Mit dem Stampflehm-Roboter auf die Baustelle TU Braunschweig entwickelt alte Bautechnik mit Additiver Fertigung weiter
Er ist klimafreundlich, feuchteregulierend, wiederverwertbar, leicht abbaubar und ein fast überall verfügbarer Rohstoff: Lehm. Als nachhaltig-ökologischer Baustoff rückt er jetzt wieder in den Fokus. Wie Stampflehmbauteile robotisch-gestützt hergestellt werden können, untersucht die Technische Universität Braunschweig. In einem zuvor von der Forschungsinitiative Zukunft Bau und nun von der Initiative GOLEHM geförderten Projekt entwickeln die Braunschweiger Wissenschaftler*innen diesen Prozess jetzt weiter, um die Additive Fertigung direkt auf der Baustelle einzusetzen.
Seit Jahrtausenden werden Gebäude aus Lehm errichtet. „Dennoch kommt uns Lehm wie ein neuer Baustoff vor. Das Wissen um verschiedene Bauweisen und auch die Bauten selbst ist leider zum Teil in Vergessenheit geraten“, sagt Joschua Gosslar. Der wissenschaftliche Mitarbeiter des Instituts für Tragwerksentwurf (ITE) der TU Braunschweig möchte das traditionelle Wissen zu den Lehmbauweisen nutzen und auf heutige Fertigungsmethoden anwenden. Im Lehm sieht Gosslar viele Antworten für das Bauwesen, das einen Großteil der weltweiten CO2-Emissionen verursacht, etwa bei der Herstellung von Zement, Ziegelsteinen und Stahl. „Lehm ist unglaublich reversibel. Aus Lehm hergestellte Bauteile in einem ‚Lehmhaus‘ kann man nach 100 Jahren abreißen und im Garten verteilen oder umformen und ein neues Haus daraus bauen.“
Vom Handstampfer zur Additiven Fertigung
Von den Baustellen ist Lehm unter anderem auch wegen des hohen Aufwands verschwunden. So werden für ein Stampflehm-Haus viele helfende Hände benötigt. Die alte Bautechnik basiert auf der schichtweisen Verdichtung des Lehms in einer Schalung mit Hilfe eines handgeführten Holzstampfers. Die Schalungstechnik ist inzwischen verbessert worden und automatische Stampfer haben die Handstampfer ersetzt. Das Verfahren ist jedoch nach wie vor manuell und dadurch im Vergleich zu anderen Baumaterialien und -techniken eher unwirtschaftlich.
Joschua Gosslar selbst hat vor Kurzem die handwerkliche Ausbildung „Fachkraft Lehmbau“ vom Dachverband Lehm abgeschlossen und unter anderem am Aufbau eines Hochregallagers aus Stampflehm mitgearbeitet. „Stampflehm ist ein extremes Luxusmaterial, obwohl der Lehm quasi nichts kostet und fast überall vorhanden ist. Allerdings ist die Verarbeitung teuer. Rund zwei Drittel der Kosten werden durch die Schalung verursacht, die sehr robust sein muss, damit sie dem Stampfdruck standhält.“
Ganze Fertigungsschritte entfallen
Die digital gesteuerte Technologie der Additiven Fertigung, die das ITE auch mit den Werkstoffen Beton und Stahl im Sonderforschungsbereich „Additive Manufacturing in Construction“ (AMC) von TU Braunschweig und TU München erforscht, könnte hier nicht nur für eine höhere Präzision und gleichbleibende Qualität sorgen, sondern auch produktiver und damit wirtschaftlicher sein. „Bei der Additiven Fertigung wird das Material schichtweise aufgebaut, ohne vorangehenden Formenbau oder nachlaufende Umformprozesse. Dadurch können ganze Fertigungsschritte wie das Ein- und Ausschalen im Betonbau entfallen. Zudem sind völlig neue Formen möglich, die das Material effizienter ausnutzen. Automatisierung und individuelle Formgebung stellen somit keinen Widerspruch mehr für das Bauwesen dar und die Additive Fertigung hat das Potenzial, die Zielstellungen von Ökonomie und Ökologie zusammenzuführen“, erklärt Professor Harald Kloft, Leiter des ITE und Sprecher des Sonderforschungsbereichs AMC. „Damit erleichtern wir es auch Planer*innen, sich für nachhaltige Materialien und innovative Bauweisen zu entscheiden.“
Stampflehm verdichten mit Roboter und Gleitschalung
Die Forschenden haben deshalb eine mitlaufende Schalung und ein Verdichtungswerkzeug entwickelt, das robotisch betrieben wird. Die Verdichtungseinheit besteht aus einer Rüttelplatte und pneumatischen Stampfern, die mit dem Schalungselement mitfahren und sich Lage für Lage hocharbeiten. Dafür kommt das Digital Building Fabrication Laboratory (DBFL), der große 3D-Drucker des Instituts, zum Einsatz. „Das Tolle am Stampflehm ist, dass man die Schalung sofort nach dem Verdichten entfernen kann. Das Material muss für eine Anfangsfestigkeit nicht aushärten, wie beispielsweise Beton. Deshalb sitzt die Schalung in unserem Projekt nur dort, wo auch verdichtet wird und dann wird sie weitergeführt. Es ist also eine aktive Gleitschalung“, erläutert der Lehmexperte.
Auf Basis dieser Vorarbeiten wollen die Wissenschaftler*innen im neuen Projekt die robotische Stampflehmfabrikation für die Baustellenfertigung weiterentwickeln. „Wir wollen das ganze Setup so reduzieren, dass es in einem mobilen, digitalen Fertigungsprozess benutzt werden kann“, erklärt Joschua Gosslar.
Unterstützt wird das Forschungsvorhaben von GOLEHM, einer Vereinigung, die den Lehmbau wieder attraktiv machen möchte, indem sie die alten Techniken bewahrt und mit innovativen Konzepten dem (Massiv-) Lehmbau eine Zukunft gibt.
Mobile Produktionseinheit
Gemeinsam mit dem Institut für Baustoffe, Massivbau und Brandschutz (iBMB) und dem Institut für Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik (IWF) will das Institut für Tragwerksentwurf die Lehmbautechniken optimieren und eine Roboter-Einheit schaffen, die vor Ort auf der Baustelle eingesetzt werden kann. „Anstatt den Lehm vorzufertigen, soll lokales Material verwendet und ein automatisierter Misch-, Förder- und Beschickungsprozess entwickelt werden“, so Joschua Gosslar. „Einer der reizvollen Aspekte des Lehmbaus ist, dass Lehm als Baumaterial vielerorts verfügbar ist. Im Gegensatz zu Beton erfordert dieser Baustoff keine aufwendige Infrastruktur und kann lokal abgebaut werden, ohne ihn über weite Strecken zu transportieren.“
Zunächst müssen die Wissenschaftler*innen nun die bewegliche Produktionseinheit konzeptionieren: Herzstück wird ein mobiler 3-Achs-Portal-Roboter sein, der von Baustelle zu Baustelle bewegt werden kann. Hinzu kommen die Endeffektoren, sozusagen die Hände des Roboters, und eine Materialbeschickungseinheit, damit der Baustoff ganz präzise aufgetragen wird. Vor Ort soll außerdem das lokale Rohmaterial überprüft und optimiert werden, damit aus dem Erdaushub nutzbares Baumaterial wird.
Am Ende des auf zwei Jahre angelegten Projekts soll ein Demonstrator stehen, mit dem die Forschenden auch einen Teil eines Gebäudes errichten wollen.
Projektdaten
Am Projekt zum mobilen, robotischen Stampflehm sind neben dem Institut für Tragwerksentwurf der TU Braunschweig das Institut für Baustoffe, Massivbau und Brandschutz (iBMB) und das Institut für Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik (IWF) beteiligt. Das Vorhaben wird für zwei Jahre bis November 2024 mit rund 400.000 über die GOLEHM-Initiative gefördert.
GOLEHM – Initiative für Lehmbau und nachhaltige Kreislaufwirtschaft
Das GOLEHM-Bündnis vereint aktive Partner aus Wissenschaft, Bauwirtschaft, kommunalen Trägern und Gesellschaft, die sich für klimafreundliches, nachhaltiges Bauen mit Lehm engagieren. GOLEHM wurde 2020 durch das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und das Berliner Ingenieurbüro ZRSI ins Leben gerufen. Mittlerweile ist das Netzwerk auf eine Vielzahl von regionalen und überregionalen Akteur*innen aus diversen Kompetenzbereichen angewachsen, die den Lehmbau weiterentwickeln und als klimafreundlichen Baustoff zur breiten Marktanwendung bringen möchten. Im Rahmen mehrerer inzwischen initiierter Projekte werden wichtige Grundlagen erforscht, um den Baustoff Lehm aus der Nische zu holen.
Weitere Informationen:
www.golehm.de