung auftreten können. Die Braunschweiger Wissenschaftler*innen fokussieren sich hier im Wesentlichen auf den Wohnsektor und entwickeln Energiemanagementalgorithmen, die interne oder externe Fehler automatisiert erkennen und entsprechende Rückfallstrategien einleiten.
Wärme für Gebäude und Industrie
Die Partner der Forschungsplattform „Wärme“ erforschen und entwickeln neuartige Wärmepumpentechnologien für Gebäude und Industrie. An der TU Braunschweig sind drei Institute daran beteiligt: das Institut für Thermodynamik (IfT), das Institut für Elektrische Maschinen, Antriebe und Bahnen (IMAB) sowie das An-Institut „Steinbeis Innovationszentrum energieplus“ (SIZ). Die drei Partner erarbeiten interdisziplinär eine neuartige kompakte Plug-&-Play-Wärmepumpentechnologie. Mittels standardisierter Anschlüsse und Baueinheiten sollen die zu entwickelnden Wärmepumpen einfach und schnell in unterschiedliche Gebäudeenergiesystem integriert werden. Das IfT konzeptioniert die neuartige Wärmepumpe. Das IMAB entwickelt und erforscht die dazugehörige Leistungselektronik, die die Einbindung in zukünftige elektrische Energiesystem ermöglicht. Das SIZ verantwortet die anforderungsgerechte Einbindung der Plug-&-Play-Konzepte in die Heiz- und Warmwassersysteme unterschiedlicher Gebäude.
Dr. Wilhelm Tegethoff betont als Sprecher der Forschungsplattform Wärme: „Mit unserer Forschung tragen wir dazu bei, Gebäude und Industrie in Zukunft sowohl klimaneutral als auch effizient, kostengünstig und anforderungsgerecht mit Wärme versorgen zu können.“
Über das EFZN
Das Energie-Forschungszentrum Niedersachsen (EFZN) ist ein gemeinsames wissenschaftliches Zentrum der Universitäten Braunschweig, Clausthal, Göttingen, Hannover und Oldenburg. Als zentrale niedersächsische Forschungs-, Vernetzungs- und Kommunikationsplattform bündelt es die Energieforschungskompetenzen der Universitätsstandorte aus den Natur- und Ingenieurwissenschaften sowie Rechts-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften und führt die Akteure der Transformation des Energiesystems aus Wissenschaft, Wirtschaft, Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft zusammen.
Über zukunft.niedersachsen
zukunft.niedersachsen (ehemals „Niedersächsisches Vorab“) ist ein Wissenschaftsprogramm des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur und der VolkswagenStiftung. Der überwiegende Teil der Fördermittel von zukunft.niedersachsen resultiert aus dem Gegenwert der jährlichen Dividende auf nominal 30,2 Millionen VW-Treuhandaktien des Landes Niedersachsen, die dem Gewinnabführungsanspruch an die VolkswagenStiftung unterliegen. Satzungsgemäß sind die Fördermittel an wissenschaftliche Einrichtungen im Land Niedersachsen zu vergeben. Dazu legt die Landesregierung dem Kuratorium der Stiftung zumeist im Sommer und im Herbst Verwendungsvorschläge vor. Zudem kamen 2023 einmalig 576,3 Mio. Euro Sonderdividende aus dem Börsengang der Porsche AG hinzu. Auch dieser Betrag wird in den nächsten Jahren für das Programm zukunft.niedersachsen eingesetzt. 2023 flossen so insgesamt 510,5 Mio. Euro in Niedersachsens Forschung und Wissenschaft. Weitere Informationen zu „zukunft.niedersachsen“ befinden sich auf www.zukunft.niedersachsen.de.