Der Hagenmarkt wird zum Reallabor Architektur-Institute der TU Braunschweig bespielen innerstädtischen Platz
Am Braunschweiger Hagenmarkt tut sich etwas: Ein Bauwagen steht bereit. Rot-weißes Absperrband teilt einen Teil des Platzes ab. Am Bauzaun prangt in großen Holzbuchstaben „Reallabor Hagenmarkt“. Drei Institute des Departments Architektur der Technischen Universität Braunschweig bespielen den Platz temporär und lassen ihn zum Ausstellungs-, Diskussions- und Lehrort für die Zukunftsthemen Nachhaltigkeit, Suffizienz und Resilienz werden.
Das Institut für Architekturbezogene Kunst (IAK), das Institut für Bauklimatik und Energie der Architektur (IBEA) sowie das Institut für Geschichte und Theorie der Architektur und Stadt (GTAS) wollen den Hagenmarkt im Sommersemester in ein interaktives Reallabor mit angewandter Forschung umwandeln, an dem sich die Braunschweigerinnen und Braunschweiger beteiligen können. „Wir wollen den Platz nicht neu gestalten, sondern transformieren den Platz in einen Möglichkeitsraum“, erklärt Professorin Folke Köbberling, Leiterin des IAK. Lehrende und Studierende schaffen im Juni und Juli verschiedene experimentelle Räume, Strukturen und Austauschformate.
Hagenmarkt wird zum Seminarraum
Mit dem Reallabor bringen die Architektur-Institute auch die Lehre in den öffentlichen Raum. Der künstlerische Mitarbeiter Gergely László hat mit den Studierenden vom Institut für Architekturbezogene Kunst im Querumer Forst bis zum Hagenmarkt einen zweistündigen Spaziergang unternommen. Mit einer zusätzlichen Last von Schalungsplatten, Latten und Spanngurten. „Wir testen Strategien, wie man Material vom IAK zum Hagenmarkt unmotorisiert transportieren kann“, beschreibt er die Aufgabe. Verfolgt von neugierigen Blicken der Braunschweigerinnen und Braunschweiger, nehmen die Studierenden die Module auf der Wiese am Hagenmarkt wieder auseinander und überlegen, wie sie diese für den Rücktransport neu zusammensetzen können. „Das ist jetzt unser Klassenzimmer“, sagt Gergely László. Aus den Platten und Latten werden demnächst flexible Möbel entstehen.
Bereits in den vergangenen Monaten haben die Architektur-Studierenden des IAK für das Reallabor zu Hause Nutzpflanzen keimen lassen. Mais, Zucchini, Kürbis, Tomaten, Bohnen und Auberginen sollen in Hochbeeten und Pflanzinseln auf dem Hagenmarkt weiterwachsen. Aus Holz bauen die angehenden Architektinnen und Architekten einen Pavillon als kleinen Ausstellungsraum. Eine modulare Infrastruktur soll vielfältig genutzt werden – als Podest, Bühne oder Regal. Auch ein Taubenschlag ist geplant, um eine öffentliche Debatte zum Thema Tauben in der Stadt anzuregen.
Klimaneutrales Bauen erlebbar machen
Erkenntnisse aus dem Seminar „Traditionelle Bauweisen“ werden Lehrende und Studierende des IBEA anwenden und Objekte aus verschiedenen traditionell geprägten Baumaterialien, wie zum Beispiel Lehm oder Schilf, erstellen. „Mit dem Reallabor Hagenmarkt möchten wir die aktuellen Fragestellungen des klimaneutralen Bauens für die Studierenden erlebbar machen und in die Stadt tragen“, sagt Professorin Elisabeth Endres, Leiterin des IBEA. „Wir als Institut für Bauklimatik und Energie der Architektur beschäftigen uns mit Stoffströmen im Bauwesen und der Interaktion von Gebäudehülle und Raum. Dabei sollen beim Reallabor Hagenmarkt das Verwenden recyclingfähiger Baustoffe sowie die traditionellen Bauweisen im Vordergrund stehen.“
Zum Ende des Reallabors Hagenmarkt sollen die Bauprojekte durch Messungen und Erfahrungsberichte evaluiert werden. Dadurch können die Erkenntnisse auf andere Bauprojekte übertragen und auf weitere Orte in der Stadt im nächsten Sommer angewandt werden.
Neben den baulichen Interventionen aus recycelten Materialien sollen digitale und nicht-digitale Spaziergänge, Vorträge und Workshops Diskussionen anstoßen.
Ein Ort über und für Zukunftsdiskurse
Am Institut GTAS dreht es sich in der Lehre um nichts weniger als den Klimanotstand selbst. In vielen unterschiedlichen Formaten werden am und um den Hagenmarkt herum Theorien, Prinzipien und Formate erforscht und erprobt, die sich mit den ethischen Anforderungen an eine nachhaltige Bau- und Planungspraxis auseinandersetzen. „Zusammen mit Studierenden suchen wir nach ganzheitlichen Antworten, die die Verbundenheit von Akteurinnen und Akteuren, Kräften, Prozessen und Erzählungen vereinen“, erklärt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Licia Soldavini, die das vom MWK Niedersachsen finanzierte Forschungsprojekt „Kollaborative Intelligenz“ betreut. „Dabei wollen wir immer die Wechselwirkungen zwischen globalen Wirkungen und lokalem Handeln im Blick haben. Denn alles, was jede und jeder Einzelne von uns tut, wie wir uns verhalten und welche Entscheidungen wir treffen, hat Konsequenzen für andere und anderes“, ergänzt Professorin Dr. Tatjana Schneider.
An drei Wochenenden im Juli bietet das Institut in Zusammenarbeit mit Künstlerinnen und Künstlern, Pflanzenforschenden, Aktivistinnen und Aktivisten und vielen anderen Menschen Begegnungs- und Austauschformate an, um diese Themen in gemeinsamen Aktivitäten weiter zu erforschen. Ziel der Veranstaltungen ist außerdem, die Suche nach solidarischen und gemeinwohlorientierten Ansätzen, um den Herausforderungen der Klimakrise zu begegnen.
Im Fokus steht das Reallabor auch bei den Studierenden des Instituts für Landschaftsarchitektur (ILA) von Professorin Gabriele Kiefer. Sie beobachten und dokumentieren das Projekt – fotografisch, audivisuell und zeichnerisch. Außerdem sollen die Studierenden das Potenzial des Ortes erkunden und zukunftsweisende Lösungsansätze in ihren Entwürfen entwickeln.
Neben den Architektur-Instituten machen weitere Institute der TU Braunschweig den Hagenmarkt zum Forschungsobjekt. So wird das Institut für Geophysik und extraterrestrische Physik (IGeP) den nahen Untergrund des Platzes mithilfe geophysikalischer Verfahren untersuchen. Forschende des Instituts für Geosysteme und Bioindikation (IGeo) wollen sich mit den Mikroorganismen im Brunnenwasser beschäftigen.
Mehr Informationen und das Programm finden Sie auf Instagram: @reallabor_hagenmarkt